Old Surehand I. Karl May. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karl May
Издательство: Public Domain
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
isbn:
Скачать книгу
ein Seilkünstler, meldeten sich freiwillig, um ihr Urteil zu Gunsten des Angeschuldigten abzugeben. Sie alle, ohne eine einzige Ausnahme, behaupteten, daß er nicht anders habe handeln können, daß sein Sohn unbedingt verloren gewesen sei. Kurz, er wurde freigesprochen und aus der Untersuchungshaft entlassen. Diejenigen, welche ihn im Augenblicke der Aufregung hatten lynchen wollen, empfingen ihn jubelnd am Thore des Gerichtsgebäudes. Er lebte noch eine Reihe von Jahren, geachtet von allen, die ihn kannten; man sagt, er habe nie wieder lachen oder auch nur lächeln können; es war ihm unmöglich, die That, zu der er sich gezwungen gesehen hatte, zu verwinden, aber es hat keinen einzigen Menschen gegeben, dem es in den Sinn gekommen wäre, sie ihm vorzuwerfen. Was sagt Ihr nun, Sir?«

      »Daß es ganz richtig gewesen ist, ihn freizusprechen,« antwortete Jos. »Aber was hat mein damaliger Unglücksschuß mit diesem Dachdecker zu thun?«

      »Das merkt Ihr nicht?«

      »Nein.«

      »Und doch liegt es so nahe. Dieser Mann hat seinen Sohn, wie Ihr selbst vorhin sagtet, mit Bedacht getötet, während Ihr den Apatschen aus Versehen erschossen habt. Der Dachdecker wurde freigesprochen; wie würde eine Jury wohl über Euern Fall urteilen?«

      Er blickte nachdenklich zu Boden. Es war, als ob ein heller, froher Zug über sein melancholisches Gesicht gleiten wolle; dann reichte er mir die Hand und sagte:

      »Jetzt weiß ich, wie Ihr es meint, Mr. Charley. Es hat mir so lange, lange Zeit auf der Seele gelegen, daß es nicht so schnell, wie Ihr wohl denkt, abzuwerfen ist; aber ich danke Euch! Werde über Eure Erzählung nachdenken; vielleicht thut sie das, was Ihr beabsichtigt habt. Von hier aber treibt es mich dennoch fort, ich mag den Ort nicht länger sehen. Wollen machen, daß wir aus dem Unglückscañon kommen!«

      Ja, ich hatte es gut mit ihr gemeint und sollte später erfahren, welchen Nutzen sie ihm und infolgedessen auch – mir brachte. Ich hatte einen dankbaren Freund gewonnen.

      Wir stiegen zu Pferde und ritten weiter. Der Cañon war so lang, daß wir erst nach einer Stunde den Ausgang erreichten. Dort standen wieder mehrere Exemplare des säulenartigen Riesenkaktus, welche Früchte trugen. Als Sam Parker dies sah, hielt er sein Pferd an und sagte den andern, indem er auf mich deutete:

      »Ihr werdet zugeben, Mesch‘schurs, daß es immer gut ist, zu wissen, wie weit man auf einen Mann, mit dem man reitet, rechnen kann. Dieser Mr. Charley hat sich zu uns gesellt und wird uns wahrscheinlich nicht so bald verlassen. Wir können in jedem Augenblicke eine Begegnung mit den Comantschen haben und gezwungen sein, nach unsern Gewehren zu greifen. Meint Ihr nicht, daß es da richtig ist, von ihm einige Probeschüsse zu verlangen?«

      »Ja, ja, er mag schießen; er mag zeigen, was er kann!« wurde ihm beigestimmt. Nur Jos Hawley schwieg.

      »Ihr habt es gehört, Sir,« fuhr Parker fort, sich nun zu mir wendend. »Hoffentlich weigert Ihr Euch nicht, uns eine Probe von Eurer Kunstfertigkeit zu geben?«

      »Nein,« antwortete ich. »Doch setze ich voraus, daß ich nicht allein es bin, der sein Examen abzulegen hat.«

      »Wer denn noch?«

      »Natürlich Ihr.«

      »Ich – — —?« fragte er gedehnt.

      »Ihr und die andern Gentlemen auch, wie sich doch ganz von selbst versteht.«

      »Von selbst versteht? Ich wüßte nicht, warum dies so selbstverständlich sein könnte. Wahrscheinlich könnt Ihr nicht besser schießen wie ich damals, als ich zu Old Wabble kam. Ich hätte schon gestern im Lager gern einige Probeschüsse von Euch gesehen, wollte Euch aber nicht vor den Truppen blamieren. Jetzt sind wir allein und haben keine Zeugen, die gern lachen.«

      »Well! Nach welchem Ziele soll geschossen werden?«

      »Dort stehen Kaktuspflanzen, vielleicht hundertfünfzig Schritte weit. Sie tragen Früchte. Möchte doch wissen, ob Ihr von hier aus einen solchen Kaktusapfel treffen könnt.«

