Ferdinand Lassalle. Bernstein Eduard. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernstein Eduard
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Punkten, begegnet sich die Lassallesche Broschüre mit einer Schrift, die schon einige Wochen vor ihr erschienen war und ebenfalls die Tendenz hatte, die Deutschen zu ermahnen, Napoleon in Italien, solange er den Befreier spiele, freie Hand zu lassen und der Zertrümmerung Österreichs zu applaudieren. Es war dies die Schrift Karl Vogts „Studien zur gegenwärtigen Lage Europas”, ein die bonapartistischen Schlagworte wiedergebendes und direkt oder indirekt auch auf bonapartistischen Antrieb geschriebenes Buch. Ich würde Anstand genommen haben, diese Schrift in irgendeinem Zusammenhange mit der Lassalleschen zu zitieren, indes Lassalle ist so durchaus über jeden Verdacht der Komplizität mit Vogt oder dessen Einbläsern erhaben, daß die Möglichkeit absolut ausgeschlossen ist, durch den Vergleich, der mir aus sachlichen Gründen notwendig erscheint, ein falsches Licht auf Lassalle zu werfen. Zum Überfluß will ich aber noch einen Passus aus der Vorrede zum „Herr Vogt” von Karl Marx hierhersetzen, jener Schrift, die den Beweis lieferte, daß Vogt damals im bonapartistischen Interesse schrieb und agitierte, und deren Beweisführung neun Jahre später durch die in den Tuilerien vorgefundenen Dokumente bestätigt wurde – ein Passus, der schon deshalb hierher gehört, weil er zweifelsohne gerade auch auf Lassalle sich bezieht. Marx schreibt:

      „Von Männern, die schon vor 1848 miteinander darin übereinstimmten, die Unabhängigkeit Polens, Ungarns und Italiens nicht nur als ein Recht dieser Länder, sondern als das Interesse Deutschlands und Europas zu vertreten, wurden ganz entgegengesetzte Ansichten aufgestellt über die Taktik, die Deutschland bei Gelegenheit des italienischen Krieges von 1859 Louis Bonaparte gegenüber auszuführen habe. Dieser Gegensatz entsprang aus gegensätzlichen Urteilen über tatsächliche Voraussetzungen, über die zu entscheiden einer späteren Zeit vorbehalten bleibt. Ich für meinen Teil habe es in dieser Schrift nur mit den Ansichten Vogts und seiner Klique zu tun. Selbst die Ansicht, die er zu vertreten vorgab, und in der Einbildung eines urteilslosen Haufens vertrat, fällt in der Tat außerhalb der Grenzen meiner Kritik. Ich behandle die Ansichten, die er wirklich vertrat.” (K. Marx „Herr Vogt”. Vorwort V, VI.)

      Trotzdem war es natürlich nicht zu vermeiden, daß dort, wo Vogt mit Argumenten operiert, die sich auch bei Lassalle finden, dieser in der Marxschen Schrift mitkritisiert wird, was übrigens Lassalle nicht verhindert hat, in einem Briefe an Marx vom 19. Januar 1861 zu erklären, daß er nach der Lektüre des „Herr Vogt” Marx' Überzeugung, daß Vogt von Bonaparte bestochen sei, „ganz gerechtfertigt und in der Ordnung” finde, der innere Beweis dafür4 sei „mit einer immensen Evidenz geführt”. Das Buch sei „in jeder Hinsicht ein meisterhaftes Ding”.

      Jedenfalls ist der „Herr Vogt” ein äußerst instruktives Buch zum Verständnis der Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts; dieses Pamphlet enthält eine Fülle von geschichtlichem Material, das zu einem ganzen Dutzend Abhandlungen ausreichen würde.

      Für unsere Betrachtung hat es aber noch ein besonderes Interesse.

      Die Korrespondenz zwischen Marx und Lassalle war zu keiner Zeit so lebhaft, als in den Jahren 1859 und 1860, und ein großer Teil davon handelt eben von dem italienischen Krieg und der ihm gegenüber einzunehmenden Haltung. Ob die Briefe Marx' hierüber an Lassalle noch erhalten sind und wenn, in welchen Händen sie sich befinden, ist bis jetzt nicht bekannt, noch ob der jetzige Besitzer sie zu veröffentlichen bereit ist. Aus den Lassalleschen Briefen ist jedoch die Stellung, die Marx damals einnahm, nur unvollkommen zu ersehen, und noch weniger ihre Begründung, da sich Lassalle, wie übrigens ganz natürlich, meist darauf beschränkt, seine Stellungnahme zu motivieren und die Einwände gegen dieselbe möglichst zu widerlegen. Es braucht aber wohl nicht des weiteren dargelegt zu werden, warum in einer für Sozialisten geschriebenen Abhandlung über Lassalle nicht nur dessen persönliche Beziehung zu den Begründern des modernen wissenschaftlichen Sozialismus, sondern auch sein Verhältnis zu ihrer theoretischen Doktrin und zu ihrer Behandlung der politischen und sozialen Fragen von besonderem Interesse ist.

      Der Tagesliterat hatte in bezug auf dieses Verhältnis lange Zeit seine fertige Schablone. Für die Politik im engeren Sinne des Wortes lautete sie: Lassalle war national, Marx und Engels waren in jeder Hinsicht international, Lassalle war deutscher Patriot, Marx und Engels waren vaterlandslos, sie haben sich immer nur um die Weltrepublik und die Revolution gekümmert, was aus Deutschland wurde, war ihnen gleichgültig.

      Seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieser Schrift hat jene Gegenüberstellung aufgegeben werden müssen.

