Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten.
Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.
»Was sieht mein weißer Bruder?« fragte der Apache. – »Neunundvierzig Komantschen.« – »Pshaw«, sagte der Apache geringschätzend. – »Und sechs Gefangene.« – »Sind die Frauen mit dabei?« – »Ja, zwei.« – »Wir werden sie befreien.«
Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich von selbst, daß er es ganz allein mit einem Schock Komantschen aufnehme. – »Am Abend?« fragte der Deutsche. – »Ja«, nickte der Apache. – »Aber wie?« – »Wie ein Häuptling der Apachen!« sagte Bärenherz stolz. – »Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Komantschen können nicht hundert Wachen aufstellen.« – »Wir wollen uns verbergen.« – »Warum?« fragte der Vaquero. – »Willst du dich etwa sehen lassen?« antwortete Helmers. – »Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen!« – »Es können ja auch noch andere außer dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsere Fährte verwischt wird.«
Helmers kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Weg, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde in dem dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.
Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Versteck. Die beste Zeit zum Überfall war kurz nach Mitternacht. – »Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?« fragte der Deutsche den Apachen. – »Ja«, antwortete dieser. »Wir wollen wie tapfere Männer handeln. Kannst du eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich gibt?« – »Ja.« – »Gut. So schleichen wir uns hinzu, töten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.« – »Natürlich zu Pferde?« – »Ja.« – »So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.« – »Aber dieser Vaquero bleibt zurück?« fragte der Apache. – »Ja, er hat die Pferde zu halten.« – »Wo erwartet er uns?« – »Da, wo wir die Komantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.« – »So laß uns beginnen.«
Die beiden mutigen Männer ergriffen darauf ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Instruktionen erteilt hatten, davon.
Unten im Tal brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Komantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Tal erreichten, sagte Bärenherz:
»Ich gehe links, und du gehst rechts.« – »Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.«
Dann trennten sie sich.
Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prärie gebräuchlich ist. Man legt sich nämlich dabei auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam weiter. Man darf dabei weder gehört, noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.
So tat es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, die langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. So kam er ungesehen der Wache bis auf fünf Schritt nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank, ohne eine Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können, nieder.
So gelang es Helmers, nach vielleicht einer Viertelstunde eine zweite Wache unschädlich zu machen, dann stieß er mit Bärenherz zusammen, der auf dieselbe Weise auch zwei Komantschen getötet hatte.
»Nun die Frauen!« flüsterte der Indianer. – »Vorsicht!« bat der Deutsche. – »Pshaw! Der Apache ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!« war die Antwort.
Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreicht sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohr der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offenhielt und ihn beobachtet hatte.
»Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!« flüsterte er. »Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.«
Sie verstand ihn. Die Frauen lagen nebeneinander und waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.
Sobald der Apache bemerkte, daß der Deutsche sich der Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer vier, sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um auch ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien getan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer. Er hatte die Bewegungen des Apachen im halben Schlaf gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tode Getroffene fand noch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.
»Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!« rief der Apache, indem er blitzschnell die Banden der übrigen löste.
Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.
»Schnell, schnell, um Gottes willen!« rief auch der Deutsche und ergriff hüben und drüben eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehen konnten.
»Bärenherz!« rief da der Deutsche in höchster Angst. – »Hier!« ertönte die Stimme des Apachen. – »Schnell herbei!«
Im nächsten Augenblick war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Helmers tat es ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen auf das Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt waren und jagten davon.
Das alles war in größter Angst, aber mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehen, doch keinen Augenblick zu früh, denn in dem Moment, in dem sie die Tiere antrieben, krachten hinter ihnen die Schüsse der Komantschen.
Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalls gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst dann, was geschehen war, als die Gefangenen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohenen nach.
Helmers und der Apache ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg, und jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich liegen. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero auf sie. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden anderen Pferde am Zaum.
»Uns nach!« rief ihm Helmers zu, der ihn halten sah.
So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder in das Tal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Komantschen, die ohne Aufhören ihre Gewehre abschossen, ohne jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prärie, und nun konnte man an eine Gegenwehr denken.
»Können Sie reiten, Señorita?« fragte Helmers seine Dame. – »Ja.« – »Hier ist der Zügel! Immer geradeaus!«
Damit sprang er ab und stieg auf sein Pferd, das der Vaquero am Zügel führte. Der Apache tat ganz dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen