Das letzte Märchen. Paul Keller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Keller
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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sei; Herr von Stimpekrex aber belehrte mich, daß erstens Barragu die wörtliche Übersetzung meines Namens ins Herididasufoturanische sei, und daß ich zweitens auch der beiden Titel nicht entbehren könne, da in Herididasufoturanien keiner als kluger Mann angesehen werde, der nicht mindestens Doktor sei.

      »Ich freue mich wehr, Herr Profeffor, wie kennen fu lernen,« sagte das freundliche Fräulein. »Ich war nämlich ebenfalw aufwärtw und habe eine Dame engagiert, die unferen Prinfeffinnen daw Klavierfpielen und Engliwfprechen lernen woll.«

      »Und jetzt sind Sie auf dem Heimwege?« fragte der Leutnant freudestrahlend.

      »Jetft reifen wir nach Haufe!« nickte sie und lud uns endlich ein, in die Stube zu kommen.

      Das Gemach war nicht sehr groß, aber behaglich warm. In dem Halbdunkel erkannte ich anfangs nicht viel, allmählich aber gewöhnten sich meine Augen an die Dämmerung, und ich sah eine Dame, die auf einem lang daliegenden Tannenzapfen saß. Das war sicher die Engländerin. Ich hatte mich lange mit der englischen Sprache nicht beschäftigt, nahm aber alle meine Kraft zusammen und sagte:

      »Good evening, Lady, I am very pleased to see you. I am a human being, as well as you and, like you, engaged to Herididasufoturanien.«

      »Wie spricht auch deutf!« rief Fräulein Elkaguntascha mir zu.

      Die Fremde reichte mir die Hand.

      »Ja, mein Herr, ich bin eine Deutsche. Sie können sich denken, daß ich mich ebenfalls aufrichtig freue, Sie kennen zu lernen.«

      »It is better to speak English!« sagte ich mit einem Seitenblick auf die beiden anderen und setzte mich zu der Fremden, nachdem sie mich freundlich dazu eingeladen hatte. Es waren nur zwei Sitzgelegenheiten da: zwei Tannenzapfen, die hier die Stelle von Bänken vertraten; auf dem einen saßen bereits Herr von Stimpekrex und Fräulein Elkaguntafcha, die herididasufoturanisch sprachen.

      Es war merkwürdig, wie ich mich vom ersten Augenblick an zu der Fremden hingezogen fühlte. Das war wohl, weil wir beide Menschenkinder waren, die einer merkwürdigen Zukunft entgegengingen.

      Wir saßen nahe der Tür. Das Mondlicht drang herein und ließ mich die Züge meiner Nachbarin deutlich erkennen. Sie war sehr schön, und ihre Kleinheit fiel mir gar nicht auf, da ich alles mit Wichtelchenaugen sah. Der Nachtwind spielte leise mit ihren schwarzen Haaren und rötete das Gesichtchen, aus dem ein paar bange, dunkle Augen schauten.

      Ich erzählte ihr, was ich an diesem Abend Wundersames erlebt hatte, und sie berichtete, daß ihr ganz Ähnliches passiert sei. Ein Klavierlicht neben ihr hätte sich plötzlich in die kleine Dame (Elkaguntascha) verwandelt, die ihr ein Engagement an den Hof von Herididasufoturanien als Sprach — und Klavierlehrerin angeboten hätte.

      »Und denken Sie,« setzte sie verschämt hinzu, »zwei Millionen Mark soll ich für das eine Jahr Honorar erhalten.«

      Ich schwieg. Zwei Millionen – ein Lumpengeldl Ja, es ist auffallend, wie schlecht die Klavierlehrerinnen gegenüber den Chefredakteuren besoldet werden.

      »Ich nahm es an,« fuhr die Fremde fort, »nur um des Geldes willen. Wir sind arm, obwohl wir vom Adel sind. Papa ist tot, Mama ist oft kränklich, und dann habe ich noch zwei jüngere Schwestern und einen älteren Bruder, der Student ist und viel Geld kostet, obwohl er ganz fleißig und sparsam ist.«

      Gerührt betrachtete ich das gute Kind.

      »So opfern Sie sich für die Ihrigen,« sagte ich teilnehmend. »Denn es wird Ihnen wohl schwer geworden sein, die Heimat zu verlassen.«

      Sie schlug das Gesichtchen nieder.

