»Es, es wa — ward mir noch mittags ein — ein He — Hengst angeboten.«
»Recht, recht; um seinetwillen bist Du also in der Vorhalle geblieben — um mit dem Herrn, bevor er ausgehen würde, zu reden. Es muß ohnehin in wenigen Stunden dämmern; nun aber fort!«
Schnell und sicher stieg Paula die Treppe hinunter. Bei der untersten Stufe nahm Hiram die Schuhe wieder auf und behielt sie, um keine Zeit zu verlieren, in der Hand, während er seiner Gebieterin weiter folgte. Schweigend schritten sie vorwärts, bis sie durch tiefes Dunkel an die Küche gelangten. Hier wandte sie sich um und murmelte dem Syrer zu: »Ist jemand drin, so sag’ ich, ich sei gekommen, um Wasser zu holen; ist niemand da, so huste ich, und Du folgst mir. Jedenfalls bleibt die Thür offen, und Du hörst dann, was vorgeht. Muß ich umkehren, so gehst Du mir rasch voran auf dem Wege, den wir gekommen. In diesem Falle begeb’ ich mich in mein Zimmer, Du aber wartest davor, bis es Tag wird und man die Gesindethür wieder öffnet. Findet man Dich, so überläßt Du mir die Erklärung. Tritt weiter zurück, und presse Dich dort in den Winkel.«
Gleich darauf öffnete sie mit leiser Hand die Thür der Küche, durch deren unbedachte Decke das Licht des untergehenden Mondes und vieler Sterne leuchtete. Sie war völlig leer; nur eine Katze lag auf der Bank neben dem großen Herde, und einige Fledermäuse schwebten mit unhörbaren Flügelschlägen in dem weiten Raum hin und wider. Unter den Spießen glühten noch wie die Augen lauernder Raubtiere verglimmende Kohlen aus der Asche hervor.
Paula hustete leise, und sobald sie Hirams Tritte hinter sich hörte, setzte sie beklommen und von marternder Bangigkeit gequält die Wanderung fort. Zuerst ging es über einige Stufen, dann durch einen finstern Gang, in dem Fledermäuse in kerzengeradem Fluge hart an ihrem Haupte vorbeischossen. Endlich galt es, den weiten, oben offenen Speisesaal zu durchkreuzen. Dieser mündete in das an der Seite gepflasterte, in der Mitte mit Pflanzen und einem Springbrunnen geschmückte Viridarium, einen offenen, quadratischen Hof, an dessen Seiten sich je einer der Flügel des Statthalterpalastes erhob. Es war still und heimlich in diesem abgeschlossenen Raum, den der Himmel in tiefem Schwarzblau und übersät von Millionen goldener Sterne hoch überwölbte. Der Mond näherte sich schon dem obersten Rand der Hohlkehle, welche das Dach des Gebäudes krönte. Die großen Blattpflanzen in der Mitte des Viridariums warfen wunderliche, gespenstische Schatten über den tauigen Rasen, das Wasser des Springquells plätscherte lauter als am Tage, doch mit beruhigendem, einförmigem, dann und wann von kurzen, stockenden Pausen unterbrochenem Klang. Der Marmor an den Säulen schimmerte wie weißer Schnee, und leichte Dunstwölkchen, die von dem feuchten Rasen aufzusteigen begannen, wallten, vom leisen Nachtwind bewegt, wie Geister in lang hinwallenden Florgewändern, in weichen, langsamen Schwingungen hierhin und dorthin. Nachtfalter wiegten sich neben und über den Pflanzengruppen stumm auf und nieder, und der ganze stille, heimliche Raum war erfüllt von dem süßen Duft der Lotosblumen in den Marmorbecken des Springquells, den Blüten des üppigen Strauchwerks und der saftigen Südpflanzen in seiner Umgebung. Zu anderer Zeit wär’ es eine Lust gewesen, hier Umschau zu halten, hier zu atmen und den stillen Zauber der Nacht auf sich wirken zu lassen, aber Paulas Seele war jetzt für all diese Reize verschlossen. Die lauschige Stille, die sie umgab, verlieh dem wütenden Gezänk im Hof, das in abgebrochenen Tonwellen den Weg bis hieher fand, einen bedrohlichen Klang, und mit banger Sorge sagte sie sich, daß hier nicht alles sei, wie es sollte; denn vor dem Tablinum, welches stets von dem Hunde oder einem Bewaffneten bewacht war, konnte ihr scharfes Auge weder ein Tier, noch einen Menschen wahrnehmen, und — nein, sie irrte nicht — die mit Bronze beschlagene Thür desselben stand offen, und das Mondlicht blitzte auf dem blanken Metall ihres einen, halb angelehnten Flügels.
