Es ist die Frage aufgeworfen worden, wie Sealsfield überhaupt zum Schriftsteller geworden sei. Dazu hat ihn wohl die Not des Lebens gemacht und gerade Schriftsteller wurde er, weil er eben ein geborener Dichter war. Man hat nun freilich gemeint, daß er niemals den Dichter in sich entdeckt und gewürdigt hätte. Das ist unrichtig. Gerade das Werk, das am meisten den Dichter verrät, »Süden und Norden«, war ihm das liebste. Und wahrlich hier wirkt die Zauberkraft des echten Dichters: Wie innig-süß, wie traulich- still, wie ganz zart, hingebend, alles vergessend, wie rein aus dem Urquell geschöpft, hat er die Liebe einer Encarnacion dargestellt, wie schicksalsmächtig die einer Mariquita! Wer fühlt nicht die Macht seiner Poesie in »Süden und Norden«! Dann heißt es freilich weiter, daß er so sehr Dichter sei, daß er darüber vergesse, auch Schriftsteller zu sein. Das ist, wie Adolf Bartels treffend schreibt, eine falsche Erklärung; »es müßte etwa heißen: So sehr ist er poetisches Temperament, daß sich künstlerische Eigenschaften bei ihm nicht ausbilden konnten. Es ist … mit ihm ein ähnlicher Fall wie mit Jeremias Gotthelf, bei dem auch immer das Temperament durchschlug.« – Welche Dichter auf ihn eingewirkt haben? Ich glaube, darüber gebe auch das Vorwort zu »Morton« Auskunft. Darnach scheint vor allen Walter Scott auf ihn von Einfluß gewesen zu sein. Daß er aber von jeher kein Nachahmer war, ist unleugbar.
Soll nun Sealsfield als Dichter charakterisiert werden, so ist zuerst zu sagen, daß er zu den bedeutendsten Romandichtern des Realismus gehört. Allein sogar Adolf Stern hat noch die ästhetische Berechtigung der Sealsfieldschen Romane bezweifelt. 1885 schreibt er mit Beziehung auf den »Virey«, dieser litte unter der Tatsache, daß ihm die eigentlich dichterische Grundidee fehle, die durch keine historische oder politische Idee ersetzt werden könne. Ja noch 1905 heißt es bei ihm: »Muß der historische Roman selbst schon als eine Außenprovinz der Dichtkunst gelten, weil es seinen Vertretern in den seltensten Fällen gelingt, die Teilnahme der Leser an die eigentlich dichterische Aufgabe, die poetischen Motive zu fesseln, so fallen Bücher wie … die historischen Romane ›Der Legitime…‹ und ›Der Virey …‹ Sealsfields beinahe aus der Möglichkeit poetischer Wirkung heraus. Sobald das politisch-geschichtliche oder wie in den Sealsfieldschen Werken das völkerschildernde, ethnographisch-psychologische Element überwiegt, sobald das Gewußte, Studierte, künstlich Gemachte an die Stelle des frisch und unmittelbar Vorgestellten tritt und die Motive des Darstellers wie der Anteil des Lesers gleichmäßig aus der Reflexion hervorgehen, kommt die Poesie in Gefahr.« Dem gegenüber sagt Adolf Bartels mit vollem Recht: »Die historischen und politischen Ideen gehören ja wohl auch dem Leben an und können sicher die starken Träger dichterischer Handlung abgeben und die Massen dichterischen Materials um sich gruppieren – nur nackt hervortreten dürfen sie nicht, sie müssen in den Menschen sein. Es ist wohl noch ein Rest unserer deutschen engumschränkten ›Privatexistenz‹, daß wir Privatverhältnisse als die eigentlich dichterischen ansehen, rein individuelle Seelenkonflikte der dichterischen Darstellung würdiger erachten als die großen Zusammenstöße der Völker, Rassen und Parteien. Man darf aber ruhig sagen: Es gibt nichts ›Eigentlich-Dichterisches‹, alles wird dichterisch, wenn›s der richtige Mann anschaut und anfaßt …«
Und neuestens hat ein Berliner Literarhistoriker gefunden, daß die Bücher Sealsfields das Gleichgewicht zwischen der bewegungsarmen Dichtung Stifters und den Forderungen des Durchschnittlesers an die Unterhaltungsliteratur darstellten. Er »kennt alle Wunder der fremdartigen Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt, weiß sie mit scharfem Auge anschauend und mit festem Griff zupackend vor uns hinzustellen, und ist ein Meister auch in der Erfindung oder Nacherzählung spannender Begebenheiten«. Das deutet etwa auf den exotischen (transatlantischen, ethnographischen) Roman hin, den ja der Deutsch- Österreicher zum erstenmal in der Weltliteratur meisterhaft behandelt hat, aber das Wesen seines Romans bezeichnet man nur, wenn man vom nationalen Volksroman spricht, wie es Sealsfield selber getan hat.