      Noch ehe Lassalles „Italienischer Krieg” erschien, war in demselben Verlage, wie später diese, eine Broschüre erschienen, die dasselbe Thema behandelte. Sie war betitelt: „Po und Rhein.” Der Verfasser, der sich ebensowenig nannte, wie Lassalle in der ersten Auflage seiner Schrift, suchte militärwissenschaftlich nachzuweisen, daß die von den Organen der österreichischen Regierung ausgegebene Parole, Deutschland bedürfe zu seiner Verteidigung im Südwesten der italienischen Provinzen, falsch sei, daß auch ohne diese Deutschland noch eine starke Defensivposition in den Alpen habe, namentlich sobald ein einheitliches und unabhängiges Italien geschaffen sei, da ein solches kaum je einen triftigen Grund, mit Deutschland zu hadern, wohl aber häufig genug Anlaß haben werde, Deutschlands Bundesgenossenschaft gegen Frankreich zu suchen. Oberitalien sei ein Anhängsel, das Deutschland höchstens im Kriege nutzen, im Frieden immer nur schaden könne. Und auch der militärische Vorteil im Kriege würde erkauft durch die geschworene Feindschaft von 25 Millionen Italienern. Aber, führte der Verfasser alsdann aus, die Frage um den Besitz dieser Provinzen ist eine zwischen Deutschland und Italien, und nicht eine zwischen Österreich und Louis Napoleon. Gegenüber einem Dritten, einem Napoleon, der um seiner eigenen, in anderer Beziehung anti-deutschen Interessen willen sich einmischte, handle es sich um die einfache Behauptung einer Provinz, die man nur gezwungen abtritt, einer militärischen Position, die man nur räumt, wenn man sie nicht mehr halten kann … „Werden wir angegriffen, so wehren wir uns.” Wenn Napoleon als Paladin der italienischen Unabhängigkeit auftreten wolle, so möge er erst bei sich anfangen und den Italienern Korsika abtreten, dann werde man sehen, wie ernst es ihm ist. Solle aber die Karte von Europa revidiert werden, „so haben wir Deutsche das Recht, zu fordern, daß es gründlich und unparteiisch geschehe, und daß man nicht, wie es beliebte Mode ist, verlange, Deutschland allein solle Opfer bringen.” „Das Endresultat dieser ganzen Untersuchung aber ist,” heißt es schließlich, „daß wir Deutsche einen ganz ausgezeichneten Handel machen würden, wenn wir den Po, den Mincio, die Etsch und den ganzen italienischen Plunder vertauschen könnten gegen die Einheit … die allein uns nach innen und außen stark machen kann.”

      Der Verfasser dieser Broschüre war kein anderer als – Friedrich Engels. Unnütz zu sagen, daß Engels sie im Einverständnis mit Karl Marx veröffentlicht hatte. Den Verleger hatte Lassalle besorgt. Lassalle hatte auch, wie aus einem seiner Briefe hervorgeht, eine Besprechung ihres Inhalts an die – damals noch unabhängige – Wiener „Presse” geschickt, deren Redakteur mit ihm verwandt war. Er kannte also ihren Inhalt ganz genau, als er seinen „Italienischen Krieg” schrieb, polemisiert somit auch gegen sie, wenn er die Ansicht bekämpft, daß, da der Krieg durch Napoleons Führung aus einem Befreiungskrieg in ein gegen Deutschland gerichtetes Unternehmen verwandelt sei, das notgedrungen mit einem Angriff auf den Rhein enden werde, er auch deutscherseits nur als solches zu behandeln sei. Auf der andern Seite wird, wie schon erwähnt, Lassalles Schrift im „Herr Vogt” mitkritisiert, und zwar in dem Abschnitt VIII „Dâ-dâ-Vogt und seine Studien”5.

      Wie sehr die Darlegungen Lassalles oft mit den Vogtschen übereinstimmten, dafür nur ein Beispiel. Österreichischerseits war auf die Verträge von 1815 hingewiesen worden, durch welche Österreich der Besitz der Lombardei garantiert worden war. Darauf antworten nun:

      Hören wir nun Marx gegen Vogt:

      „Nikolaus natürlich vernichtete Konstitution und Selbständigkeit des Königreich Polen, durch die Verträge von 1815 garantiert, aus ‚Achtung’ vor den Verträgen von 1815. Rußland achtete nicht minder die Integrität Krakaus, als es die freie Stadt im Jahre 1831 mit moskowitischen Truppen besetzte. Im Jahre 1836 wurde Krakau wieder besetzt von Russen, Österreichern und Preußen, wurde völlig als erobertes Land behandelt und appellierte


<p>4</p>

Daß Vogt verdächtig war, hatte Lassalle, der ursprünglich Vogt in Schutz genommen, schon früher zugegeben.

<p>5</p>

Desgleichen auch in einer zweiten Broschüre von Engels „Savoyen, Nizza und der Rhein”. Lassalle hatte in seiner Broschüre die Annexion Savoyens an Frankreich als eine ganz selbstverständliche und, wenn Deutschland eine dieser Vergrößerung aufwiegende Kompensation erhielte, „ganz unanstößige” Sache hingestellt. Engels weist nun nach, welche außerordentlich starke militärische Position der Besitz Savoyens Frankreich Italien und der Schweiz gegenüber verschaffe, was doch auch in Betracht zu ziehen war. Sardinien gab Savoyen preis, weil es im Moment mehr dafür eintauschte, die Schweizer waren aber durchaus nicht erbaut von dem Handel, und ihre Staatsmänner, Stämpfli, Frey-Herosé u. a., taten ihr möglichstes, die Überlieferung des bisher neutralen Savoyer Gebiets in französische Hände zu verhindern. Im „Herr Vogt” kann man nachlesen, durch welche Manöver die bonapartistischen Agenten in der Schweiz jene Bemühungen hintertrieben. Alles übrige sagt ein einfacher Blick auf die Landkarte.