Jenny. Fanny Lewald. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Lewald
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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Mann begriff bald, daß bei Jenny mit Strenge nichts auszurichten sei, und machte sich in der ersten Zeit seiner Anwesenheit selbst zu ihrem Lehrer und Erzieher. Sie lernte fast spielend, ja es schien oft, als läge das Verständniß aller Dinge in ihr, und man dürfe sie nur daran erinnern, um klar und deutlich in ihr Kenntnisse hervorzurufen, die man ihr erst mitzutheilen wünschte. Ebenso wahr und offen als Eduard, wuchs sie diesem von Tag zu Tag mehr ans Herz, und obgleich er gegen die Eltern oft beklagte, daß sich in Jenny zu viel Selbstgefühl und eine fast unweibliche Energie zeigten, obgleich er es Joseph zugestehen mußte, daß sich bei ihr die Eigenschaften des Geistes nur zu früh, die des Herzens aber scheinbar gar nicht entwickelten, so fiel es ihm doch schwer, als er nach zwei Jahren den Unterricht derselben aufgeben mußte, weil seine zunehmende Praxis ihm keine Zeit mehr dazu übrig ließ.

      Eduard drang deshalb darauf, man möge seine Schwester einer Privatschule anvertrauen, die von den Töchtern der angesehensten Familien besucht wurde. Er hoffte, der Umgang und das Zusammenleben mit Mädchen ihres Alters werde bei Jenny die Härten und Ecken, die ihr Charakter zu bekommen schien, am leichtesten vertilgen. Die Eltern folgten seinem Rathe und die neuen Verhältnisse machten in vielen Beziehungen einen günstigen Eindruck auf Jenny. Sie gewöhnte sich, ihrem Witze nicht so zügellos den Lauf zu lassen wie in dem elterlichen Hause, wo man ihre beißendsten Einfälle nur lachend getadelt hatte; sie lernte es, sich in den Willen ihrer Mitschülerinnen zu fügen, dem Lehrer zu gehorchen, aber sie fing auch an, sich ihrer Fähigkeiten bewußt zu werden, welche sie in eine Klasse gebracht, in der alle Mädchen ihr im Alter um mehrere Jahre voraus waren. Von einem Umgange, wie Eduard ihn für sie gehofft hatte, war indessen nicht die Rede. Die halberwachsenen Mädchen dieser ersten Klasse mochten sich größtentheils mit dem bedeutend jüngern Kinde weder unterhalten, noch befreunden, das ihnen obenein von den Lehrern mitunter vorgezogen wurde. Andere, denen Jenny’s lebhaftes, freimüthiges Wesen behagte, und die gern mit ihr zusammen waren, konnten von ihren Eltern nicht die Erlaubniß erhalten, die Tochter einer jüdischen Familie einzuladen oder zu besuchen, und zu diesen Letztern gehörte auch Clara Horn. Zwei Jahre älter als Jenny, hatte sie dieselbe unter ihre Vormundschaft genommen, ihr gerathen und geholfen, wenn das verzogene Mädchen sich in den strengen Schulzwang nicht zu finden gewußt, und dadurch ihr volles Vertrauen erworben. Ihr hatte Jenny in den Zwischenstunden von ihren Eltern, von ihrem Bruder, von allen ihren Freuden erzählt, und damit ihrer Beschützerin eine Vorliebe für die ganze Meiersche Familie eingeflößt. Wenn nun Clara nach solcher Mittheilung ihre kleine Freundin glücklich pries, und sie um die Eintracht ihrer Eltern und die Liebe ihres Bruders beneidete, da sie Beides entbehrte, wenn Jenny sie dringend bat, zu ihr zu kommen und das Alles mit ihr zu genießen, hatte Clara immer verlegen geantwortet, sie dürfe das nicht. Endlich hatte Jenny sie einmal beschworen, ihr den Grund zu sagen, warum sie nicht zu ihr kommen könne, da hatte Clara ihr mit Thränen erklärt, sie dürfe nicht, weil Jenny’s Eltern Juden wären und ihre Eltern diesen Umgang niemals gestatten würden. Jenny wurde glühend roth, sprach aber kein Wort, und gab nur schweigend der weinenden Clara die Hand. Die nächsten Stunden saß sie so zerstreut da, daß weder Lehrer noch Mitschüler sie erkannten. Sie dachte über Clara’s Worte nach, und es wurde ihr klar, wie sie allein und einsam in der Schule sei, wie keines von den ihr befreundeten Mädchen sie besuche, oder ihre Einladungen annähme, außer bei solchen Gelegenheiten, wo man die ganze Klasse einlud, und sie, ohne es zu auffallend zu machen, nicht zurücklassen konnte. Sie erinnerte sich der ewigen Frage, bei wem sie eingesegnet werden würde, und des Lächelns, wenn sie den Namen des jüdischen Predigers nannte. Es schien ihr unerträglich, künftig in diesem Kreise zu leben, und als sie nach Hause kam, warf sie sich weinend den Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man möge sie aus der Schule fortnehmen. Alle Thränen, die sie in der Schule standhaft unterdrückt hatte, brachen nun gewaltsam hervor. Eduard kam dazu, und bei der Schilderung, die sie von ihrer Zurücksetzung und Ausgeschlossenheit machte, deren sie sich jetzt plötzlich bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und ihr Bruder nur zu lebhaft, daß sie auch dies geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der Welt zu schützen, ihm nicht die Leiden zu ersparen vermochten, die sie selbst empfunden hatten und nun wieder mit ihm erdulden mußten.

