Das letzte Märchen. Paul Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Keller
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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schnarrte der also begrüßte Eheherr.

      Seine Frau schien es nicht zu glauben; ich hörte noch lange, wie sie uns nachschimpfte.

      Wie lange wir so flogen, weiß ich nicht. Manchmal kam mir ein Frostgefühl, manchmal schlich mir auch eine leise Bangigkeit ins Herz. Dann schaute ich meine liebliche Begleiterin an, und es ging wohlgemut weiter, immer weiter.

      Endlich hielten die Krähen an, streckten breit die Flügel aus wie Fallschirme, und wir sanken langsam zur Tiefe. Mitten im Winterwalde landeten wir.

      »Wir sind nun dicht an der Grenze,« sagte Herr von Stimpekrex zu Angelika und mir. »In wenigen Minuten betreten Sie herididasufoturanisches Gebiet. Einen Paß brauchen Sie nicht, da Sie durch uns rekognosziert werden; auch leben wir mit dem Deutschen Reich in bestem Einverständnis und tiefem Frieden.«

      Ich erkundigte mich nach den Zollverhältnissen und erfuhr, daß außer Dynamitbomben und Alkohol jeder Reisende bei sich führen dürfe, was ihm beliebe.

      Nun galt es für uns beide noch, Abschied zu nehmen von der Welt. Von unserer Welt! Von dem klaren, blauen Himmel und all seinem lieben Licht, von der freien Luft und all ihrem Duft und Klang, von Wald und Berg, von den Strömen und Auen und von den Menschen.

      Die Winterluft streichelte uns noch einmal wie eine gute, herbe Mutter die Wangen mit rauhen Händen; der Mond lachte uns noch einmal ermutigend zu wie ein lustiger Onkel zwei Kindern, die sich fürchten; von einer fernen Straße klangen Schlittengeschell und ein abgerissenes, frohes Lachen.

      »Lebe wohl, du liebe, herrliche Menschenerde!«

      Herr von Stimpekrex reichte Fräulein Elkaguntascha den Arm, ich nahm Angelika an der Hand, hinterher marschierten schweigsam und verdrossen die Krähen. So ging es ein Weilchen in den Wald hinein. Ein grauer Stein stand senkrecht in einer Bergwand; er war kaum so groß wie eine Schiefertafel. Herr von Stimpekrex drückte auf eine Feder, der Stein drehte sich, ein Gang wurde sichtbar, der Stein schloß sich hinter uns, – die Welt lag draußen.

      Als wir etwa dreihundert Meter von der Erdoberfläche entfernt waren, stand eine Grenztafel am Wege. »Deutsches Reich« stand auf der einen Seite, »Königreich Herididasufoturanien« auf der anderen. Herr von Stimpekrex blieb stehen und hielt eine kleine Begrüßungsansprache. Er sprach mehr herzlich als gut. Ein Händedruck am Schluß; wir waren im Ausland.

      Wenn Deutsche ins Ausland kommen, dann sehen sie gleich immer etwas, was ihnen sehr imponiert. Mir ging es natürlich auch so. Während nämlich der reichsdeutsche Teil des unterirdischen Ganges völlig finster gewesen war, war der herididasufoturanische durch kleine, elektrische Bogenlampen sehr gut erhellt. Ich kann unserem Auswärtigen Amt den Vorwurf nicht ersparen, daß es an der Grenze von Herididasufoturanien nicht für eine dem Deutschen Reiche würdige Beleuchtung gesorgt hat, und ich werde die Sache energisch zur Sprache bringen, falls ich noch einmal in den Reichstag gewählt werden sollte.

      Zwei herididasufoturanische Grenzjäger tauchten auf und forschten nach Dynamitbomben und Alkohol. Wir hatten nichts Steuerbares oder Verbotenes und konnten passieren. (In Parenthese bemerke ich, daß deutsche Grenzjäger da unten auch fehlen; ich muß unbedingt in den Reichstag.)

      »Achtung, Herrschaften! Der Fahrstuhl!«

      Wir bestiegen das elegant ausgestattete Coupé eines Fahrstuhls und sanken zur Tiefe. Wie tief es ging, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß dahinunter auch der riesigste Erdbohrer nimmer reichen wird, daß in jenes Gebiet auch der genialste Doktor-Ingenieur niemals dringen wird. Wenn überhaupt ein Mensch sich dahin durchgräbt, so wird es ein Kind mit seinem Blechlöffel sein.

      Im Erdlicht

      Erdlicht! Ihr Menschen würdet nichts sehen als Dunkelheit, eine schwarze, schwüle Nacht, durch die ferne, unheimliche Feuer aufbrennen, durch die graugelbe Dampfschwaden ziehen und bläuliche Strahlungen phosphoreszieren.

