Endlich war dann der Prozeß gewonnen, der die Lage der Familie mit einem Schlage glänzend gestaltete, und als ersten Genuß des Besitzes gönnten sich der Oberst und Elisabeth die italienische Reise, die zunächst bis Neapel führen sollte. In Anbetracht des ungewöhnlichen Ereignisses hatte auch der jüngste Bruder, der in einer kleinen, fränkischen Garnison war, einen vierzehntägigen Urlaub erhalten, und das Kleeblatt reiste in hellem Jubel ab.
Ueber Mailand ging die Fahrt in kleine Nester und Städte, die durch große Offenbarungen der Kunst für alle Zeiten geweiht sind. Der Oberst und Elisabeth schwelgten in primitiven Fresken, in naiven Gobelins, in präraffaelitischen Märtyrern und Allegorien, der Leutnant aber stand ziemlich teilnahmslos umher und schien von allem, was er sah, ziemlich oder gründlich enttäuscht. Denn Otto von Schöttling war ein aus der Art geschlagener Schöttling und Bayer, dem wenig Kunstbegeisterung im Blute lag, der nicht als Aesthet, sondern als Beobachter reiste und obendrein noch das »Uns-kann-keiner-Gefühl« des jungen Neudeutschen mit sich trug und zur rechten Zeit laut werden ließ. Er sah überall Verlotterung, Faulheit, Schmutz und Unredlichkeit, wo Vater und Schwester malerische Wirkung und kindliche Harmlosigkeit erblickten, und erklärte bald, er hätte schon genug vom Bilderrummel, und der Geruch der Kanäle sei so entsetzlich, daß er ihn auf die Länge nicht aushalten könne. Erstaunt, ungläubig hörten der Oberst und Elisabeth, was er sagte, und begriffen ihn nicht, begriffen vor allem nicht, wieso sich gerade hier, in dieser märchenhaften Stadt eine so tiefe Verschiedenheit der Ansichten geltend machen konnte.
Dann bat wohl Elisabeth: »Geh', Papa, erzähl' ein wenig, wie alles war, wie Du zum erstenmal hier warst!«
Und der Oberst, der sich selbst gern der alten Zeiten erinnerte, fing an zu erzählen, wie schlecht damals, so ums Jahr 1875 herum, die Schiffe und wie lang die Fahrt gewesen, wie es in Venedig damals noch keine Wasserleitung und keine Vaporetti gegeben habe, sondern nur Ziehbrunnen und die schwarzen Gondeln, wie das alte Getto noch bestanden habe, starrend vor Schmutz, aber in den Tiefen seiner Trödlerläden seltene Altertümer bergend, wie die Straßen und Plätze kaum je gekehrt wurden und von Bettlern erfüllt waren, und wie er und der andere junge Dachs, mit dem er gereist war, an der Speisenkarte ihrer Trattoria gemächlich von den Preisen herunterhandeln konnten. Elisabeth hörte solche Geschichten vom früheren Venedig zu gern, der Leutnant aber meinte mit gönnerhaftem Lächeln:
»Donnerwetter, Papa, das muß eine schöne Wirtschaft gewesen sein und eine schöne Trattoria!«
Der Oberst entgegnete ruhig:
»Wir waren anspruchsloser als Ihr heutzutage! Ihr habt's besser und wollt's immer noch besser haben!«
Der Leutnant wurde rot und klein. So hatte er's ja nicht gemeint, er wollte den Vater ja nicht kränken und war doch weiß Gott für sich persönlich nicht anspruchsvoll. –
»Laß gut sein, ich weiß schon, wie Du es meinst! Elisabeth und ich, wir sind eben die Rasse von früher, und Ihr die neue. Wir beten noch an, was unsere Vorfahren angebetet haben, Ihr aber seid aus anderm Stoff und wollt selber Vorfahren sein!«
Sie verfolgten das Gespräch nicht weiter.
Der Oberst dachte dann wohl ein wenig darüber nach, wie seltsam verschieden von ihm doch seine Söhne waren, von denen es keinen zur Kunst hinzog, obgleich sie jetzt doch hätten tun und lassen können, wozu die Neigung sie trieb. Der eine wollte nur zur Kavallerie übertreten, der zweite ging mit dem Gedanken um, den bunten Rock auszuziehen, um Elektrotechnik zu studieren, und der Jüngste hier träumte nur von weiten Auslandreisen, von dem Posten eines Militärattachés bei Gesandtschaften in Japan, China oder Amerika.
»Meine nächste Reise aber geht nach England. Ich will den Platz aufsuchen, wo wir nach dem nächsten Krieg dem King den Frieden diktieren!« setzte er lachend, aber doch mit einem Unterton von Ernst hinzu.
»Ja, ja, der Vorfahre!« sagte der Oberst mit leiser Ironie.
