»Gar nicht weit. Ich hörte von meiner Frau, daß sie grad dort gestanden sei, als ihr ankamt. Das Pferd hat zwischen dem Felsgeröll an der Spitze der Waldzunge gelegen.«
»So beabsichtige ich, einen Teil des Fleisches dorthin zurückzuschaffen, um den Bären an dem Ort seiner Mordtat zu erwarten.«
»Herr, was fällt dir ein!«
»Doch nichts Ungewöhnliches?«
»Sage das um Gottes willen nicht! Du willst ein solch riesiges Tier am dunklen Abend erwarten? So etwas hat man noch nie gehört. Wenn einmal der höchst seltene Fall eintritt, daß sich ein Bär in diese Gegend verirrt, so treten alle mutigen Männer der Gegend zusammen und bringen auch ihre Hunde mit, oder es wird nach Militär geschickt. Dann gibt es eine Schlacht, in welcher viele Hunde und wohl auch mehrere Menschen umkommen, während der Bär als Sieger den Kampfplatz verläßt, bis er endlich in einer zweiten, dritten oder vierten Schlacht überwunden wird.«
»Da tut man dem Tier doch gar zu große Ehre an. Ein einzelner Mann, der eine gute Büchse hat, genügt vollständig.«
»Herr, willst du etwa ganz allein hinaus zu ihm?«
»Willst du etwa mich begleiten?«
»Um alle Schätze der Erde nicht!« schrie er, alle zehn Finger steif von sich streckend.
»Nun, ich werde nicht allein gehen, sondern einen meiner Begleiter mitnehmen.«
»Mich natürlich, mich!« rief Halef, dessen Augen funkelten.
»Ja, du, Hadschi. Du sollst dabei sein, um Hanneh, der herrlichsten der Beglückerinnen, davon erzählen zu können.«
»Hamdullillah! Preis und Dank sei Allah! Ich werde Hanneh den Schinken des Bären bringen und ihr lehren, ihn zu pökeln und zu räuchern, wie — wie . — hm, o Glück, o Seligkeit!«
Beinahe hätte er in seinem Entzücken das Geheimnis seiner Uebertretung des Kurans verraten. Sein Gesicht strahlte vor Wonne. Osko und Omar aber blickten unzufrieden drein.
»Effendi,« meinte Osko, »denkst du etwa, daß wir uns vor dem Bären fürchten würden?«
»Nein, denn ich kenne eure Tapferkeit.«
»So bitten wir dich, auch uns mitzunehmen.«
»Das geht nicht. Zu viele dürfen wir nicht sein. Wir würden das Tier vertreiben, denn der Bär ist schlau, obgleich man oft das Gegenteil von ihm sagt. Uebrigens vertraue ich euch einen sehr wichtigen Posten an, und es ist sehr leicht möglich, daß auch ihr euren Mut beweisen könnt, da der Bär auf den Gedanken kommen kann, auch euch einen Besuch abzustatten.«
»Wieso?«
»Ihr sollt unsere Pferde bewachen, welche wir hier einriegeln. Wir dürfen sie heute nicht im Freien lassen, da es das Raubtier nach frischem Pferdefleisch gelüsten könnte. Jetzt streicht nämlich die Luft von hier nach der Stelle hinüber, wo wir auf ihn warten werden. Seine Nase ist fein genug, um zu riechen, daß sich hier Pferde befinden. Er ist im stande, das tote Fleisch liegen zu lassen, um zu versuchen, ob hier lebendiges zu bekommen sei. Also müssen wir, Halef und ich, uns immerhin darauf gefaßt machen, daß er sich vor uns gar nicht sehen läßt und sich vielmehr hier nach dem Schuppen wendet. In diesem Fall würden uns eure Schüsse wissen lassen, woran wir sind.«
»Ich danke dir, Effendi. Ich sehe, daß du doch Vertrauen zu uns hast. Wir werden treu auf unserm Posten stehen. Er mag nur kommen; unsere Kugeln werden ihn begrüßen.«
»Aber nicht so, wie ihr vielleicht denkt. Ihr werdet euch hier im Innern bei den Pferden befinden und ihn nicht etwa draußen erwarten. Dazu habt ihr die nötige Erfahrung nicht, und es hieße euer Leben tollkühn auf das Spiel setzen.«
»Sollen wir uns gegen ein solches Tier hinter Brettern verschanzen?«
»Ja, denn auch wir werden uns hinter die Felsen verstecken. Eure Flinten sind nicht zuverlässig genug, und selbst wenn ihr den Bären träft, wäre es nur Zufall, wenn eine Kugel ihm in das Leben dränge. Fände er euch draußen, so müßte wenigstens einer von euch das Leben lassen; davon bin ich überzeugt.«
»Aber was können wir gegen ihn tun, wenn er draußen steht, und wir sind hier, ohne ihn sehen zu können?«