Seine Kraft, Menschen und Leben darzustellen, ist gewaltig. Er charakterisiert seine Menschen, die Massen, die Völker, die Rassen als Gesamtheit und in ihren hervorragenden Gestalten, die Stände und Berufe mit einer Deutlichkeit und Eindringlichkeit, die volle Plastik und Individualisierung erreicht. Es seien hier nur der Miko Tokeah im »Legitimen«, der Vizekönig Vanega, seine Schwägerin, Graf Jago im »Virey«, der Alkalde und Bob im »Kajütenbuch« und Nathan in den »Lebensbildern« genannt. Die weiblichen Gestalten sind manchmal zu zart, zu wenig Erdenkinder, die Liebesszenen werden oft widerlich sentimental und süß. Doch, seine Charakterisierungsgabe mußte um so größer sein, je mehr er sein Lieblingsvorhaben auszuführen trachtete, die Rassen in außerordentlichen Lebens- und Willensäußerungen, als lebendigen Staat darzustellen, der um Dasein, Gegenwart und Zukunft kämpft. Und wahrlich, seine Darstellungen der bewegten Massen, des in Wallung befindlichen Blutes sind unübertrefflich! Er schreibt poetische Rassengeschichte, Volksgeschichte, Geschichte des Staates, freilich nicht die, wie gesagt, des ruhigen, gefestigten, sondern des in Wandlung begriffenen, des vergehenden und werdenden – wo Rassen und Völker aufstehen, sich durchsetzen oder untergehen. Schon sein erster Roman »Der Legitime« ist dem Unglück der Rasse gewidmet.
Neben der großen Begabung Sealsfields, Massen und einzelne Charaktere klar und lebendig vor uns hinzustellen, ist die große Anschaulichkeit, die unvergleichliche Farbenpracht und Glut seiner Landschaftsschilderung zu erwähnen. Die größte Meisterschaft hierin, in der Darstellung von Naturstimmungen und Naturgewalten hat Sealsfield in »Süden und Norden« erreicht. Hier sind Natur und Menschenkind noch eins, hier herrscht Natur und Blut, und Fremde (wie die Helden aus dem Norden), die in dieses Paradies, herrlich und furchtbar, verschlagen werden, unterliegen den beiden Gewalten. »Lebensvoll, farbenlodernd und keck originell« hat man Sealsfields Werke genannt.
Viel getadelt wurde an seinen Werken der Mangel einer durchgebildeten künstlerischen inneren Form. Es fehlt die gradlinige Fortführung und Entwicklung der Fabel, der Dichter führt mitten hinein in die Ereignisse, hält aber plötzlich still, wendet sich zurück, wieder vorwärts, greift dem augenblicklichen Stand seiner Erzählung vor; auch behandelt er diese Teile nicht mit der entsprechend gleichen Ausführlichkeit, einmal erscheinen sie lang und breit ausgeführt, nichts wird vergessen, ein andermal in hastiger Eile hingeworfen, manches bleibt unerledigt. So kann es geschehen, daß die Ereignisse an uns vorüberstürmen und -fluten, dann tritt aber eine auffallende Stille und Ebbe ein; wir werden in vergangene Jahre und Ereignisse zurückgedrängt. Mag dies hin und wieder noch nicht gar zu sehr die innere Form lockern, mag hie und da in dem Stoffe selber die Notwendigkeit liegen, so zu verfahren: die volle ästhetische Wirkung des Kunstwerkes geht doch verloren. Sealsfield lockert aber das Gefüge noch weiter, indem er seiner vorliegenden Aufgabe fremden Stoff herbeischafft und bei nächstbester Gelegenheit einflicht. Anders verhält es sich nach meiner Meinung mit der Frage, ob der Dichter trotzdem imstande war, in seinen Romanen und Erzählungen eine geschlossene Fabel oder ein abgerundetes Bild zu geben. Man muß, wie ich weiter glaube, bei der Beantwortung dieser Frage die Schwierigkeiten berücksichtigen, die bezüglich der Rundung und Geschlossenheit von vornherein in den von Sealsfield gewählten Stoffen liegen. Ich möchte es daher nicht so unbedingt gelten lassen, daß alle seine Romane nur Bruchstücke, freilich große, gewaltige Bruchstücke sind. Anders wäre es,