1. Funktionelle Zuständigkeit
8.31
Das Amtsgericht ist als Vollstreckungsgericht funktionell zuständig für „die den Gerichten zugewiesene Anordnung von Vollstreckungshandlungen und Mitwirkung bei solchen“ (§ 764 Abs. 1). Diese Formulierung kann zu Missverständnissen Anlass geben; denn
a) | auch das Prozessgericht ist zu gewissen Vollstreckungshandlungen berufen, also etwa das Landgericht, das das Urteil im Rechtsstreit erlassen hat (s. unten III.); |
b) | das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht ist nicht nur Vollstreckungsorgan, sondern auch entscheidendes Gericht (z.B. über die Erinnerung nach § 766). Wenn also § 764 Abs. 3 von „Entscheidungen“ spricht, ist nur der letztgenannte Aufgabenbereich gemeint. |
In den Bereich der funktionellen Zuständigkeit des Amtsgerichts als Vollstreckungsgericht fallen die Zwangsvollstreckung in Forderungen und andere Vermögensrechte (§§ 828 ff., 857, 858), die Mitwirkung bei der Mobiliarvollstreckung in gewissen Fällen[123] (z.B. §§ 758, 758a[124], 789, 825 Abs. 2), das Verteilungsverfahren (§§ 872 ff.), die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen (§§ 1, 163, 171b ZVG). Verstöße gegen die funktionelle Zuständigkeit machen auch hier die Entscheidung nichtig (s. Rn. 11.3).
Das Familiengericht ist nicht für Zwangsvollstreckungsverfahren zuständig[125], ausgenommen dort, wo das Prozessgericht als Vollstreckungsorgan (s. Rn. 8.36) oder für Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren (z.B. § 767) berufen ist (Rn. 45.28). Familiengerichtliche Zuständigkeit gibt es auch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (Rn. 53.3).
2. Zuweisung an den Rechtspfleger
8.32
Zu beachten ist, dass nach § 20 Abs. 1 Nr. 17 u. § 3 Nr. 1i RPflG die „Geschäfte im Zwangsvollstreckungsverfahren“ dem Rechtspfleger zugewiesen sind (Vollübertragung)[126]; darunter fallen auch die dem Vollstreckungsgericht übertragenen Vollstreckungshandlungen.
a) Verfassungsrechtliche Problematik
8.33
Wegen Art. 92 GG ist die Zuweisung verfassungsrechtlich problematisch, soweit sie sich auch auf echte Rechtsprechungsakte (etwa die Beschlüsse gemäß § 765a oder gemäß § 90 ZVG) erstreckt. Die wohl h.L. rechtfertigt sie mit der ohne weiteres offen stehenden Anrufung des Richters und betrachtet die Rechtspflegertätigkeit nur als „innergerichtliches Vorverfahren“[127].
b) Rechtsbehelfproblematik
8.34
Der Rechtsbehelf im Bereich rechtspflegerischer Tätigkeit ist – auch nach der Reform des § 11 RPflG[128] zweifelhaft und umstritten. Die Novellierung 1998 hat die Rechtsbehelfsproblematik nur teilweise entschärft. Dabei unterscheidet die h.M. nach wie vor zwischen Entscheidungen und Maßnahmen des Rechtspflegers. Das Gesetz eröffnet gegen Entscheidungen des Rechtspflegers grundsätzlich das nach allgemeinen Verfahrensvorschriften zulässige Rechtsmittel (§ 11 Abs. 1 RPflG), gemeint ist dasjenige Rechtsmittel, das zulässig wäre, wenn statt des Rechtspflegers ein Richter entschieden hätte[129]. Gegen Entscheidungen, die ohne mündliche Verhandlung ergehen können (z.B. Ablehnung eines beantragten Pfändungsbeschlusses, Rn. 30.12), ist mithin sofortige Beschwerde nach § 793 statthaft, wobei der Rechtspfleger nach h.M. abhelfen kann (§ 572 Abs. 1)[130]; gegen andere Entscheidungen ist sofortige Beschwerde nach § 567 zulässig (z.B. Verweigerung einer titelübertragenden Klausel, Rn. 18.8). Ist die Entscheidung, hätte sie ein Richter getroffen, dagegen unanfechtbar (z.B. einstweilige Anordnung nach § 769 Abs. 2), greift die sofortige Rechtspflegererinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG Platz[131]. Auch hier besteht für den Rechtspfleger Abhilfemöglichkeit (§ 11 Abs. 2 S. 2 RPflG). Bei Nichtabhilfe entscheidet der Richter (§ 11 Abs. 2 S. 5 RPflG), und zwar derjenige, der ursprünglich zu entscheiden gehabt hätte, wenn es den Rechtspfleger nicht gäbe (§ 28 RPflG). Die so genannte Durchgriffserinnerung gibt es also nicht mehr.
