Für eine Frau hat selbst der Ärmste dem Vater einen Haufen Eisenplatten als Kaufgeld zu entrichten, mehr als drei Frauen sind nicht üblich. Selten hat eine Bongofrau weniger als fünf Kinder. Kinderlosigkeit ist für den Mann immer ein Grund zur Scheidung. Bei Ehebruch sucht der Mann den Verführer zu töten, das Weib kommt mit Prügeln davon. Kinder, die nicht mehr gesäugt werden, dürfen nicht in der Hütte der Eltern schlafen, die größeren erhalten eine eigene Hütte. Die Bongo beschämen in diesem Punkt einen großen Teil der Bewohner Europas.
Der Tote wird unmittelbar nach dem Ende mit angezogenen Knien in kauernde Stellung gebracht, in einen Sack gehüllt und in das sehr tiefe Grab gesetzt, Männer mit dem Gesicht nach Norden, Frauen nach Süden. Über dem Grab errichtet man einen hohen Steinhügel, mitten darauf wird ein Wasserkrug gestellt. Stets bezeichnet man die dicht neben der Wohnhütte gelegene Stätte durch hohe Holzpfähle, die mit vielen Kerben verziert sind. Niemand wußte mir eine ausreichende Deutung für diese Pfähle zu geben.
Ein religiöser Kultus in unserm Sinn fehlt den Bongo. Bemerkenswert ist ihre Furcht vor bösen Geistern, deren Sitz allgemein in das nächtliche Dunkel des Waldes verlegt wird. Gute Geister sind ihnen unbekannt. Im Verdacht, sich mit bösen Geistern in Verkehr setzen zu können, stehen alle alten Leute, besonders die Weiber. Alte, in deren Besitz sich verdächtige Hölzer und Wurzeln finden, werden unfehlbar erschlagen, selbst wenn es Vater oder Mutter beträfe. Der echte, unverfälschte Hexenglaube ist im Bongoland verbreiteter als irgendwo in der Welt, und Hexenverfolgungen waren an der Tagesordnung. Bejahrte Leute gehören zu den größten Seltenheiten. Der Ghattassche Verwalter Idris prahlte, er allein habe an einem einzigen Tag sechs Hexen abschlachten lassen.
Die Heilmethode ist höchst einfacher Art. Innere Krankheiten werden nur mit Übergießen von sehr heißem Wasser behandelt. Geschickter sind die Bongo in der Behandlung von Wunden. Krüppel und Mißgeburten waren nirgends anzutreffen, nur Zwerggestalten finden sich hin und wieder. Verrückte werden gefesselt und in den Fluß geworfen und von gewandten Schwimmern tüchtig untergetaucht. Rasende werden eingesperrt und gefüttert; im allgemeinen ist ihr Los weit glücklicher als dasjenige, das des unverschuldeten Alters harrt.
Wichtig ist die Frage der Zugehörigkeit der Bongo gerade mit Rücksicht auf die beispiellose Mischung der Völker in Afrika. Man muß annehmen, daß es die Stämme am Tschadsee sind, zu denen die Bongo die meiste Verwandtschaft haben, aber es ist schwer, in dem Wirrsal des afrikanischen Völkerbaus den leitenden Faden herauszufinden. Ein gemeinsamer Zug läßt sich nicht leugnen, der durch das große Afrika geht und hoch erhaben über der Fülle der Einzelheiten thront: die menschliche Einheit des weitaus größten Teils seiner Bewohner. Bald wird das Bongovölklein für immer vergessen sein, und neue Bildungen werden an seine Stelle treten.
8. In einem unglücklichen Land
Nach Ablauf der Regenzeit setzte ich die Reise fort. Meine botanischen Studien in der Umgebung der Seriba Ghattas waren beendet, und ich entschloß mich, mein Schicksal mit dem des stets gefälligen Mohammed Abd-es-Ssammat zu verknüpfen. Dieser war am weitesten nach Süden vorgedrungen und hatte bereits wiederholt den großen rätselhaften Fluß der Mangbattu überschritten, der, unabhängig vom Nilsystem, nach Westen strömen sollte. Auch konnten einige tausend Mariatheresientaler für Trägerkosten erspart werden, wenn Mohammed seine Versprechungen hielt, und er war ein Mann von Wort. Am 17. November 1869 setzte sich die aus 250 Trägern und Bewaffneten bestehende Karawane in Bewegung. Mein Gepäck war auf 36 Lasten beschränkt; begleitet war ich von meinen nubischen Dienern und drei arabisch sprechenden Sklaven als Dolmetschern.
Der Marsch durch gut bewässertes, langsam aus der Anschwemmungsebene des Nilgebiets ansteigendes Land zeigte nur zu viele Spuren der Verödung durch Steppenbrände und durch die Mißwirtschaft der nubischen Händler. Eine Strecke von etwa 130 Kilometern war noch vor drei Jahren gut bebautes und bevölkertes Land gewesen, jetzt enthielt sie nur noch wenige Bongosiedlungen. Seitdem die Bongo in Massen unter die Dinka geflüchtet waren, weideten jetzt auf den fetten Grasflächen des ehemaligen Kulturlandes nur noch Elefanten und Antilopen. Aus dem Grase starrten hin und wieder die verkohlten Reste großer Dörfer. In der nur spärlich bebauten Umgebung einer der Seriben war das nackte Gestein weit und breit mit menschlichen Gebeinen bedeckt. Zusammengeraubte Sklaven erlagen hier in Menge den Anstrengungen ihres Marsches, oft auch mögen sie wohl buchstäblich den Hungertod erlitten haben, sobald in dem öden Lande kein Korn mehr aufzutreiben war. Verbrannte menschliche Gebeine und verkohlte Hüttenpfähle bezeichneten hier das Vorrücken des Islam. Auch in den Seriben selbst harrte meiner ein empörendes Schauspiel: eine Anzahl hilfloser Kinder, Bilder des Jammers und des äußersten Elends.
Nach siebentägiger Wanderung durch fast unbewohnte Gegenden befand ich mich in der Hauptseriba Mohammeds, die nach dem Anführer seiner Bongo den Namen Ssabbi trug; sie war von zahlreichen Dörfern und ausgedehnten Feldern umgeben. Von hier aus beherrschte Mohammed seine Bongo- und Mittugebiete, die in ihrer längsten Ausdehnung nicht weniger als 120 Kilometer maßen. Die Speicher der Bongo waren jetzt gefüllt, da die Ernte soeben erst beendet war. Da ging es lustig her, und meine nächtliche Ruhe war häufig durch wilden Lärm gestört. Aus dem Waldesdunkel machten sich die Orgien der Bongo vernehmbar. Nun geht es los mit dem Zappeln und Tanzen, die öltriefenden Kautschukgestalten beginnen ihre Schaukelbewegungen mit maschinenhafter Beharrlichkeit, bis die Lunge der Posaunenbläser erlahmt und die Fäuste der Paukenschläger steif werden. Eine Pause, dann beginnt das Toben von neuem. Der Gegenstand ihrer Späße ist in der Regel derbster Art.
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