Die Nilbraut. Georg Ebers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Georg Ebers
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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übergeben und mit ihnen Frieden geschlossen hatte.

      Jetzt fühlte der Mukaukas sich eins mit Orion und warf ihm vom Brettspiele aus bisweilen einen zärtlichen Blick zu.

      Frau Neforis bemühte sich, die Mutter der künftigen Braut ihres Sohnes aufs beste zu unterhalten und von dem seltsamen Benehmen desselben abzuziehen, und dies schien ihr auch zu gelingen; denn Frau Susanna ging auf alles ein, was sie sagte, aber daß sie doch gute Umschau hielt, ging aus der plötzlichen Frage hervor: »Ob die hohe Nichte Deines Gatten uns wohl eines Wortes für wert hält?«

      »O nein,« versetzte Neforis bitter. »Ich hoffe nur, daß sie bald andere Leute findet, denen sie sich lieber gnädig erweist. Verlaß Dich darauf: ich ebene ihr schon die Wege!« Dann brachte sie die Rede auf Katharina, und die Witwe erzählte, ihr Schwager Chrysippus sei mit seinen beiden Töchterchen in Memphis. Morgen wollten sie wieder abreisen, und so habe ihr Kind sich ihnen widmen müssen. »Und da sitzt nun das arme Mädchen,« klagte sie, »und muß den beiden Plappertaschen still halten, während sie sich hieher sehnt.«

      Orion hatte die letzten Worte verstanden, erkundigte sich nach der Kleinen und sagte dann heiter: »Sie hat mir gestern früh ein Halsband für das weiße Konstantinopolitaner Andenken versprochen. Pfui, Maria, Du sollst das arme Tierchen nicht quälen!«

      »Ja, gib den Hund frei!« fügte die Witwe hinzu, indem sie sich an die kleine Enkelin des Mukaukas wandte, die das Tierchen zwingen wollte, widerwillig ihre Puppe zu küssen. »Aber weißt Du, Orion, der kleine Kläffer ist eigentlich viel zu zierlich für einen so großen Herrn, wie Du bist! Schenk’ ihn einem hübschen weiblichen Wesen, dann erfüllt er seine Bestimmung! Katharina stickt übrigens schon an dem Halsband. Ich sollt’s eigentlich nicht verraten; aber es kommen goldene Sterne auf blauen Grund.«

      »Weil Orion ein Stern ist,« rief die kleine Maria, »stickt sie lauter Orions.«

      »Es gibt glücklicherweise nur ein Gestirn meines Namens,« bemerkte dieser. »Sage das, bitte, Deiner Tochter, Frau Susa.«

      Da klatschte die Kleine in die Hände und lachte: »Er will keinen Stern neben sich haben!«

      Und die Witwe fiel ihr ins Wort: »Kleiner Naseweis! Ich kenne Leute, die es nicht einmal leiden können, wenn man an ihnen eine Aehnlichkeit mit anderen wahrnimmt. Aber Du mußt Dir dies dennoch gefallen lassen, Orion! Ja, Du hattest vorhin ganz recht, Neforis: Stirn und Mund sind seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten!«

      Diese Bemerkung war zutreffend, und doch konnte man sich kaum verschiedenere Menschen denken als den jugendfrischen Jüngling und den schlaffen, alternden Herrn dort auf dem Diwan, den schon jede der kleinen Bewegungen, die das Spiel mit sich brachte, Anstrengung kostete. Wohl mochte der Mukaukas einmal seinem Sohne geglichen haben, aber seitdem war lange Zeit hingegangen. Spärliche ergraute Haarstreifen bedeckten jetzt nur halb den nackten Schädel, und von seinen Augen, welche vor dreißig Jahren so hell wie die des Orion geleuchtet haben mochten, war gewöhnlich gar nichts und manchmal wenig zu sehen; denn die schweren Lider fielen, als hätten sie den Halt verloren, fortwährend über sie hin und gaben dem wohlgeformten, leichenfahlen Antlitz etwas Eulenhaftes. Dennoch war es nicht grämlich, vielmehr mischten sich darin schmerzliche und freundlich wohlwollende Züge zu einem einzigen wehmütigen Ausdruck. Der Mund und die schlaff niederhängenden Wangen waren regungslos und wie erstorben. Des Kummers, der Beängstigung und der Sorge lähmende Hände schienen über sie hingefahren zu sein und ihre Spur auf ihnen zurückgelassen zu haben. Er sah aus wie ein todmüder Mann, der nur noch lebte, weil ihm das Schicksal die Gunst des Sterbens versagte. Ja, er war von den Seinen oft für eine Leiche gehalten worden, wenn er gar zu häufig in das Döschen von Blutjaspis gegriffen und die weißen Opiumkügelchen zu reichlich genossen hatte, von denen er auch während des Brettspiels in langen Zwischenräumen je eins auf die farblosen Lippen legte.