      Wichtelchenaugen sind glücklicher.

      Ich sah, daß es Tag war, nicht ganz so heller Tag wie auf der Erde; etwa wie das Licht eines bewölkten Sommermittags so war's.

      Ich war nicht in einer Höhle, ich war in einem weiten, unübersehbaren Lande. Dort, wo sich der Blick verlor, baute sich ein blaues Gebirge auf, davor lag ein schimmernder See, aus dem strahlten tausend farbige Springbrunnen zur Höhe. Und um den See waren blaue, weiße, gelbe, rote Hügel, darüber rannen bunte Bäche. Durch langgestreckte Landzungen und kleine Inseln war der See in viele Becken geteilt.

      »Der See der Gesundheit,« sagte mein Begleiter. Ich fragte ihn nicht nach seiner Bedeutung, ich sah zuviel Neues.

      Da war ein Gebirge, das leuchtete wie die Schneefirnen, wenn sie im Abendglühen liegen, da war ein anderes, das schimmerte wie grünes Glas. Ein breiter Strom ging durchs Land, daran lagen viel tausend Zelte und Häuser, und über alles spannte sich eine riesige braune Himmelskugel.

      Ich starrte hinauf und wußte nicht, was das sei.

      »Ist denn das Erde?« fragte ich Herrn von Stimpekrex und wies hinauf.

      »Gewiß,« sagte er stolz, »wir haben einen massiven Himmel.«

      »Und Sonne, Mond und Sterne?«

      »Haben wir nicht! Brauchen wir auch nicht! Wir haben ein Landesgesetz, das bestimmt ganz genau, welche Zeit als Tag und welche als Nacht anzusehen ist.«

      »Aber es ist immer gleich hell?«

      »Immer! Ist aber egal, Nacht und Tag müssen wir doch haben.«

      »Wo kommt aber das Licht her?«

      »Das sollten Sie sich eigentlich denken können! Den ganzen Tag trinkt die Erde Himmelslicht, sie trinkt es mit Millionen Poren, sie trinkt es durch jeden hohlen Blumenhalm, sie saugt es auf mit ihren blauen Augen, mit Meer und See; selbst in der Nacht, wenn Mond und Sterne scheinen, trinkt sie Licht, wie ein gesundes, vielhungriges Kindlein trinkt im Traum. Wo kommt all das Licht hin, das die Erde trinkt? Es ist hier unten bei uns.«

      »O, das ist gut,« sagte ich; »das ist gut!«

      »Ja,« fuhr mein Begleiter fort, »und was nun die Jahreszeiten anbelangt, so sind wir eigentlich in Verlegenheit. Es ist bei uns nämlich immer gleich warm. Da haben wir denn auch wieder ein Landesgesetz, das bestimmt, wenn Sommer und wenn Winter ist. Im allgemeinen richten wir uns nach dem benachbarten und befreundeten Deutschland. Jetzt haben wir auch Winter, das heißt also gesetzlichen Winter. Die Eisenbahnverwaltung läßt jetzt die Waggons heizen, und wenn jetzt jemand barfuß ginge oder Vanille-Eis äße, dann würde er sich strafbar machen. Sie werden das alles sehr praktisch und verständig finden.«

      »Nein,« sagte ich, »ich kann nicht begreifen, wozu alle diese Maßnahmen sind, wenn es doch immer gleich warm ist.«

      Der kleine Herr sah mich ärgerlich an.

      »Was wollen Sie? Wir müssen doch Abwechselung haben; wir sind weder Wüsten — noch Nordpolbewohner; wir müssen absolut Abwechselung haben, schon der Geschäfte wegen, die eine Sommer — und Wintersaison brauchen. Ich rate Ihnen, Herr Doktor Barragu, stellen Sie sich nicht auf die Seite der Opposition. Das würde Ihnen furchtbar schaden!«

      »Was heißt das?« fragte ich bestürzt.

      »Verstehen Sie etwas von Politik?« fragte er zurück.

      »Nein,« antwortete ich, »Dichter verstehen nie etwas von Politik.«

      Der Gesandte atmete tief auf.

      »Eigentlich müßten Sie ja als Chefredakteur der Zeitung wohl was von Politik verstehen; aber es ist immer noch besser, Sie machen die Zeitung ohne Verständnis als mit falschem Verständnis.«

***

      »Wir woll'n unsern Lohn!«

      »Wir haben gearbeit'!«

      »Wir woll'n nu mal heim!«

      »Mögen sie doch and're warten lassen!«

      Das waren die Krähen, die immer noch bei uns waren. Herr van Stimpekrex hatte einen herididasufoturanischen Fluch auf