Man hat ihm auch vorgeworfen, daß er sich oft und oft in einem Predigertone gefalle. Nun, alle die vielen Einflechtungen, die Räsonnements und Kritiken politischer, sozialer, religiöser Art, so wenig sie wie bei Gotthelf ästhetisch am Platze sein mögen, gehören geradeso wie bei diesem Großen zu der Aufgabe des Mannes, zu seiner Persönlichkeit, und wir haben sie einfach mit in Kauf zu nehmen. Und schließlich ist noch immer die Frage zu stellen, ob sie nicht auch ihre Berechtigung zur Vervollständigung des Zeitbildes haben, wenn sie auch keine Darstellung sind.
Getadelt wird auch Sealsfields Sprache und oft hat man darüber seinen Stil vergessen. Bekanntlich hat Sealsfield als Romandichter zuerst englisch geschrieben. »Tokeah« und »A night on the banks of the Tennessee« (aus den »Transatlantischen Reiseskizzen«) gehören hierher. Und auch noch später hat er Werke, so z. B. den »Virey« in englischer Sprache entworfen. Kein Wunder, daß das Englisch auf sein Deutsch abgefärbt hat: unleidliche Anglizismen sind zurückgeblieben, selbst noch in »Süden und Norden«. Aus seinen Austriazismen, ja aus den deutsch-mährischen Spracheigentümlichkeiten und Redewendungen könnte man unfehlbar auf die Herkunft des Dichters schließen. Auch englische, spanische und französische Wörter verunzieren seine Sprache, und es entstand auf diese Weise eine widerliche Sprachmengerei: die Donnerkeule Dios, heißt es z. B. im »Virey«. Ganz anders ist es zu beurteilen, daß Sealsfield sehr oft spanische, englische und französische Gespräche in seine Werke aufnimmt. Sie dienen unleugbar der Charakterisierung und dem Kolorit. Aber es ist auch nicht zu bestreiten, daß sie samt der Sprachmengerei die Lesbarkeit seiner Werke beeinträchtigen.
Trotz allem ist Sealsfield doch ein Stilkünstler, in dem Sinne, daß er die Sprache ganz seinem Zwecke anzupassen vermag. Richtig bleibt es freilich, daß auch sein Stil ungleichmäßig ist. Einmal fließt er ruhig dahin, ein andermal hastet er; jetzt hat er geradezu klassische Form, dann ist er gekünstelt, schwulstig. Immer aber hat er eine große Ausdrucksfähigkeit und Anschaulichkeit und erreicht sicher das Ziel. Geradezu bewundernswert ist der oft dramatische Dialog unseres Dichters.
Schließlich bleibt es aber richtig, daß Postl ein genialer Skizzist, kein großer Künstler war.Unsern Dichter hat Adolf Bartels in seiner »Geschichte der Deutschen Literatur« am besten charakterisiert. Ich benütze hier seine Darstellung und verweise noch auf die »Weltliteratur« dieses Gelehrten. Wie Alexis und Gotthelf ist er zuerst Darsteller des Lebens. Alexis weilt in der brandenburgischen Geschichte, ihn fesselt die Staatsidee; Gotthelf vertieft sich in das Volkstum in seinen sozialen Verhältnissen, er kennt die Tiefen der Volksseele; Sealsfield hat von seiner Heimat her die Überzeugung, daß das Blut, die Rasse das Eigenartige, Entscheidende im Völker- und Staatendasein ist. Die neue Welt war ganz geeignet, ihn jeden Tag in seinem Plane zu bestärken, bei Schaffung einer neuen Romangattung Rasse und Nation als Urkraft der politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen, nationalen und internationalen Bewegungen zu zeigen. Und in der Tat, er ist dann auch – und das ist sein Hauptverdienst – getreu seinem Programm »mein Held ist das ganze Volk« der Schöpfer des nationalen Volksromanes geworden. Dazu gehörte freilich auch eine Persönlichkeit wie Sealsfield, mit der Tatkraft, dem Scharf- und Weitblick, dem praktischen Sinn, die dieser deutsch-mährische Bauernsohn hatte. Er war auch ein »eminent moderner Geist«, der lange vor Gobineau und Nietzsche in den Bereich ihrer Ideen eindrang, dem, wie einem von heute, die Macht der Hochfinanz kein Geheimnis war. Nicht täuschen sollte man sich über seine »politische Zugehörigkeit« und seine Stellung zum Deutschtum. Sealsfield war kein Demokrat im landläufigen Sinne, die Bedeutung der Aristokratie war ihm durchaus klar (s. »Virey«!). Am richtigsten ist es, wenn man bei ihm von »demokratischem Aristokratismus« spricht. Wenn er die Deutschen tadelt, so geschieht es nie aus Sucht, herabzuwürdigen, sondern in dem schmerzlichen Gefühle, die Deutschen und ihre politischen und sonstigen Verhältnisse nicht so zu finden, wie er sie finden möchte.
