Das Schweigen der Prärie. Ole Edward Rölvaag. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ole Edward Rölvaag
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Die sind weit voraus. — Schau gut um dich, und entdeckst du Verdächtiges, so rufe.«

      Der Per Hansen sah wieder auf die Uhr und schritt unverdrossen weiter. Der Ole sträubte sich nicht mehr, trat neben die Fährte und wartete auf den nachfolgenden Wagenzug. Der Große-Hans sprang schnell herunter, und der andere kletterte hinauf.

      »Habt ihr etwas von ihnen entdeckt?« fragte die Mutter.

      »O nein — vorläufig noch nicht,« sagte der Olamann leichthin.

      »Kriegen wir sie überhaupt je wieder zu Gesicht, dann mag es auch noch eine Weile währen!« sagte sie vor sich hin. »Hier geht‘s gewiß bis ans Ende der Welt und noch ein Stück weiter!«

      Der Große-Hans, der noch neben dem Wagen herlief, hörte es und sah auf; kindliche Unerschrockenheit strahlte von dem braunen Gesicht, — wie konnte die Mutter nur alles so trüb ansehen! »Aber wenn die und wir immer der Sonne nachfahren, dann müssen wir ja doch am selben Orte landen? — Die Sonne, die hält Kurs!«

      Das hatte er gestern abend den Vater sagen hören. Er fand das so sonnenklar, erstens, weil der Vater es gesagt, zweitens, weil es sich so selbstverständlich und richtig anhörte. — Aber jetzt lief er zum Vater vor und faßte dessen Hand; so fühlte er sich am besten geborgen.

      Die beiden wanderten nebeneinander her; bisweilen lugte der Bub verstohlen in das Gesicht über ihm, das so ernst und unerschütterlich war wie die Prärie selber. Er hätte eigentlich gern ein wenig geplaudert, aber es fiel ihm nichts ein, was sich männlich genug ausgenommen hätte. — Allmählich aber schien ihm das Schweigen doch gar zu lang zu werden; er versuchte so ganz nebenher und möglichst wie der Vater, ein paar Wörter fallen zu lassen:

      »Wenn ich erst groß bin und Pferde habe, dann baue ich einen Weg über dies ewige Flachland hier, und dann — und dann ramme ich Pfähle ein, nach denen sich die Leut richten können. — Glaubst du wohl, daß das geht?«

      Ein Lächeln blinkte in dem Bart: »Aber gewiß, Großer-Hans, das bringst du alleweil fertig. — Vielleicht, daß ich dann auch die Zeit hab, dir ein paar Arbeitsschichten dabei zu helfen!«

      Der Bub merkte am Tonfall, daß der Vater gut aufgelegt war, und das stimmte ihn so fröhlich, daß er sich vergaß und tat, was die Mutter nicht leiden konnte: er fing an zu pfeifen, und er versuchte ebenso große Schritte zu nehmen wie der Vater. Aber bei ihm sagte das Gras bloß: »Swisch-ih, swisch-ih!«

      Und weiter ging es nach Westen — tiefer hinein ins Abendrot.

      Die Mutter hatte Klein-Annemarie auf den Schoß genommen und lehnte sich zurück; das tat dem müden Rücken wohl. Das Spielen und Kosen und Plaudern des Kindes ließen sie Sorge und Furcht vergessen — und die Unendlichkeit, die sie von allen Seiten umdrohte. — Der Ole neben ihr lenkte die Ochsen wie ein Großer; und woran es auch liegen mochte: er brachte den Ochsenbeinen mehr Beweglichkeit bei als sie — das sah sie selber; seine geschwinden Augen ließen nichts in der Nähe oder Ferne unbeachtet.

      Die große Ebene stieg jetzt am Horizont an; es glich eigentlich einer Schwellung unter der Haut. Der Per Hansen hielt scharf auf den höchsten Punkt zu, obgleich es ein wenig vom Kurse abwich.

      Die Nachmittagsbrise flaute ab. Die Sonne verlor unmerklich ihren Goldglanz, bekam ein rotes Licht, das seltsam und matt erglänzte und doch noch viel Macht besaß, — verglomm dann in Rotviolett. Sie wuchs zu gewaltiger Größe an, sank der Ebene näher und näher, sank mit eins fröstelnd geschwinde. — Die Erhabenheit des Abends nahm sie alle gefangen; die Ochsen schüttelten die Ohren, Buntscheck machte sich Luft in einem langgedehnten Brüllen, das in der Stille zähe dahinstarb. Gerade als die Sonne ihr Auge schloß, wuchs die gewaltige Einöde empor. Es wurde plötzlich so öde über der Landschaft; etwas Kaltes, Erloschenes verwebte sich mit der Stille. Hinter ihnen lag jetzt tief grüne Widde Die Bezeichnung für die weite öde norwegische Hochebene, hier von den norwegischen Fischerwirten auf die Prärie angewandt. mit schwarzblauem Dunkel darüber. — — — Dicht über der Höhe in Nordwest schwebten leichte Gutwetterwolken; sie hatten sich mit blankgeputzte Goldkanten geschmückt, die milde leuchteten. Die Wolken schwebten so leicht dahin, als wären sie ohne Schwere.

