a) Mitwirkendes Verschulden
15.55
In Betracht kommt vor allem der Einwand des mitwirkenden Verschuldens (§ 254 BGB). Ein solches kann z.B. darin liegen, dass der Schuldner es unterlassen hat, dem Gläubiger nicht bekannte Verteidigungsmittel rechtzeitig vorzubringen oder dass er ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen ließ; ferner darin, dass er den Gläubiger nicht auf die Gefahr eines mit der Zwangsvollstreckung verbundenen ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam gemacht hat; schließlich darin, dass er es unterlassen hat, mittels Sicherheitsleistung die Zwangsvollstreckung abzuwenden oder wenigstens den Schaden „gering zu halten“[110]. Das Beigetriebene muss aber stets erstattet werden.
b) Aufrechnung
15.56
Auch eine Aufrechnung ist grundsätzlich möglich; dies gilt ganz unabhängig davon, ob der Anspruch durch neue Klage oder im anhängigen Rechtsstreit geltend gemacht wird (Rn. 15.57, 15.59)[111]. Die Aufrechnungslage entsteht nach Auffassung des BGH schon vor der Entscheidung, die den vorläufig vollstreckbaren Titel aufhebt (Anhängigkeit des Rechtsbehelfs?); denn der Vollstreckungsgläubiger könne die Ersatzforderung des Vollstreckungsschuldners schon vorher befriedigen (§ 387 BGB)[112]. Ausgeschlossen ist freilich die Aufrechnung mit der Klageforderung, weil dadurch der Zweck des § 717 vereitelt würde[113].
Der BGH differenziert dabei auch im Rahmen des Schadensersatzanspruchs nach § 717 Abs. 2 zwischen der Erstattung des vollstreckungsweise erhaltenen Betrages und weitergehendem Schaden: hinsichtlich des Erstattungsbetrags verbiete sich die Aufrechnung mit der Klageforderung, während in Bezug auf den weitergehenden Schaden unbeschränkt aufgerechnet werden könne[114]. Diese Differenzierung begründet der BGH unter anderem mit der Annahme einer gespaltenen Rechtsnatur des Schadensersatzanspruchs (s. noch Rn. 15.60). Die Unterscheidung zwischen Erstattung und weitergehendem Schaden ist indessen im Gesetz so nicht vorgezeichnet, vielmehr verläuft die Grenzlinie zwischen § 717 Abs. 2, der vollen Schadensersatz gewährt, und § 717 Abs. 3, der sich auf Bereicherungsausgleich beschränkt. Der differenzierende Standpunkt des BGH kann so besehen nicht voll überzeugen.
Beispielsfall:
Baur/Stürner, Fälle, Fall 3.
5. Geltendmachung des Anspruchs
15.57
Zur Geltendmachung seines Anspruchs aus § 717 stehen dem Schuldner zwei Möglichkeiten zur Wahl:
a) Selbstständige Klage
15.58
Er kann mittels Klage vor dem zuständigen erstinstanzlichen Gericht gegen den Gläubiger vorgehen, also in einem besonderen Rechtsstreit außerhalb des Verfahrens, in dem das vorläufig vollstreckbare Urteil aufgehoben oder abgeändert worden war. Insofern bestehen keinerlei Besonderheiten gegenüber jeder anderen Rechtsverfolgung.
b) Rechtsverfolgung im anhängigen Rechtsstreit
15.59
Der Schuldner kann aber auch in dem anhängigen Rechtsstreit, in dem über die Aufhebung bzw. Abänderung oder die Aufrechterhaltung des Vollstreckungstitels erst entschieden werden soll, den Antrag stellen, ihm für den Fall der Aufhebung oder Abänderung Schadensersatz bzw. Bereicherungsherausgabe zuzusprechen (§ 717 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 2). Dabei handelt es sich dann – ohne wesentlichen Unterschied[115] – entweder um eine in ihren Zulässigkeitsvoraussetzungen privilegierte Widerklage oder um einen Inzidentantrag des Beklagten über einen erst künftig – nämlich mit der Verkündung des Urteils – entstehenden Anspruch[116].
