So vor- wie seitdem ward durchs Schwert vollendet
Das Herrliche, das die Geschichte sah,
Und alles Große, was sich jemals wird vollbringen,
Dem Schwert zuletzt verdankt es sein Gelingen!”
Es liegt in den Sätzen „doch ihre – der Geschichte – Form bleibt ewig die Gewalt”, und „daß alles Große, was sich jemals wird vollbringen”, dem Schwert zuletzt sein Gelingen verdanken werde, unzweifelhaft viel Übertreibung. Trotzdem hatte der Hinweis, daß das für die Freiheit geschwungene Schwert das „fleischgewordene Wort” sei, daß, wer die Freiheit erwerben will, bereit sein muß, für sie mit dem Schwert zu kämpfen, seine volle Berechtigung in einer Epoche, wo man in weiten Kreisen der ehemaligen Demokratie sich immer mehr darauf verlegte, alles von der Macht des Wortes zu erwarten. Sehr zeitgemäß, und nicht nur für die damalige Epoche, sind auch die Worte, die Lassalle den alten Balthasar Slör Sickingen im letzten Akt zurufen läßt:
„O, nicht der Erste seid Ihr, werdet nicht
Der Letzte sein, dem es den Hals wird kosten
In großen Dingen schlau zu sein. Verkleidung
Gilt auf dem Markte der Geschichte nicht,
Wo im Gewühl die Völker dich nur an
Der Rüstung und dem Abzeichen erkennen;
Drum hülle stets vom Scheitel bis zur Sohle
Dich kühn in deines eig'nen Banners Farbe.
Dann probst du aus im ungeheuren Streit
Die ganze Triebkraft deines wahren Bodens,
Und stehst und fällst mit deinem ganzen Können!”
Auch der Ausspruch Sickingens:
„Das Ziel nicht zeige, zeige auch den Weg.
Denn so verwachsen ist hienieden Weg und Ziel,
Daß eines sich stets ändert mit dem andern,
Und andrer Weg auch andres Ziel erzeugt”.
ist ein Satz aus dem politischen Glaubensbekenntnis Lassalles. Leider hat er ihn jedoch gerade in der kritischsten Periode seiner politischen Laufbahn unbeachtet gelassen.
Halten wir uns jedoch nicht bei Einzelheiten auf, sondern nehmen wir das Ganze des Dramas, ziehen wir seine Quintessenz.
Die Rolle Huttens und Sickingens in der Geschichte ist bekannt. Sie sind beide Vertreter des spätmittelalterlichen Rittertums, einer um die Zeit der Reformation im Untergehen begriffenen Klasse. Was sie wollen, ist diesen Untergang aufhalten, ein vergebliches Beginnen, das notwendigerweise scheitert und dasjenige, was es verhindern will, nur beschleunigt. Da Hutten wie Sickingen durch Charakter wie Intelligenz ihre Klasse weit überragen, so ist hier in der Tat das Material zu einer echten Tragödie gegeben, der vergebliche Kampf markiger Persönlichkeiten gegen die geschichtliche Notwendigkeit. Merkwürdigerweise wird aber diese Seite der Hutten-Sickingenschen Bewegung im Lassalleschen Drama am wenigsten behandelt, so bedeutungsvoll sie doch gerade für die – wir wollen nicht einmal sagen, sozialistische, sondern überhaupt die moderne wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung ist. Im Drama geht das Hutten-Sickingensche Unternehmen an tausend Zufälligkeiten – Unüberlegtheit, Mißgriffe in den Mitteln, Verrat usw. – zugrunde, und Hutten-Lassalle schließt mit den Worten: „Künft'gen Jahrhunderten vermach' ich unsere Rache”, was unwillkürlich an den recht unhistorischen Schluß in Götz von Berlichingen erinnert: „Wehe dem Jahrhundert, das dich von sich stieß! Wehe der Nachkommenschaft, die dich verkennt!” Begreift man aber, warum der junge Goethe im achtzehnten Jahrhundert sich einen Vertreter des untergehenden Rittertums zum Helden wählen konnte, so ist es schon schwerer zu verstehen, wie nahezu hundert Jahre später, zu einer Zeit, wo die Geschichtsforschung bereits ganz andere Gesichtspunkte zur Beurteilung der Kämpfe des Reformationszeitalters eröffnet hatte, ein Sozialist wie Lassalle zwei Vertreter eben dieses Rittertums schlechthin als die Repräsentanten „eines kulturhistorischen Prozesses hinstellt, auf dessen Resultaten”, wie er sich in der Vorrede ausdrückt, „unsere ganze Wirklichkeit lebt”. „Ich wollte,” sagt er an der betreffenden Stelle weiter, „wenn möglich, diesen kulturhistorischen Prozeß noch einmal in bewußter Erkenntnis und leidenschaftlicher Ergreifung durch die Adern alles Volkes jagen. Die Macht, einen solchen Zweck zu erreichen, ist nur der Poesie gegeben – und darum entschloß ich mich zu diesem Drama.”
