Die Dinka sind als grausam im Krieg bekannt; sie kennen keinen Pardon, und um die Körper der Erschlagenen führen sie wilde Tänze auf. Allein es gibt auch Dinka deren Gemüt für Barmherzigkeit empfänglich ist. Nie werden Geschwister und Eltern sich gegenseitig im Stich lassen.
Die Annahme, daß bei diesen Wilden ein Familiengefühl in unserm Sinne nicht vorhanden sei, ist nicht gerechtfertigt. Im Frühjahr 1871 erlebte ich folgendes: Ich weilte damals in der Seriba Kutschuk-Ali am Djur unter dem Volke gleichen Namens. Einer der Dinkaträger, die Vorräte für mich von der Meschra herbeigeschafft hatten, war seiner geschwollenen Füße wegen nicht imstande, in seine Heimat zurückzukehren. Viele Tage saß er allein da. Es herrschte Hungersnot im Lande, und ab und zu erhielt er von mir eine Handvoll Durra und Reste von unsern Mahlzeiten. Er konnte also zur Not leben und befand sich auf sicherem Boden; es hätte daher nur der Geduld bedurft, um nach der Heilung seine Familie zu erreichen. Aber nicht lange währte es, da stellte sich sein bejahrter Vater ein, um ihn abzuholen. Auf seinen eigenen schwachen Schultern trug der Alte den fast zwei Meter langen Lümmel 16 Wegstunden weit nach Hause. Die Eingeborenen sahen diese für unser Empfinden ungewöhnliche Leistung als etwas ganz Selbstverständliches an.
6. Schwarze Schmiedekünstler
Auf einem dreiwöchigen Abstecher nach Nordwesten machte ich nähere Bekanntschaft mit den Djur, einem mit den Schilluk naheverwandten Stamm, dessen Seelenzahl kaum 20000 übersteigen kann. Der Name stammt von den Dinka und bedeutet Waldmenschen, Wilde, im verächtlichen Sinn. Sie sind etwas heller gefärbt als die Dinka. In ihrer Tracht haben sie meist den Schillukbrauch beibehalten. Obgleich die Männer tagtäglich mit den Nubiern und den Bongo zu tun haben, lassen sie sich von ihnen nicht beeinflussen und lehnen hartnäckig eine Bedeckung der Geschlechtsteile ab. Um so sorgfältiger bedecken sie die Gesäßpartie mit einer kleinen Schürze von Fell. Kunstvoller Haarputz scheint nicht üblich zu sein; Männer und Frauen tragen am liebsten das Haupthaar kurz geschoren.
Die Lieblingszieraten bei den Männern sind dieselben wie bei den Dinka. Ein eigentümlicher Schmuck der Männer, der sich nur hier findet, besteht in schweren Ringen aus gegossenem Messing, deren Zierraten aufs sorgfältigste eingemeißelt werden. Die Frauen sind durch nichts von den Dinkaweibern zu unterscheiden. Sehr häufig tragen sie einen großen Eisenring, der durch die Nase gezogen ist. Unglaubliches in Verunstaltung leisten die den Djur benachbarten Belanda, die in der Nase zu Dutzenden Ringelchen tragen, die wie heraushängende Würmer aussehen: ein abscheulicher Anblick!
In neuerer Zeit hat sich vieles von den ursprünglichen Sitten der Djur verloren. So ist der Gebrauch des gegenseitigen Anspuckens, der früher als Begrüßung allgemein üblich war, längst in Vergessenheit geraten. Ich war nur dreimal Zeuge davon. In diesen Fällen drückte das Ausspucken den höchsten Grad inniger Zuneigung aus, eine Art Schwur der Treue und Ergebenheit.
Der Landstrich, den die Djur bewohnen, bildet die unterste Terrasse des eisenhaltigen Felsbodens, daher waren sie auf die Eisenindustrie angewiesen. Jeder Djur ist ein gelernter Schmied. Die gewöhnliche Form, in der das Rohmaterial hergerichtet wird, ist eine Lanzenspitze, in der Regel 60 bis 70 Zentimeter lang. Lanzen und »Meloten«, d. h. Spaten, dienen im gesamten Gebiet des obern Nil als gangbare Münze. Im März, kurz vor der Aussaat, verlassen die Djur ihre Hütten, um teils zum Fischfang an die Ufer des Flusses gleichen Namens zu ziehen, teils um sich mit Erzschmelzen im Walde zu beschäftigen. Weiber und Kinder folgen ihnen und führen alle bewegliche Habe mit sich. An den Baumstämmen lehnen Lanzen und Harpunen, hängen die derben Bogen zu Fallen beim Büffelfang, die Netze, Reusen und Fischkörbe, das ganze Zubehör der Hauswirtschaft, gedörrte Fische und Krokodile, Wildbret, am Boden überall Kohlen und Haufen von Brauneisenstein, Eisenschlacken, zerbrochene Tondüsen und ähnliches. Der Schmelzofen hat eine schlanke, geschweift konische Gestalt und erreicht nur etwas über einen Meter Höhe. Alle waren wie nach einem Modell gebaut; Blasebälge kommen nicht in Anwendung. Das Metall ist unsern besten Sorten Schmiedeeisen gleichwertig.