      »Schwer! Ohne Abschied fortgegangen von der Mutter. Sie hätte mich sonst nimmermehr in eine so ungewisse, gefahrvolle Zukunft gehen lassen. Ich tat es, um ihnen allen später ein sonnigeres Leben bereiten zu können. Sie brauchen es doch alle so nötig.«

      »Ich bewundere Sie, liebes Fräulein, ich bewundere Sie!«

      »Sie müssen das nicht sagen, mein Herr; ich tue doch bloß meine Pflicht, und Sie haben ja ganz dasselbe gewagt.«

      »Ja,« lachte ich, »aber aus ganz anderen Beweggründen. Weil ich ein leichtsinniger Mensch war, weil ich mir vor lauter Schulden keinen Rat wußte, weil ich ein Abenteuer erleben und Geld verdienen wollte für ein späteres genußreiches, ach, höchst selbstsüchtiges Leben.«

      Sie sah mich freundlich an.

      »Nur gute Menschen klagen sich selbst an,« sagte sie mild. »Und wenn Sie nicht, wie ich, Sehnsucht gehabt hätten dahinunter, tiefe, heiße Sehnsucht, würden Sie trotz allem nicht hingehen.«

      Ich reichte ihr die Hand und war bewegt.

      »Wir wollen Freunde sein, wenn es Ihnen recht ist, wir wollen als Fremdlinge dort unten in der geheimnisvollen Welt menschenbrüderlich zusammenhalten.«

      Sie gab mir freudig ihre Rechte und nahm sie nicht bald wieder fort. Heimlich zog der Nachtwind um unser kleines, warmes Haus, der mächtige Eichbaum regte im Schlafen müde die gewaltigen Glieder, und draußen schien der Mond, und draußen ging die Zeit, nach der die Menschen rechnen.

      Übers weiße Feld kam von fernher ein dumpfes Singen. Dort drüben in der blaudunstigen Ferne lag wohl ein schlafendes Menschendorf, ein schlafendes Menschenkirchlein, und auf dem Turm stand eine alte Frau, das vergangene, müde Jahr, die schlug mit zitternden Händen ihre letzte Stunde.

      Zwölf Uhr. Neujahr!

      »Auf eine glückliche Zukunft!«

      «Ein glückliches, gesegnetes, neues Jahrl« sagte sie herzlich.

      Meine Gedanken wanderten durch die Nacht zu den Freunden. Im »Adler« saßen sie jetzt, und einer hielt eine Rede aufs neue Jahr. Ich wußte, sie würden von mir sprechen, von meiner unerwarteten, geheimnisvollen Abreise, und die Augen aller würden auf einige Momente ernst werden und durch Lampendunst und Tabaksqualm mir mit ein paar träumenden Blicken nachirren, und alle würden mir Glück wünschen, wo immer ich auch sei.

      Meine Nachbarin begann wieder zu sprechen.

      «Jetzt werden meine Geschwister schlafen; aber die Mutter wird immer noch am Tische sitzen, und vor ihr wird mein Brief liegen.«

      Ich tröstete sie. »Ein Jahr vergeht rasch, wenn die Uhr dort drüben wieder Neujahr schlägt, sind wir frei und reich, und all die Ihrigen sind glücklich.«

      Station Boberquelle

      Herr Eichhorn erschien und meldete, die Krähen schimpften und fluchten ganz greulich und wollten auf — und davonfliegen, wenn sie noch lange warten müßten. Er finde solche freche Redensarten ja schrecklich respektwidrig, habe sich aber für verpflichtet gehalten, die Sache zu melden.

      Wir brachen sofort auf. An der Tür hielt Herr von Stimpekrex den Krähen eine donnernde Strafpredigt und kündigte ihnen den Dienst. Es treffe sich gut, sagte er, daß gerade der Quartalserste sei; am l. April sollten die Krähen ihre Stellen als herididasufoturanische Staatskuriere verlieren, während Herr Eichhorn für eine Auszeichnung in Aussicht genommen sei.

      Die Krähen nahmen die Kündigung für den l. April nicht tragisch. Sie sind meist nur Not — und Winterarbeiter, während sie sich im Sommer auf die Vagabondage verlegen. Herr Eichhorn dagegen bezeigte eine geschäftige Dankbarkeit, verneigte sich in rasender Eile dreimal vom Gipfel der Eiche bis zur Erde und stand militärisch salutierend an der Tür seines Hauses, als wir abreisten.

      Die Damen saßen auf silbergrauen Nebelkrähen, sehr hübschen Tieren von nicht gewöhnlicher Rasse. Unsere beiden Rapphengste hatten Mühe, mit ihnen Schritt zu halten, meist blieben wir um einige Krähenlängen zurück.

      Herr von Stimpekrex hatte mit Fräulein Elkaguntascha die Spitze. Sie ventilierten im Anschluß an die Rebellion der Krähen die Dienstbotenfrage. So blieb ich mit der jungen Dame – Angelika hieß sie – allein.

      Hoch über die verschneiten Fluren ging unser Weg, über weiße Berge und dunkle Täler. Ein altes Gemäuer tauchte auf, daraus erscholl die keifende Stimme einer Krähenfrau:

      »Hör