      Die Mutter saß wieder aufrecht; das Kind hielt sie noch immer auf dem Schoß. Per Hansen und der Große-Hans schritten weit voran durch den Abend.

      Während der beiden letzten Tage war der Per immer gar so weit vorausgegangen, und sie meinte zu wissen weshalb.

      »Per,« rief sie müde, »rüsten wir nicht bald zur Nacht?«

      »O gewiß.« Er ging jedoch keineswegs langsamer.

      Die Mutter weinte jetzt leise. Der Olamann tat, als merke er nichts, obwohl er große Klumpen im Halse hinabwürgen mußte; er spähte unermüdlich umher.

      »Vater!« rief er nach einer Weile, »ich sehe im Westen Wald!«

      »Ho, wirklich, du Gernegroß? Den haben der Große-Hans und ich schon lange gesehen!«

      »Wo ist er, wo?« fragte der Große-Hans eifrig.

      »Da unten links am Höhenzug fängt er an und zieht sich nach hinten herum. — Sieht übrigens nicht gerad nach viel was aus.«

      »Glaubst du, Vater, daß sie dort sind?«

      »Aber nein! — Doch haben wir die Richtung.«

      »Sind die anderen hier gewesen?«

      »Freilich, — jedenfalls nicht weit ab. — Ein Bach soll da sein, der so etwas wie Split Rock Creek heißt, oder wie‘s der Kuckuck auf Englisch nennen mag.«

      »Wohnen hier Menschen, glaubst du?«

      »Menschen? Bist nicht gescheit, Bub! In diesen Gegenden gibt‘s überhaupt keine Menschen!«

      Die blaudunkle Finsternis legte sich jetzt schnell und dicht um die kleine Schar; man konnte die Nacht kommen fühlen; sie atmete Kühle aus.

      Endlich blieb Per Hansen stehen: »Nein, jetzt aber stopp; am Ende krepieren wir sonst noch mitsamt den Tieren.« Damit wandte er sich nach den Ochsen um, streckte die Arme seitwärts wie Querbalken an einem Kreuz, rief ein langgezogenes »Ho-o!« — und damit hatte das Karren für diesen Tag ein Ende.

      III

      Die Vorbereitungen zum Abend und zur Nacht waren schnell getroffen; jeder hatte seine bestimmte Obliegenheit und war jetzt gut eingeübt.

      Der Große-Hans sorgte fürs Holz; das Holzbündel hing unter dem hinteren Wagen und bestand aus Kleinholz und Reisig vom letzten Wäldchen, an dem sie vorbeigekommen waren. — Der Ole richtete die Feuerstätte her; zwei an dem einen Ende gespaltene Eisenstäbe wurden in die Erde gebohrt und ein dritter quer darüber gelegt. Ferner war der Ole dafür verantwortlich, daß bei jeder Rast genug Wasser in dem Holzfäßchen war. Außerdem hatte er der Mutter zur Hand zu gehen. — Der Vater besorgte das Vieh. Er hob zuerst das Joch von den Ochsen und koppelte sie los; dann molk er Buntscheck und ließ sie laufen. Zuletzt richtete er unter dem Wagen das Nachtlager ein für sich und die Seinen. — Während die Mutter das Aufkochen im Kessel abwartete, deckte sie den Tisch. Sie breitete eine Decke auf dem Erdboden aus, legte für jeden einen Löffel darauf, setzte zwei Schalen zur Milch hin und holte eine Schüssel für das Mus. — Und außerdem durfte sie das Gössel nicht aus den Augen verlieren, das im Grase herumtappelte, hinfiel, vergnügt quietschte, wieder aufstand, mit dem Fuß in das lange Röckchen trat, von neuem hinpurzelte und lachte, daß es durch den Abend trillerte; von Zeit zu Zeit ließ sich die warnende Stimme der Mutter vernehmen.

      Der Große-Hans war zuerst mit der Arbeit fertig. Er zögerte einen Augenblick, begab sich dann aber doch auf eigene Faust auf eine Spritztour nach Westen. Wie weit mochte es wohl bis zu dem Hügel da vorne sein? Spaßig zu sehen, wie es wieder westlich von dem aussah! Vielleicht waren die anderen dort? Denn irgendwo mußten sie doch sein? Dann wollte er sie mit Indianergeheul überraschen und ihnen fürchterliche Angst einjagen! — Er war schon ein gut Stück gegangen, als er sich umsah. Und da durchfuhr ihn ein Schreck: die Wagen waren jetzt Pünktchen auf dem Boden eines unendlichen schummerigen