      Jenny länger in der Anstalt zu lassen, fiel Niemand ein, weil man das bei ihrem Charakter fast für unthunlich hielt und mit Recht fürchtete, daß ihre Fehler, die man zu bekämpfen wünschte, dort unter diesen Verhältnissen nur wachsen könnten. Man gab also den Besuch der Schule wieder auf, und Jenny sollte wieder zu Hause unterrichtet werden, wobei man aber die Aenderung machte, daß man ihr Therese Walter, die Tochter einer armen Beamtenwittwe, zur Gefährtin gab, die in der Nachbarschaft wohnte und mit der sie von früh auf bekannt gewesen war.

      Jenny hatte bis dahin für Therese keine besondere Zuneigung gefühlt. Jetzt, getrennt von der Schule, in welcher Umgang mit Mädchen ihr zum Bedürfniß geworden war, wurde Therese ihr Ersatz für diese Entbehrung, ja, ihr einziger Trost. Es bildete sich dadurch allmälig eine Freundschaft zwischen den beiden Mädchen, die sich sonst wohl niemals besonders nahe getreten wären, da Theresens mittelmäßige Anlagen, ihr ruhiges und stilles Wesen zu Jenny’s Art und Weise nicht recht paßten, und sie derselben unterordneten, was aber freilich dazu beitrug, das Verhältniß zu befestigen.

      Als es nun nöthig wurde, einen Lehrer für die beiden, jetzt fast fünfzehnjährigen Mädchen zu wählen, schlug Eduard seinen Freund Reinhard dazu vor, der in sehr beschränkten Verhältnissen noch immer in der Universitätsstadt lebte, in welcher die Freunde einander begegnet waren. Reinhards Bemühungen, nach gemachtem Examen eine Pfarre zu bekommen, waren an dem Einwande gescheitert, den man gegen ihn wegen seiner burschenschaftlichen Verbindungen machte. Ein paar Jahre war er Hauslehrer gewesen, hatte die Stelle aber aufgegeben, weil sein Gehalt zwar für seine Bedürfnisse hinreichte, jedoch nicht groß genug war, seiner Mutter die Unterstützung zu gewähren, deren sie bedurfte. Seitdem hatte er durch Unterrichten und durch literarische Thätigkeit für sich und seine Mutter zu sorgen gesucht. Von Eduard Beistand anzunehmen, hatte er verweigert, und nur mit Vorsicht konnte derselbe ihm den Vorschlag machen, nach dessen Vaterstadt zu kommen, um den Unterricht der beiden Mädchen unter den vortheilhaften Bedingungen, die man ihm stellte, zu übernehmen.

      Eduard’s Plan gelang. Er sah seinen Freund nach mehrjähriger Abwesenheit wieder, und fand in ihm mit großer Freude den alten treuen Gefährten, den er verlassen hatte; doch war er im Denken und Fühlen mannigfach verändert. Ein düsterer Ernst hatte sich seiner bemächtigt. Die Armuth hatte ihn stolz, mißtrauisch und reizbar gemacht, und dadurch die Schönheit seines Charakters beeinträchtigt. Im höchsten Grade streng gegen sich selbst, wahr gegen seine Freunde, glühte er für Recht und Freiheit, hing er mit dem alten schwärmerischen Glauben dem Christenthume an, das ihm der Urquell der Wahrheit und der Liebe war. Der günstige Erfolg, den sein Unterricht im Meierschen Hause hatte, verschaffte ihm bald so viele Schüler, daß er den Aufforderungen, die in dieser Beziehung an ihn gemacht wurden, kaum genügen konnte, während sie ihm eine sorgenfreie Existenz bereiteten, da der Unterricht in der reichen Handelsstadt ganz anders als in dem kleinen Universitätsstädtchen bezahlt wurde. Er konnte seine Mutter zu sich nehmen, mit der er seine kleine freundliche Wohnung theilte, und die treffliche Frau wurde bald in vielen Familien, besonders aber im Meierschen Hause ebenso geachtet und geliebt, als Reinhard selbst. —

      Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigenthümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard ihn so hoch hielt, hatte sie im Voraus die günstigste Meinung für ihn gehegt, und als nun Reinhard in ihrem elterlichen Hause vorgestellt worden, hatten ihr sein Aeußeres und sein ganzes Wesen auf ungewohnte Weise Beachtung geboten. Weit über die gewöhnliche Größe, schlank und doch sehr kräftig gebaut, hatte er eine jener Gestalten, unter denen man sich die Ritter der deutschen Vorzeit zu denken pflegte. Hellbraunes, weiches Haar, und große blaue Augen, bei graden regelmäßigen Zügen, machten das Bild des Deutschen vollkommen, und ein Ausdruck von melancholischem Nachdenken gab ihm in Jenny’s Augen noch höhere Schönheit. Er bewegte sich ungezwungen, sprach mit einer ruhigen Würde, für die er fast zu jung schien, doch ließen sich seine große Abgeschlossenheit, seine sichtbare Zurückhaltung nicht verkennen, die er selbst der Freundlichkeit entgegensetzte, mit der man ihn im Meierschen Hause empfing. Therese und Jenny, welche man ihm als seine künftigen Schülerinnen vorstellte, behandelte er mit einer Art Herablassung, die Therese nicht bemerkte, von der aber Jenny, durch die Huldigungen Steinheim’s und Erlau’s bereits verwöhnt, sich so betroffen fühlte,