Jenny. Fanny Lewald. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fanny Lewald
Издательство: Public Domain
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Жанр произведения: Зарубежная классика
Год издания: 0
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ebenso gut dem Südländer als dem Juden gehören, und machten, daß er von vielen Leuten für einen schönen Mann gehalten wurde, während Andere die Kohlschwarzen Augen starr und unheimlich, die Schultern hoch, den starken Hals zu kurz und Hände und Füße so groß fanden, daß dieses Alles ihm jeden Anspruch auf wirkliche Schönheit unmöglich mache. Er selbst schien indessen gar nicht dieser Meinung zu sein, das bewies die sehr studirte Toilette, die aber trotz ihrer gesuchten Eleganz des Geschmacks ermangelte. Er trug an jenem Morgen einen kurzen dunkelgrünen Ueberrock, zu dem eine ebenfalls grüne Atlasweste und mehr noch ein dunkelrother türkischer Shawl sonderbar abstachen, den er unter der Weste kreuzweise über die Brust gelegt und mit einer großen Brillantnadel zusammengesteckt hatte. Handschuhe, Stiefel und Frisur waren nach der modernsten Weise gewählt, aber all das stand ihm, als ob er es eben wie eine Verkleidung angelegt hätte. Es war für den feinen Beobachter etwas Unharmonisches in der ganzen Erscheinung, das störend auffiel.

      Ich bitte tausendmal um Vergebung, sagte er, daß ich in diesem Morgenanzug vor Ihnen erscheine, aber ich bin so durchweg erkältet, meine Nerven sind so abgespannt, mein Wunsch, Sie zu sehen, war so groß, daß ich dachte, die Damen entschuldigen Dich wohl. Es ist allerdings eine Verwegenheit — aber: »ich kann nicht lange prüfen oder wählen, bedürft Ihr meiner zu bestimmter That, dann ruft den Tell! Es soll an mir nicht fehlen.«

      Mein Gott! Herr Doctor! geht es so bergab mit Ihnen, daß Sie von dem göttlichen Shakespeare, dem erhabenen Calderon und dem heiligen Schmerzenssohne unserer Zeit, dem unvergleichlichen Byron, schon zu unserm armen Schiller zurückkehren müssen? Sie haben also in den letzten Tagen wohl gar zu viele Citate verbraucht? fragte Jenny spottend, und —

      Jenny! ‘rief die Mutter mit mißbilligendem Tone. — Aber Steinheim ließ sich nicht stören, er ging zu Jenny und sprach: »Mit Ihnen, Herzogin, hab’ ich des Streits auf immer mich begeben,« und Sie werden auch nicht mehr streiten wollen, meine schöne kleine Feindin! wenn ich Ihnen sage, daß ich als der Verkünder sehr interessanter Nachrichten komme. Erstens ist Erlau entzückt über den Vorschlag Ihrer Frau Mutter, hier am Sylvesterabend Tableaux darzustellen, zweitens — — nun rathen Sie — hat man heute Herrn Salomon, einen jüdischen Kaufmann, zu einem städtischen Amte erwählt.

      Das Letztere ist mir ungemein gleichgültig, rief Jenny, aber für die erste Nachricht bin ich Ihnen sehr dankbar, und sie macht mir großes Vergnügen. Weiß es Eduard schon?

      Was denn?

      Daß der Kaufmann Salomon gewählt ist? — fragte Jenny.

      Also sehen Sie, sehen Sie, es ist Ihnen doch nicht so gleichgültig, als Sie behaupten, und wie könnte es auch. Wen sollte es nicht freuen, wenn alte barbarische Vorurtheile allmälig vor der gesunden Vernunft und der Gerechtigkeit weichen müssen; wenn ein Volk, das Jahrhunderte hindurch mit Füßen getreten wurde, endlich allmälig die Rechte erlangt, an die es dieselben Ansprüche hat, als die andern Bürger des Staates, wenn .... A propos! was ist gestern bei Horn’s vorgefallen, man ließ ja Eduard noch so spät holen? sagte Steinheim, der oft von dem Hundertsten, wie man sagt, auf das Tausendste kam. — Ich höre, die Clara Horn hat den Fuß gebrochen; Erlau sagte es mir, der mich, das fällt mir eben ein, bei der Giovanolla erwartet! Wie hat sie Ihnen gestern gefallen, die Giovanolla? Sie gehen doch morgen wieder hin? — Das Alles fragte er so durcheinander, daß es nicht möglich war, irgend eine der Fragen zu beantworten; dann wandte er sich, Abschied nehmend an Madame Meier, rieth Jenny nochmals, das Theater nicht zu versäumen, und empfahl sich mit den Worten: »So süß ist Trennungswehe, ich sagte wohl Adieu, bis ich den Morgen sähe.«

      Mutter und Tochter sahen ihm lächelnd nach.

      Ehe wir in der Erzählung fortfahren, müssen wir aber einen Rückblick auf den Lebensweg der Personen werfen, von denen diese Blätter handeln sollen.