      »Könnt Ihr das denn, Mr. Parker?«

      »Wetter! Welch eine Frage! Zweifelt Ihr etwa daran?«

      »Ob ich zweifle oder nicht, das ist sehr gleichgültig.«

      »Oho! Ihr seid kein Westmann, sonst müßtet Ihr wissen, daß ein solcher Zweifel eine Beleidigung ist.«

      Die Sache machte mir natürlich Spaß. Old Shatterhand sollte zeigen, daß er schießen könne. Ich antwortete lächelnd und in ruhigem Tone:

      »So scheint Ihr also auch kein Westmann zu sein.«

      »Ich? Kein Westmann! All devils! Sam Parker soll kein Westmann sein! Wie kommt Ihr auf diese so ganz außerordentliche Idee?«

      »Weil Ihr auch nicht zu wissen scheint, daß ein solcher Zweifel beleidigend ist. Würdet Ihr sonst eine Probe von mir fordern?«

      »Pshaw! Das ist etwas ganz andres. Ihr reitet hier auf Euerm Kutschpferde herum, um nach Altertümern zu suchen; wir aber sind Westmänner.«

      »Ob Ihr das wirklich seid, weiß ich noch nicht. Ihr verlangt eine Schießprobe von mir, weil Ihr mich nicht kennt; ich kenne Euch ebenso wenig wie Ihr mich und habe also genau dasselbe Recht, zu erfahren, wie Ihr mit Euern Gewehren umzugehen versteht. Ich werde schießen, ja, aber nur dann, wenn auch Ihr mir zeigt, was Ihr gelernt habt.«

      Er sah mir eine Weile ganz erstaunt in das Gesicht, brach dann in ein Gelächter aus, in welches die andern sehr laut einstimmten, und rief dann aus:

      »Was wir gelernt haben! Das ist köstlich! Nicht wahr, Mesch‘schurs? Sam Parker soll zeigen, was er gelernt hat! Das ist ihm noch nie widerfahren, niemals in seinem ganzen Leben!«

      »Oho!« widersprach ich ihm. »Ihr habt ja gestern erzählt, daß Ihr vor Old Wabble eine Probe ablegen mußtet, damals, als Ihr auf dreißig Schritte wohl einen Kirchthurm, aber keinen Geier treffen konntet.«

      »Ja, dazumal! Aber jetzt ist es anders. Jetzt hat Sam Parker es nicht nötig, sich wie einen Schulbuben examinieren zu lassen. Doch, vielleicht habt Ihr einmal gehört, daß kein Westmann sich die Gelegenheit entgehen läßt, einen guten Probeschuß zu thun, und so wollen wir auf Euer Verlangen eingehen, so sonderbar es immer ist. Seid Ihr einverstanden, Mesch‘schurs?«

      Die andern neun Männer gaben ihre Zustimmung, und so stiegen wir von den Pferden. Ich nahm mir vor, recht schlecht zu schießen und mich tüchtig auslachen zu lassen. Später konnte dann ich über sie lachen. Wenn sie mich infolge meines Vorgebens wirklich für einen sonderbaren Kauz hielten, der nach »alten Gräbern« suchte, so mußten sie als Westmänner doch Augen dafür haben, daß mein Rapphengst kein Kutschengaul« war.

      Die Pulververschwendung begann. Parker und Hawley schossen zwar nicht meisterhaft, aber doch gut, die andern leidlich. Meine drei Kugeln gingen fehl; sie trafen so weit vom Ziele auf den Felsen, daß ich allerdings ein überlautes Gelächter erntete und Parker in verweisendem Tone zu mir sagte:

      »Habe es mir gedacht! Wer seine Kugeln über zwanzig Schritte zu weit seitwärts fliegen läßt, der sollte nicht ein solches Bigmouth[7] sein, Sam Parker Probe schießen zu lassen! Nehmt mir dieses Wort nicht übel, Sir, aber blamiert seid Ihr im höchsten Grade! Ihr werdet weder ein Wild noch einen Indianer treffen und könnt froh sein, daß Ihr uns getroffen habt, Ihr gefallt mir trotz alledem, und wir haben nichts dagegen, daß Ihr bei uns bleibt, bis wir in eine Gegend kommen, wo Ihr Euern Weg ohne Gefahr allein fortsetzen könnt.«

      Wir stiegen auf und ritten weiter. Es fiel mir nicht ein, ihm das »Bigmouth« und die Ermahnung übel zu nehmen; seine Ausdrucksweise war eben keine übermäßig feine, und ich hatte es ja nicht anders gewollt.

      Es waren zunächst einige durch Schluchten getrennte Hochplateaus zu durchqueren, und dann ging unser Weg nach dem Gebiete des Rio Pecos hinab, den wir, falls wir die gleiche Schnelligkeit beibehielten, morgen gegen Abend erreichen konnten. Bald gab es hier und da eine grasige Stelle, dann Laubgrün, welches aus Beerenranken und dergleichen bestand, und am Nachmittage trafen wir auf ein Wasser, an welchem erst vereinzelte Büsche und dann dichter stehende Sträucher Nahrung fanden. Grad als die Sonne untergehen wollte, führte dieses Wasser durch ein Thal, welches unsern Pferden fette


<p>7</p>

Großmaul.