      Langsam und wie ein Schläfer zog er mit halbgeschlossenen Augen Stein auf Stein, und doch vermochte sich seine Partnerin des überlegenen Gegners nicht zu erwehren und war nun schon zum drittenmal von ihm geschlagen worden, obgleich sie der Mukaukas selbst eine gute Spielerin nannte. Man sah es auch ihrer hohen, reinen Stirn und den tiefblauen, geradeaus blickenden Augen an, daß sie klar und unbeirrt zu denken und ebenso zu empfinden verstand. Aber eigenwillig und zum Widerspruch geneigt schien sie zu sein — wenigstens heute; denn wenn Orion sie auf diesen oder jenen Zug hinwies, folgte sie selten seinem Rat, sondern schob den kleinen Kegel mit fest zusammengeschlossenen Lippen nach ihrem eigenen, nur selten klügeren Ermessen. Man sah ihr an, daß es ihr widerstand, sich von diesem, gerade diesem Berater leiten zu lassen.

      Alle Anwesenden mußten die abweisende Haltung des Mädchens, aber auch Orions Eifer, sie freundlicher zu stimmen, bemerken, und schon darum war Frau Neforis froh, als der Anmelder, nachdem der Mukaukas die dritte Partie gewonnen und die auf dem Brett verbliebenen Kegel mit dem Rücken der Hand durcheinanderwarf, seinen Herrn an den Araber erinnerte, der draußen mit wachsender Ungeduld harrte. Der Mukaukas winkte statt jeder Antwort, zog dann den langen Kaftan vom feinsten Wollstoff fester um den Leib und wies auf die Thüren und die Decke des Zimmers. Seine Angehörigen hatten ja längst die feuchte Nachtluft, welche das Zimmer vom Strom her rasch durchzog, übel empfunden, aber weil sie wußten, daß dem Vater nichts peinlicher war als die Hitze des Sommers, war die Zugluft von ihnen allen willig ertragen worden. — Jetzt rief Orion den Sklaven, und bevor die Fremden eintraten, waren Thüren und Deckenöffnung geschlossen.

      Des Statthalters Partnerin erhob sich, der Mukaukas blieb dagegen regungslos liegen und hielt die Augen fortdauernd mit den Lidern bedeckt, aber er mußte dennoch durch eine unsichtbare Spalte wahrnehmen, was ihn umgab; denn er wandte sich erst an Paula und dann auch an die anderen Frauen und sagte: »Ist es nicht seltsam: sonst suchen Alte und Kinder die Sonne, und die einen spielen, die anderen ruhen gern in der Hitze. Aber ich... Es ist etwas über mich gekommen, vor Jahren — ihr wißt’s ja, und dabei ist mir das Blut erstarrt. Nun will es sich nicht mehr erwärmen, und ich empfinde den Gegensatz zwischen der Kälte hier drinnen und der Hitze da draußen sehr stark, beinahe schmerzlich. Je betagter man wird, desto lieber überläßt man der Jugend, was einem sonst selber wohl gethan hat; das einzige, was wir Alten uns nicht gern nehmen lassen, ist körperliches Behagen, und Dank euch, daß ihr geduldig tragt, was euch stört, ja es mir sogar verschafft. Ein schrecklicher Sommer! Du, Paula, von eurem Libanon her weißt Du, was Eis ist. Ich wünschte mir schon manchmal ein Bett von Schnee. Eins zu werden mit der frischen Kälte, das wäre mein Höchstes. Mir thut der kühlende Hauch wohl, den ihr fürchtet. Die Jugendwärme sträubt sich gegen alles, was kühl ist.«

      Dies war der erste längere Satz, den der Mukaukas seit dem Beginn des Spiels gesprochen. Orion ließ ihn achtungsvoll ausreden, dann aber versetzte er lächelnd: »Es gibt indessen auch junge Menschenkinder, die sich darin gefallen, kühl und frostig zu sein, aus welchem Grunde, Gott weiß es!«

      Dabei sah er derjenigen, auf welche diese Worte gemünzt waren, voll in die Augen; sie aber wandte sich still und stolz von ihm ab, und über ihre schönen Züge flog ein unwilliger Schatten.

      Fünftes Kapitel.

      Nachdem dem Araber Einlaß zu dem Mukaukas gewährt worden war, breiteten seine Diener ein Stück Teppich vor dem Leidenden aus. Der riesenhafte Masdakit verrichtete den Hauptteil der Arbeit, aber sobald der Mukaukas den gewaltigen Mann mit dem buschigen, mähnenartigen Haar, in dessen Gürtel Dolche und ein Schlachtbeil steckten, bemerkt hatte, rief er ängstlich:

      »Hinaus, hinaus mit ihm! Dieser Mensch, diese Waffen... Ich will den Teppich nicht sehen, bevor er fort ist!«

      Dabei zitterten seine Hände, und der Kaufherr befahl sogleich seinem treuen Rustem, dem harmlosesten der Menschen, sich zu entfernen. Nun gewann der Statthalter, dessen überreizte Nerven nach einem Mordversuche, den ein aus Aegypten verbannter Grieche auf ihn unternommen, bisweilen ähnlichen Angstanfällen unterworfen waren, schnell die Fassung zurück und blickte voller Bewunderung auf den Teppich, um den die Seinen sich scharten. Jeder gestand, dergleichen noch nie gesehen zu haben, und die lebhafte Witwe Susanna wollte ihre Tochter Katharina samt ihrem Besuche rufen lassen, doch es war schon spät und ihr Haus so weit von der Statthalterei entfernt, daß sie davon absah.

      Vater und Sohn hatten schon