      * * *

      Die Familie Meier galt bei Allen, die sie kannten, für eine der glücklichsten. Der Vater hatte ein hübsches Vermögen, das er von seinen Eltern ererbt, durch Thätigkeit und kluge Berechnung in einen großen Reichthum verwandelt, dessen er bei seiner Bildung auf würdige Weise zu genießen wußte, und von dem er dem Dürftigen gern und reichlich mittheilte. Aus Neigung hatte er sich früh mit seiner Frau, einem schönen und guten Mädchen, verheirathet, die ihm mit immer gleicher Liebe zur Seite gestanden, und ihm zwei Kinder, Eduard und Jenny, geboren hatte. In seiner Frau, und mit ihr in diesen beiden Kindern, hatte Meier Trost und Ersatz gefunden, wenn Welt und Menschen ihren Haß und ihre Unduldsamkeit gegen den Juden bewiesen, wenn man ihn ausgeschlossen hatte von Gemeinschaften, ihm Rechte verweigert, deren Gewährung jeder Mann von Ehre zu fordern hat. Die Thätigkeit, Wirksamkeit und Liebe, denen einer großen Gesammtheit zu nutzen nicht vergönnt war, waren lange Zeit hindurch Eduard’s alleiniger Segen geworden, da er mehr als zehn Jahre älter war als seine Schwester.

      Man wundert sich oft, daß die Juden noch immer die Geburt eines Messias erwarten und die göttliche Sendung Jesu weder anerkennen noch begreifen. Aber von ihrem Standpunkte aus muß das ganz natürlich scheinen. Wie sollten sie an eine Lehre glauben, deren mißverstandene Grundsätze ihnen bis auf den heutigen Tag die blutigsten, widersinnigsten Verfolgungen zugezogen haben? wie an einen Erlöser, der sie bis jetzt nicht von Schmach und Unterdrückung erlöset hat? Von der Liebe, die Jesus der Menschheit gepredigt, haben die Juden bei den Christen seit jener Zeit wenig zu bemerken Gelegenheit gehabt. Sir haben in der That noch keinen Messias gefunden. Welch ein Wunder also, wenn sie ihn um so sehnlicher erwarten, je mehr sie der Befreiung und Erlösung sich werth fühlen; wenn jeder Vater bei der Geburt eines Sohnes freudig hofft, dies könne der Erlöser seines Volkes werden, und wenn er den Knaben so erziehen möchte, daß der Mann reif werde für den großen Zweck.

      So war auch Eduard’s Erziehung in jeder Beziehung sorgfältig geleitet worden. Sie sollte ihn zu einem Menschen heranbilden, der in sich Ersatz für die Entbehrungen finden könnte, welche das Leben ihm auferlegen würde, und sollte ihn anderseits fähig machen, die Verhältnisse zu besiegen, und sich wo möglich eine Stellung zu verschaffen, die ihn der Entbehrungen überheben und alle Vorurtheile besiegen könne. Glücklicherweise kamen Eduard’s Fähigkeiten dem Wunsche seiner Eltern entgegen. Eine starke Fassungsgabe und eine große Regsamkeit des Geistes machten, daß er die meisten seiner Mitschüler überflügelte, und erwarben ihm ebenso sehr die Gunst der Lehrer, als eine gewisse Herrschaft über seine Gefährten. Von Liebe und Wohlwollen überall umgeben, schien sein Charakter eine große Offenheit zu gewinnen, und er galt für einen fröhlichen, sorglosen Knaben, bis einst in der Schule der Sohn einer gräflichen Familie, mit dem er sich knabenhaft in Riesenplanen für die Zukunft verlor, bedauernd gegen ihn äußerte: Armer Meier, Dir hilft ja all Dein Lernen Nichts, Du kannst ja doch nichts werden, weil Du nur ein Jude bist.

      Von dieser Stunde ab war der Knabe wie verwandelt. Er erkundigte sich eifrig nach den Verhältnissen der Juden, er fühlte sich gedrückt und gekränkt durch sie, und nur sein angeborner Stolz verhinderte ihn, sich gedemüthigt zu fühlen; doch entwickelte sich durch das Nachdenken über diesen Gegenstand bei ihm sehr früh der Begriff von jenen Rechten des Menschen, die Alle in gleichem Grade geltend zu machen vermögen, das Bewußtsein innern Werthes, und ein Zorn gegen jede Art von Unterdrückung. Je älter er wurde, und je mehr er erkennen lernte, welche Vorzüge ihm schon bei seiner Geburt, durch die Aussicht auf eine glänzende Unabhängigkeit zu Theil geworden waren, je bestimmter er einsah, zu welchen Ansprüchen ihn seine Fähigkeiten einst berechtigen dürften, um so mehr empörte sich sein Herz gegen ein Vorurtheil, das alle seine Hoffnungen unerbittlich vernichtete.

      Grade in der Zeit von Eduard’s Kindheit war wieder eine neue Judenverfolgung durch ganz Deutschland gegangen und die allgemeine Stimmung hatte sich natürlich auch in der Schule sichtbar gemacht, die Eduard besuchte. Spott und Kränkungen mancher Art waren nicht ausgeblieben; man hatte wohl gehofft, der feige Judenjunge werde Alles ruhig dulden. Darin hatte man sich aber geirrt. Eduard’s Charakter war furchtlos, und er erlangte durch Uebung bald eine Gewandtheit und Entschlossenheit, die Jeder sich anzueignen vermag. Er lernte fechten, reiten, schwimmen, und nachdem er sich ein paar Mal mit starker Hand selbst sein Recht verschafft hatte, fand er Ruhe, und endlich auch wieder seine frühere überlegene Stellung zu seinen Gefährten wieder. Hatte der Jüngling früher in einzelnen Momenten dem Gedanken Raum gegeben, sich von