Hinwiederum neckte der Leutnant Elisabeth gern, wenn sie bei Fahrten auf dem Canal Grande oder bei Spaziergängen durch die winkelige Stadt immer wieder in Bedauern ausbrach, daß so viele der alten Paläste von einstens zu Registraturen, Gasthöfen, Bilder- und Glaswarenniederlagen degradiert worden waren, vor allem, daß sich heute im Palaste der Catarina Cornaro das Leihhaus befindet. Er sagte dann wohl: »Ich wette, Liesel, die Dogen wären mit dieser Wandlung ganz zufrieden und die Republik Venedig auch. Das waren doch alles nur Krämer und Händler, und ein Leihhaus ist ein Geschäft wie ein anderes auch.«
»Aber findest Du's denn nicht jammervoll, daß diese großen Familien so heruntergekommen sind, daß sie ihre Paläste zu Bureaux oder Kaufläden hergeben müssen?«
»Du lieber Gott, was soll einem das Haus ohne Schnecke und der Palazzo ohne Geld! Ich finde es noch ganz vernünftig, daß sie sich nicht mit altem Krempel plagen, der für sie keinen Wert mehr hat.«
»Ich kann nicht so denken wie Du! So oft ich am Palazzo Manin vorbeikomme, muß ich immer daran denken, wie Papa uns erzählte, daß zu seiner Zeit der letzte Nachkomme der Manins auf dem Markusplatz Streichhölzer verkauft hat!«
Der Leutnant lachte.
»Wenn sie dem guten Papa da nur nicht einen Bären aufgebunden haben! Außerdem war der letzte Manin ein simpler Advokat und die Republik von 1848 etwas so Klägliches, daß sie ihrem Schöpfer danken durfte, als sie beim vereinigten Königreich Italien unterkriechen konnte!«
Es kam bei allen Ironien und Neckereien nie zum Streit, aber alle drei waren froh, als der Leutnant Venedig verließ. Beim Abschied sagte er noch:
»Also, Liesel, bis wir uns wiedersehen, wird Deine Verstiegenheit überhaupt den Pegel erreicht haben, und ich freu' mich schon, Dich allmählich auf mein ordinäres Niveau herunterzubringen, denn so schätzt Ihr beide mich jetzt doch ein, das weiß ich schon!«
Elisabeth lachte und wehrte ab, aber sie freute sich, daß nun niemand mehr sie in ihrer Schwärmerei und ihren Phantasien störte. Immer tiefer versanken die beiden in den romanischen Rausch, schoben die Abreise nach Florenz immer weiter hinaus, weil Venedig sie so fest gefangen hielt. Alles erschien ihnen hier köstlich und zauberhaft, obwohl es ihr Empfinden verletzte, wenn sie immer wieder merkten, daß das alte Venedig der Neuzeit Konzessionen machte, versuchte, sich ihr anzupassen und sie zu sich hereinzulocken. Sie empfanden das als stillos und kleinlich, hätten lieber gehabt, daß es nach königlicher Macht stolz in königlichem Verfall beharrt hätte. Sie merkten gar nicht, wie sie mit diesen Gedanken die Stadt vom Leben abtrennen, ihr die Blutadern abbinden wollten, daß sie nichts sein sollte als eine bleiche, tragische Erscheinung, über der gleich einem Märtyrerschein der Glanz ihrer großen Vergangenheit schwebte.
4
Grau und erinnerungsreich stieg der Palazzo Priuli aus dem stillen, wie tot daliegenden Seitenkanal des Canal Grande auf. Er blendete nicht durch großartige Raumverhältnisse oder durch überreiche Verzierungen, wie die Spätrenaissance berühmter Paläste sie liebte, denn er war älter als die meisten von ihnen, da die Priulis ja noch zu den Familien gehörten, deren erste Dogen nicht im Dogenpalast auf der Piazza, sondern in dem inzwischen verschwundenen am Rialto geherrscht hatten. Er war nicht viel größer als ein mäßiges Privathaus, bestand nur aus Erdgeschoß und erstem Stockwerk, in dessen Mitte die vielgerühmten Spitzbogen aus dem zwölften Jahrhundert die Fassade unterbrachen. Das ursprünglich weiße Steingemäuer war von den Jahrhunderten mit sanftem Grau beschlagen worden, aber sonst schienen sie machtlos an ihm vorübergegangen zu sein. Nur die Marmorstufen, die von der großen, erzenen Eingangstür herunter in den Kanal führten, waren vom ewigen Anschlag der Wellen poliert, da und dort zernagt, und die untersten hatten von Moos und Tang einen grünlichen Schimmer bekommen. Die Gondelpfeiler aber leuchteten frisch angestrichen in Weiß-Blau, den Farben der Priuli, die Dogenmützen, die sie bekrönten, glitzerten neuvergoldet, und wenn auch eine kleine Metallplatte mit verwitterter Inschrift zwischen dem Erdgeschoß und dem ersten Stockwerk verlöscht und zerstört dahing, so war doch der ganze Eindruck des Palastes ein so vornehmer, daß die Schöttlings meinten, er gehöre zu den besterhaltenen, die sie noch gesehen hatten.
Der Gondoliere begann, sobald er um die Ecke vom Canal Grande abgebogen war, mit den üblichen Erklärungen. Er nannte den vermutlichen