Für die bedeutendsten Werke des Dichters halte ich »Süden und Norden« und den »Virey«, die eigenartig unübertrefflich-mächtig wirken. Im »Virey« zeigt sich Sealsfield als unübertrefflicher Meister »in der Herausarbeitung der Gegensätze der Mexiko bewohnenden Rassen. Wir haben kein zweites deutsches Buch, in dem solche ›Massenwirkungen‹ vorkämen – eine Schilderung der Orgien des farbigen Pöbels von Mexiko reißt förmlich mit in den Taumel hinein.« Noch gewaltiger war die Wirkung, die »Süden und Norden« auf mich gehabt hat. »Hier mischt sich in der Darstellung zu dem wunderbaren Farbenzauber der tropischen Landschaft die berückende Phantastik eines seltsamen Volkstums, und fast willenlos erliegt der Leser der ungeheuren Spannung, die das Werk erfüllt.« So ist es wahrlich auch mir ergangen! »Die Prärie am Jacinto« – das erste Stück in der Reihe der Erzählungen, die der Dichter im »Kajütenbuch« zusammengefaßt hat – wird mit Recht als die höchste Leistung Sealsfieldscher Kunst gepriesen. »Hier sind alle Vorzüge Sealsfields vereinigt: Die grandiose Charakteristik, der Schwung der Naturschilderung, die natürliche, aus glaublichen Abenteuern erwachsene Spannung.«
Man hat, besonders mit Beziehung auf »Süden und Norden«, behauptet, daß Sealsfields Werke mit ihrer Farbenschwelgerei, ihrem Farbenzauber und Farbenwirbel, die die Gestalten nicht zu ihrem Rechte kommen ließen, betäubend wirkten. »Das ist wohl richtig, aber selbstverständlich liegt das Narkotische so gut in der dichterischen Natur Sealsfields wie das Dämonische in der E. T. A. Hoffmanns, und im übrigen haben wir Modernen eine Art Selbstrecht der Farbe anerkannt und die durch sie erzielten Wirkungen in den großen Kreis der ästhetischen aufgenommen.«
Sealsfields Bedeutung für unsere Zeit liegt schließlich nicht in den ästhetischen Werten seiner Werke, sondern in den nationalen. Wir sollen seine Romane und Erzählungen lesen, um endlich einzusehen, daß unseres Volkstums Glück und Dauer von der Kraft abhängt, die der nationale Gedanke bei uns Deutschen erringt.
Franz Fiedler.
Erstes Kapitel
Ich zittere für mein Volk, wenn ich der Ungerechtigkeiten gedenke, deren es sich gegen die Ureinwohner schuldig gemacht hat.
Jefferson.
An der Straße, die sich vom Städtchen Coosa nach der Hauptstadt von Georgien, Milledgeville, hinabwindet, und nahe dem Platze, wo gegenwärtig der Gasthof gleichen Namens den ermüdeten Reisenden zur Ruhe einladet, stand vor ungefähr dreißig Jahren unter einem Felsenvorsprung, auf welchem einige Dutzende roter Zedern und Fichtenbäume wurzelten, ein rauh aussehendes, mäßig großes Blockhaus. Vor demselben erhob sich ein Gerüst, das aus zwei mannsdicken Balken bestand, verbunden durch Querpfosten, zwischen welchen ein ungeheures Schild hin und her schwebte, das bei näherer Besichtigung eine groteske Figur im grellsten Farbenschmucke wahrnehmen ließ, deren Diadem von Federn, Tomahawk, Schlachtmesser und Wampum wahrscheinlich einen indianischen Häuptling bezeichnen sollte. Unter dem Schild war mit Buchstaben, ägyptischen Hieroglyphen nicht unähnlich, gekritzelt: Einkehr für Mann und Tier. Zur rechten Seite des Hauses oder vielmehr der Hütte und näher dem Fahrwege waren von Balken gezimmerte Verschläge, vom Wege nur durch eine breite Kotpfütze getrennt, und mit Haufen von Stroh und Heu angefüllt, aus denen hier und da Überreste schmutzigen Bettzeuges hervorschauten und so erraten ließen, daß diese Gemächer nicht nur für das liebe Vieh, sondern auch jene Reisenden bestimmt seien, die ihr Unstern bemüßigte, hier Ruhe und Nachtlager zu suchen. Ein paar Kuh- und Schweineställe bildeten das Ganze dieser Hinterwäldleransiedlung.
Es war eine stürmische Dezembernacht, der Wind heulte furchtbar durch den schwarzen Fichtenwald, an dessen Abhange die Hütte gelegen war, und das schnell aufeinander folgende Krachen der Baumstämme, die der Sturm mit donnerähnlichem Getöse zur Erde brachte,