Nun vertreten allerdings Hutten und Sickingen neben und mit der Sache des Rittertums noch den Kampf gegen die Oberherrschaft Roms und für die Einheit des Reiches, zwei Forderungen, welche ideologisch die des untergehenden Rittertums waren, geschichtlich aber im Interesse der aufkommenden Bourgeoisie lagen, und die denn auch durch die Entwicklung der Verhältnisse in Deutschland nach Überwindung der unmittelbaren Wirkungen des Dreißigjährigen Krieges wieder in den Vordergrund gedrängt und im neunzehnten Jahrhundert in erster Reihe von dem liberalen Bürgertum verfochten wurden. Der deutsche Adel hat sich erst nach der Gründung des neudeutschen Reiches daran erinnert, daß er einmal eine so anständige Persönlichkeit wie Franz von Sickingen hervorgebracht hat – den Hutten kann er noch immer nicht verdauen; in den fünfziger Jahren und noch später feierte der „Gartenlauben”-Liberalismus Hutten und Sickingen als Vorkämpfer der nationalen und Aufklärungsbewegung und ignorierte ihre Klassenbestrebungen.
Genau dasselbe ist im Lassalleschen Drama der Fall. Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen kämpfen lediglich um der geistigen Freiheit willen gegen den römischen Antichrist, nur im Interesse der nationalen Sache gegen die Einzelfürsten. „Was wir wollen,” sagt Sickingen im Zwiegespräch mit Hutten, —
„das ist ein ein'ges großes, mächt'ges Deutschland,
Zertrümmerung alles Pfaffenregiments,
Vollständ'ger Bruch mit allem röm'schen Wesen,
Die reine Lehr' als Deutschlands ein'ge Kirche,
Wiedergeburt, zeitmäßige der alten,
Der urgermanischen gemeinen Freiheit,
Vernichtung unsrer Fürstenzwergherrschaft
Und usurpierten Zwischenregiments,
Und machtvoll auf der Zeit gewaltigem Drang
Gestützt, in ihrer Seele Tiefen wurzelnd,
Ein – evangelisch Haupt als Kaiser an der Spitze
Des großen Reichs.”
Und Hutten antwortet: „Treu ist das Bild.”
Da Lassalle ausdrücklich den „Franz von Sickingen” als ein Tendenzdrama bezeichnet, so haben wir in ihm einen Beleg für die Wandlung, die sich in ihm in bezug auf seine – vorläufig ideale – Stellungnahme zu den politischen Strömungen der Zeit vollzogen. Es sollte indes gar nicht lange dauern, bis sich diese Wandlung, eine Annäherung an die Auffassungsweise der norddeutschen bürgerlichen Demokratie, auch gegenüber einer konkreten Frage des Tages offenbaren sollte3.
Der „Franz von Sickingen” war im Winter 1857/58 vollendet worden. Lassalle hatte ihn, wie er an Marx schreibt, bereits entworfen und begonnen, während er noch am Heraklit arbeitete. Es sei ihm ein Bedürfnis gewesen, sich zeitweilig aus der abstrakten Gedankenwelt, in die er sich bei jener Arbeit „einspintisieren” mußte, mit einem Gegenstand zu beschäftigen, der in direkterer Beziehung zu den großen Kämpfen der Menschheit stand. Daher habe er nebenbei Mittelalter und Reformationszeit studiert und sich an den Werken und dem Leben Ulrich von Huttens „berauscht”, als ihn die Lektüre eines gerade erschienenen elenden „modernen” Dramas auf den Gedanken brachte: Das – der Kampf Huttens – wäre ein Stoff, der Behandlung wert. So habe er ohne ursprünglich an sich als ausführenden Dichter zu denken, den Plan des Dramas entworfen, wurde sich aber alsbald klar, daß er es auch selbst fertig machen müsse. Es sei „wie eine Eingebung” über ihn gekommen. Man spürt es dem Drama auch an, daß es mit warmem Herzblut geschrieben wurde. Trotz der oben bezeichneten Fehler erhebt es sich, dank seines geistigen Gehalts, immer noch himmelhoch über die