Durch einen Antrag nach § 717 wird der Streitwert des anhängigen Prozesses nicht erhöht. Auch zurückverlangte Zinsen und Kosten werden dem Streitwert nicht zugerechnet; anders nur, wenn nach § 717 Abs. 2 Ersatz eines weitergehenden Schadens verlangt wird[117].
Ist Schuldner des Anspruchs aus § 717 nicht der Kläger, sondern sein Rechtsnachfolger (Rn. 15.53), so ist bei Geltendmachung im anhängenden Prozess der Rechtsnachfolger zu verurteilen, obwohl der Kläger gemäß § 265 Partei des Rechtsstreits bleibt[118].
Die Entscheidung über den Schadensersatz- bzw. Bereicherungsanspruch ergeht durch Endurteil, gleichviel ob ihn der Schuldner durch besondere Klage oder durch Antrag im anhängigen Verfahren erhebt. Für dieses Urteil gelten hinsichtlich der Rechtsmittel und der Vollstreckbarkeit die allgemeinen Grundsätze[119].
6. Rechtsnatur des Anspruchs
15.60
Der rechtliche Charakter des Anspruchs aus § 717 Abs. 2 bzw. Abs. 3 ist schwer zu bestimmen. Am einleuchtendsten ist es, ihn als privatrechtlichen Aufopferungsanspruch zu erklären: der Schuldner bekommt einen Ausgleich dafür, dass er die Zwangsvollstreckung aus dem – wie sich in der Rechtsmittelinstanz herausstellt – ungerechtfertigt gegen ihn ergangenen Urteil ohne Abwehrmöglichkeit hat hinnehmen müssen[120]. Der BGH qualifiziert den Schadensersatzanspruch gemäß § 717 Abs. 2 in seiner jüngeren Rechtsprechung als prozessrechtlichen Anspruch, soweit er auf die Erstattung des auf Grund des vorläufig vollstreckbaren Urteils erlangten Betrages gerichtet ist[121]; dies müsste folgerichtig auch für den Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 gelten. Soweit dagegen weitergehender Schaden zu ersetzen ist, geht der BGH von materiellrechtlicher Natur des Anspruchs aus (s. Rn. 15.56)[122].
Die h.M. sieht in § 717 einen Fall der Gefährdungshaftung, aber nur deshalb, weil die Ersatzpflicht des Gläubigers unabhängig von seinem Verschulden besteht[123]. Aus dieser Qualifizierung wird dann die Folgerung abgeleitet, dass der Anspruch im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32) eingeklagt werden könne[124]; der BGH ging bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung von dreijähriger Verjährung (entsprechend § 852 BGB a.F.) aus (heute Regelverjährung gem. § 195 BGB)[125], konsequenterweise kommt die analoge Anwendung von § 852 BGB n.F. in Betracht, die der BGH jedoch für die inhaltgleiche Vorgängernorm alten Rechts (§ 852 Abs. 3 a.F.) verneint, weil § 717 Abs. 2 eine Risikohaftung für erlaubtes Verhalten begründe[126].
7. Entsprechende Anwendung des § 717
15.61
Aus § 717 ergibt sich kein allgemeiner Grundsatz, dass die Vornahme einer unberechtigten Zwangsvollstreckung den Gläubiger auch ohne Verschulden schadensersatzpflichtig mache (s.a. Rn. 5.22). Vielmehr sind bezüglich einer entsprechenden Anwendung des § 717 folgende Fallgruppen zu unterscheiden:
a) Gesetzliche Fälle
15.62
Eine entsprechende Anwendung ist vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen,
- | wenn ein vorläufig vollstreckbarer Beschluss über die Vollstreckbarerklärung eines Schiedsspruchs im Verfahren der Rechtsbeschwerde aufgehoben wird (§ 1065 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 717); |
- |
wenn sich die Anordnung
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