»Ihr werdet ihn desto deutlicher hören. Dieser Schuppen ist nur sehr leicht gebaut, und ihr habt keine Ahnung, welchen Scharfsinn der Bär in dieser Beziehung zu entwickeln vermag. Er weiß ganz genau, was eine Türe ist; er versucht, sie einzudrücken oder mit seinen mächtigen Tatzen aufzureißen. Gelingt das nicht, so streicht er um das ganze Gebäude und untersucht jedes einzelne Brett, ob er es loszusprengen vermag. Hat er erst eine kleine Oeffnung, dann ist es ihm bei seiner ungeheuren Körperkraft leicht, sich mit Gewalt durchzubrechen. Da ist nun eure Aufgabe klar. Wenn er wirklich zu dem Schuppen kommen sollte, so hört ihr an seinem Kratzen, wo er sich draußen befindet, und gebt ihm durch die dünnen Bretter eine Kugel. Wir draußen hören die Schüsse, und das Uebrige ist dann unsere Sache.«
»So kann es also doch nicht zu einem wirklichen Kampf zwischen uns und ihm kommen!«
»Sehr leicht sogar. Aus einer leichten Verwundung macht sich der Bär sehr wenig; aber seine Wut verdoppelt sich. Er ist im stande, trotz eurer Schüsse die dünnen Bretter loszureißen oder durchzudrücken. Dann seid ihr die Ueberfallenen und habt euch eurer Haut zu wehren. Zum Schießen gibt es da keine Zeit, weil nicht geladen werden kann. Kolbenschläge auf die Nase, aber nicht etwa auf den harten Schädel, weil an demselben der Kolben zersplittern würde, und Messerstiche in das Herz, das ist dann das Einzige, womit ihr euch halten könnt, bis Halef und ich herbeikommen. Uebrigens sind wir noch gar nicht so weit. Ich werde euch später noch nähere Weisungen geben.«
»Aber,« sagte Halef, »es ist jetzt bereits dunkel, und unsere Pferde sind im Freien. Wenn er jetzt käme und deinen Rih tötete?«
»Jetzt kommt er noch nicht, und Rih ist kein Köhlerpferd. Ich glaube sogar, ich könnte es dem Rappen überlassen, ganz allein mit dem Bären fertig zu werden. Ein solches Rassetier verhält sich ganz anders als ein gewöhnlicher Gaul. Wir können unsere Tiere getrost noch weiden lassen. Kommt der Bär wirklich, so kommt er frühestens zwei Stunden vor Mitternacht. Um aber nichts zu versäumen, werden wir draußen ein Feuer anzünden, an welchem wir uns niederlassen. Da haben wir die Pferde vor Augen und können ihnen mit unseren Gewehren sofort zu Hilfe kommen. Uebrigens wird das Feuer weithin leuchten und den Bären abhalten, auch bei der Lockspeise seinen Besuch zu früh zu machen. Jetzt handelt es sich um das Pferdefleisch.«
Der Kohlenhändler ging sehr gern auf meine Absicht ein. Für ihn war die Hauptsache, daß das Raubtier getötet werde. Er löste diejenigen Teile des Pferdes, auf welche er es abgesehen hatte, von den Knochen. Dann blieb noch immer genug für den Bären übrig. Für diesen Rest verlangte er dreißig Piaster, also nicht ganz sechs Mark, welche ich ihm gern zahlte.
Draußen an der Giebelmauer des Hauses lag eine ansehnliche Menge von Brennholz aufgeschichtet. Ich kaufte es dem Wirt für zehn Piaster ab und ließ unweit der Haustüre, welche nach der Waldzunge hin lag, ein großes Feuer anmachen, das bis zu unserem Aufbruch zur Jagd unterhalten werden sollte. Es leuchtete weit genug, so daß wir unsere in der Nähe des Hauses weidenden Pferde sehen und bewachen konnten. Osko blieb da zurück, während wir Andern uns nun zunächst nach der Wohnstube begaben. Ich wollte den Mübarek sehen.
Wir hatten, während wir draußen beschäftigt waren, sein ununterbrochenes Klagen gehört. Er bot einen schrecklichen Anblick. Seine verzerrten Züge, seine blutunterlaufenen Augen, der Gischt, welcher ihm vor dem Mund stand, die Flüche und Verwünschungen, welche er ausstieß, und der von ihm ausströmende üble Geruch wirkten so abstoßend, daß es mir große Ueberwindung kostete, vor ihm niederzuknien, um seine Wunde zu untersuchen.
Der Verband war ihm nur sehr nachlässig und von ungeschickten Händen wieder angelegt worden. Als ich denselben entfernen wollte und infolgedessen seinen Arm berührte, brüllte er vor Schmerzen wie ein wildes Tier und bäumte sich gegen mich auf. Er hielt mich für den Scheïtan, welcher ihn zerreißen wolle, wehrte mich mit dem unverletzten Arm von sich ab und bat mich um Gnade