Eine Vorstellung vom Leben in einem Djurdorf zur Winterszeit soll die umstehende Zeichnung veranschaulichen. Die hohen Gerüste bei den Hütten enthalten das zur Aussaat bestimmte Sorghumkorn, die Maiskolben, die Kürbisse, die hier vor den gefräßigen Ratten und Insekten sicher sind. Unter den Gestellen sind die Ziegen angebunden, mit Hunden und Hühnern die einzigen Haustiere.
Die Behausungen, runde Hütten mit Kegeldach, sind im allgemeinen in der Form einfach und schmucklos, aber mit großer Sorgfalt und Sauberkeit und mit guter Raumverteilung gebaut, wie dies bei allen heidnischen Negervölkern der Fall ist. Im Innern befindet sich ein großer Vorratsraum, der zur Aufnahme des Korns bestimmt ist, das für den Hausbedarf dient. Der freie Platz vor der Hütte wird von einem aufs sorgfältigste geglätteten und festgestampften Tonboden eingenommen, auf dem man das Korn reinigt. Von tadelloser Härte ist der Tonboden im Innern der Hütten. Ein großer Holzmörser, in dem das Korn zerstampft wird, um nachträglich mit den Händen auf einem Stein zu feinem Mehl zerrieben zu werden, ist vor der Hütte tief in den Boden eingesenkt. An einem Baumstamm zur Linken hängt die große Signalpauke; man sieht dort auch die starken Bogen, deren Sehne durch einen Knebel mit Gewalt gespannt wird, um auf der Jagd als Falle zu dienen. Rechts trägt ein Mann Eisensteine zusammen.
Den Boden bestellen die Djur mit vielem Eifer. Den größten Wert legen sie auf Besitz von Vieh, obwohl nur magere Ziegen den Bestand bilden. Ein stets gefüllter Hühnerhof und schließlich der Hund sind zur häuslichen Behäbigkeit unentbehrlich. Die Männer jagen und fischen und üben sich in der edeln Schmiedekunst, falls sie nicht von den Nubiern zu Frondiensten als Lastträger oder Hüttenbauer herangezogen werden. Die Felder werden von den Weibern bestellt, denen auch der Hauptteil der Arbeit bei der Einrichtung der Hütten zukommt. Aus freier Hand, ohne Hilfe einer Drehscheibe gestalten sie tonnengroße Gefäße von tadelloser Ebenmäßigkeit. Mit einer glattgeschlagenen Tonfläche werden auch die Gräber neben den Hütten versehen. Ein kreisrunder, flacher, bis eineinhalb Meter hoher Hügel bezeichnet die letzte Ruhestätte für so lange Zeit, als die abspülende Kraft der Regengüsse es gestattet.
Eltern- und Kindesliebe zeichnet die Djur in weit vorteilhafterer Weise aus als andere Völker Zentralafrikas. Jede Familie ist reich an Kindern. Säuglinge legt man in längliche Körbe, die als Wiege dienen; nirgends sah ich Ähnliches bei heidnischen Negervölkern. Auch das Alter steht in Ehren, und in den Weilern trifft man überall Leute mit weißem Haar.
7. Ein dem Untergang geweihtes Volk
Ich versuche die Schilderung eines kleinen, sichtlich dem Untergang geweihten Volkes, das infolge seiner ausgeprägten Eigenart in Erscheinung, Sprache und Sitten als ein Vertreter echt afrikanischer Volksart angesehen werden kann. Halb der Vergangenheit angehörig, ohne Staat und Geschichte, ohne irgendwelche Überlieferung verliert sich sein Dasein spurlos in der Geschichte.
Im Südwesten vom Becken des Gazellenflusses zwischen dem 6. und 8. Grad nördlicher Breite liegen die Wohnsitze dieses Volkes, der Bongo, ein Land, das an Flächenraum Belgien gleichkommt, aber kaum vier Köpfe auf den Quadratkilometer zählt. Als Anfang der fünfziger Jahre die ersten Chartumer das Land betraten, fanden sie es in eine Anzahl unabhängiger Gemeinden geteilt. Den rohen Söldnerbanden wurde es daher leicht, sich zu Herren aufzuwerfen und in wenigen Jahren das ganze Gebiet unter wenige Elfenbeinhändler zu verteilen. Zur bessern Beaufsichtigung und Ausbeutung werden die Einwohner um die Seriben herum angesiedelt. Kaum der Hälfte gelang es, sich durch Massenauswanderung der Sklaverei zu entziehen. Viele Tausende von Knaben und Mädchen werden nach entlegenen Ländern geführt; wie übermütige Paviane im Getreidefeld hausten die Nubier. Die Bevölkerung hat sich um mindestens zwei Drittel verringert; ich habe sie auf höchstens 100 000 Köpfe berechnen können auf etwa 30 000 Quadratkilometern.
Die Hautfarbe der Bongo entspricht der rotbraunen Erde, auf der sie leben. Ein gedrungener Bau der Gliedmaßen bei meist mittlerer Größe, ein scharf ausgeprägtes Muskelgefüge, vor allem aber das Überwiegen der Länge des Oberkörpers, verbunden mit einer breiten Schädelbildung, sind die hauptsächlichsten Rassenmerkmale. Sie haben, wie fast alle Neger, kohlschwarzes Haar. Das krause Wollhaar wird nicht lang. Bartwuchs findet sich nur sehr vereinzelt.
Die Bongo sind ein Volk von Ackerbauern.