Nun blieb sie stehen, und hinter ihr that Hiram das Gleiche. Beide lauschten mit solcher Spannung, daß ihnen die Stirnadern schwollen, aber aus dem Tablinum, das mit kaum dreißig Schritten erreicht werden konnte, ließen sich nur vereinzelte, nicht genau unterscheidbare, leise Geräusche vernehmen, die der wilde Streit draußen laut übertönte.
Es vergingen lange, bange Augenblicke, bis endlich der angelehnte Flügel sich plötzlich öffnete und ein Mann heraustrat. Der Herzschlag Paulas stockte, aber ihr Auge verlor nicht einen Augenblick seine Spähkraft, und wie sie eben sicher und ganz gewiß erkannt hatte, daß derjenige, welcher jetzt die Schwelle des Tablinums überschritt, Orion war und kein anderer, trat an ihm vorbei der große, zottige Hund von Hermonthis ins Freie, schnüffelte in die Luft hinaus und stürzte dann mit wütendem Gebell auf die beiden Wartenden los. Bebend und mit fest zusammengebissenen Zähnen, aber immer noch ihrer selbst mächtig, ließ sie ihn kommen, rief sie seinen Namen »Beki« mit leisem, liebkosendem Ton, faßte sie, als er sie erkannte und das Gebell einstellte, seinen zottigen Kopf, um ihm, wie er es liebte, die Ohren zu krauen.
Sie selbst und ihr Begleiter standen hinter einem Pfeiler im tiefsten Schatten. Orion ward so ihrer nicht gewahr, auch hatte das Gebell Paulas schmeichelnden Ruf übertönt. Als der Hund schwieg und wedelnd neben ihr stehen blieb, pfiff er ihm, und das wachsame, gehorsame Tier eilte seinem Herrn freudig entgegen; er aber empfing es mit dem Rufe: »Alter, dummer Katzenjäger!« ließ es über seinen Arm springen, zog es an sich und stieß es dann wieder spielend zurück. Darauf warf er die Thür zu und begab sich zu den in den Hof führenden Räumen.
»Um in seine Wohnung zu gelangen, muß er wieder zurück,« unterrichtete Paula, tief aufatmend, ihren Begleiter. »Warten wir hier. Aber jetzt keinen Augenblick verloren! Vorwärts bis zur Thür des Tablinums! Der Hund erkennt mich nun von weitem und bellt nicht gleich wieder.«
Hiemit schritten beide schnell voran, und als sie bei der Thür, welche hinter tiefen Pfosten im dunklen Schatten lag, angelangt waren, fragte Paula ihren Begleiter: »Hast Du den Mann, der hier herauskam, erkannt?«
»Der Herr Orion,« lautete die Antwort. »Er ke — kehrte heim aus der Sta — adt, wi — ie ich Dir vora — an ging.«
»So?« fragte sie scheinbar gleichgiltig, schaute, an den kühlen Metallbeschlag der Thür geschmiegt, in den Garten und sagte sich, daß sie nun umkehren könne. Aber zur rechten Zeit fiel ihr der Hund ein. In jedem Fall wollte sie dem Freigelassenen den einfachen Weg beschreiben, den er von hier aus einschlagen mußte, doch sie kam nicht dazu; denn aus dem Raume, welcher das Viridarium von der Vorhalle trennte, ließ sich erst die hohe Stimme einer Frau, dann die tiefere eines Mannes vernehmen, und es waren kaum wenige Worte zwischen beiden gewechselt worden, als das wütende Gebell der Dogge alles übertönte und gleich darauf erst ein gellendes Klagegeschrei aus dem Munde eines Weibes, dann das Geräusch des Falles eines schweren Gegenstandes an das Ohr der Lauschenden schlug.
Was hatte sich da ereignet?
Etwas Furchtbares, Ungeheures mußte es gewesen sein; kein Zweifel war daran möglich. Und bald bestätigte sich Paulas Ahnung; denn aus der Thür des Raumes, wo das Schreckliche sich zugetragen, stürzte Orion und mit ihm der Hund über den Rasen des Viridariums fort, der sonst wie ein Heiligtum gehütet und gepflegt ward, auf den dem Nil zugewandten Flügel des Hauses zu, worin sich seine Wohnung und die der Familie befand.
»Jetzt!« rief Paula und schritt dem Syrer rasch voran.
Atemlos flog sie durch den ersten Raum und über die Schwelle des unbedachten Vorhauses, aber noch war sie nicht in seine Mitte gelangt, als sie einen Schrei ausstieß; denn vor ihr lag mitten im Mondlicht ein regungsloser Körper, lang ausgestreckt auf dem harten Marmorboden.
»Flieh,