Bei Vollstreckungshandlungen des Rechtspflegers geht dagegen nach h.M. § 766 vor[132]. Dies bedeutet z.B., dass der Schuldner, der sich gegen einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Rechtspflegers wendet, die Erinnerung nach § 766 einzulegen hat; über sie entscheidet – wenn nicht der Rechtspfleger abhilft – der Amtsrichter. Erst gegen die Entscheidung des Amtsrichters ist dann wieder die sofortige Beschwerde nach § 793 an das Landgericht gegeben. Nach h.M. sind ablehnende Entscheidungen nach Anhörung des Schuldners allerdings keine Vollstreckungshandlungen, gegen die „Vollstreckungserinnerung“ durchgreift (§ 766); vielmehr ist in diesen Fällen grundsätzlich sofortige Beschwerde der zutreffende Rechtsbehelf[133].
3. Örtliche Zuständigkeit
8.35
Örtlich ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bereich die einzelne selbstständige Vollstreckungshandlung vorgenommen werden soll oder vorgenommen worden ist (§ 764 Abs. 2); es ist also u.U. nicht ein Amtsgericht für alle Akte einer Zwangsvollstreckung zuständig; werden mehrere selbstständige Vollstreckungshandlungen in den Bezirken verschiedener Amtsgerichte vorgenommen, so kommen mehrere Amtsgerichte als Vollstreckungsgerichte in Betracht (s.a. Rn. 6.48 zur Dezentralisierung). Hat der Schuldner unter Mitnahme der gepfändeten Gegenstände seinen Wohnsitz in den Bezirk eines anderen Gerichts verlegt, dann ist das Amtsgericht des neuen Bezirks zuständig, wenn der Schuldner z.B. gemäß § 825 eine andere Art der Verwertung beantragt[134].
Dagegen bleibt das Vollstreckungsgericht, das den früheren Vollstreckungsakt vorgenommen hat, für unselbstständige Teile des Vollstreckungsvorgangs zuständig, so insbesondere für Rechtsbehelfe, die sich auf den Vollstreckungsakt beziehen. Verlegt z.B. der Schuldner seinen Wohnsitz unter Mitnahme der gepfändeten Sachen in einen anderen Gerichtsbezirk, so ist, wenn er geltend macht, die Pfändung verstoße gegen § 811, für die Entscheidung über die Erinnerung das Gericht des früheren Wohnsitzes als Vollstreckungsgericht zuständig[135].
Besondere Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit bestehen für die Zwangsvollstreckung in Forderungen (§ 828 Abs. 2 und 3), für die Abnahme der Vermögensauskunft (§§ 802g, 802i), für die Arrestpfändung in Forderungen (§ 930), ferner in den §§ 848, 853–855, 858 Abs. 2, 873. Beantragt der Gläubiger Forderungspfändung beim unzuständigen Gericht, so hat es das Verfahren seit der 2. Zwangsvollstreckungsnovelle 1999 auf entsprechenden Gläubigerantrag formlos an das zuständige Gericht abzugeben (§ 828 Abs. 3 S. 1); die Abgabe ist nicht bindend (§ 828 Abs. 3 S. 2)[136].
Ein Verstoß gegen die örtliche