Pitaval des Kaiserreichs, 2. Band. Hugo Friedländer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hugo Friedländer
Издательство: Bookwire
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Год издания: 0
isbn: 9783754958285
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zur Führung des Krieges dem Reichstag abverlangten Geldmittel können wir nicht bewilligen, weil dies ein Vertrauensvotum für die preußische Regierung wäre, die durch ihr Vorgehen im Jahre 1866 den gegenwärtigen Krieg vorbereitet hat. Ebensowenig können wir die geforderten Geldmittel verweigern, denn es könnte dies als Billigung der frevelhaften und verbrecherischer Politik Bonapartes aufgefaßt werden. Als prinzipielle Gegner jedes dynastischen Krieges, als Sozial-Republikaner und Mitglieder der Internationalen Arbeiter-Assoziation, die ohne Unterschied der Nationalität alle Unterdrücker bekämpft, alle Unterdrückten zu einem großen Bruderbunde zu vereinigen sucht, können wir uns weder direkt noch indirekt für den gegenwärtigen Krieg erklären und enthalten uns daher der Abstimmung, indem wir die zuversichtliche Hoffnung aussprechen, daß die Völker Europas, durch die jetzigen unheilvollen Ereignisse belehrt, alles aufbieten werden, um sich ihr Selbstbestimmungsrecht zu erobern und die heutige Säbel- und Klassenherrschaft als die Ursache aller staatlichen und gesellschaftlichen Übel zu beseitigen.

      Berlin, den 21. Juli 1870.

      A. Bebel. W. Liebknecht.«

      Diese Erklärung entfesselte einen kaum zu schildernden Sturm der Entrüstung nicht nur in allen bürgerlichen Parteien, sondern auch unter den Mitgliedern des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Vereins. Selbst der Ausschuß der sozialdemokratischen Arbeiter-Partei Eisenacher Richtung war mit diesem Vorgehen nicht einverstanden. »Landesverräter« war die mildeste Bezeichnung für Liebknecht und Bebel. Die Sozialdemokraten Eisenacher Richtung wurden allerorten aufs schmählichste beschimpft. Obwohl in dem damaligen Wohnort von Liebknecht und Bebel, in Leipzig, die Eisenacher Sozialdemokraten verhältnismäßig zahlreich waren, wurden Liebknecht und Bebel in Leipzig auf offener Straße behelligt und eines Nachts, als Liebknecht sich gerade in einer Versammlung befand, in der Liebknechtschen Wohnung die Fenster eingeschlagen. Ein großer Stein, der durchs Fenster geflogen kam, hätte beinahe dem ältesten Sohn Liebknechts, den Frau Natalie Liebknecht gerade an der Mutterbrust hatte, den Kopf zertrümmert. Bebels Wohnung blieb verschont, da dieser in der Petersstraße im Hofe wohnte. Die Erregung wuchs, als nach der Schlacht von Sedan, der Gefangennahme Napoleons und der Proklamierung der Republik in Paris im »Volksstaat«, dem von Liebknecht redigierten Zentralorgan der Eisenacher Sozialdemokraten, an der Spitze jeder Nummer zu lesen war: »Ein billiger Friede mit der französischen Republik! Keine Annexion! Bestrafung Bonapartes und seiner Mitschuldigen.« Am 5. September 1870 erließ der zu Braunschweig domizilierte Ausschuß der sozialdemokratischen Partei Eisenacher Richtung ein Manifest in demselben Sinne. Am 6. September erfolgte die Veröffentlichung, und am 9. September wurde der gesamte Ausschuß, Kaufmann Wilhelm Bracke jr., Oberlehrer Spier, Ingenieur Leonard v. Bornhorst, Gralle und Kühn nebst dem Druckereibesitzer Sievers und einem Braunschweiger Sozialdemokraten, namens Ehlers, auf Befehl des Höchstkommandierenden der Armee in den deutschen Küstenländern auf Grund des proklamierten Kriegszustandes verhaftet und in Ketten geschlossen nach der ostpreußischen Festung Lötzen abgeführt. Sehr bald darauf traf das gleiche Schicksal den Vorsitzenden der Kontrollkommission der »Eisenacher«, den Hamburger Buchhändler August Geib und den Vertreter des zweiten Berliner Landtagswahlbezirks, Abgeordneten Dr. med. Johann Jacoby in Königsberg in Preußen, der in der Königsberger Stadtverordnetenversammlung sich gegen jede Annexion erklärt hatte. Dr. Jacoby war aber keineswegs der einzige bürgerliche Demokrat, der gegen die Annexion protestierte. Obwohl die Norddeutsche Allgemeine Zeitung die Mitteilung brachte: Jeder, der sich öffentlich gegen die Annexion erklärt, macht sich des Landesverrats schuldig, erließen die Mitglieder des bürgerlichen »Demokratischen Vereins« in Berlin, an der Spitze Dr. Guido Weiß und Färbereibesitzer William Spindler, damals Chef der Weltfirma W. Spindler, im Verein mit einer Anzahl Berliner Sozialdemokraten Eisenacher Richtung eine mit Namen unterzeichnete öffentliche Protesterklärung gegen die Weiterführung des Krieges und gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen. Die Legislaturperiode des Reichstages war am 31. August 1870 erloschen. Aus Anlaß des Krieges wurde sie aber bis Ende Dezember 1870 verlängert. Wenige Tage vor Weihnachten wurde der Norddeutsche Reichstag geschlossen und die Wahlen für den ersten deutschen Reichstag ausgeschrieben. Liebknecht und Bebel kehrten von Berlin nach Leipzig zurück. Am folgenden Morgen in aller Frühe wurden beide und der Redakteur des »Volksstaat« Adolf Hepner verhaftet. In demselben Augenblick übernahm der verstorbene Journalist Carl Hirsch, damals Redakteur des sozialdemokratischen »Bürger- und Bauernfreund« in Krimmitschau, die Redaktion des »Volksstaat«. Am 28. März 1871 öffneten sich den drei Verhafteten die Pforten des Untersuchungsgefängnisses. Inzwischen fanden am 3. März 1871 die Reichstagswahlen statt. Die Sozialdemokraten beider Richtungen erlitten eine arge Niederlage. In Berlin war von den »Eisenachern« in Gemeinschaft mit den bürgerlichen Demokraten, und zwar in allen sechs Kreisen Dr. Johann Jacoby aufgestellt. In ganz Berlin wurden 6400 Stimmen für Dr. Jacoby abgegeben. Von den Mitgliedern des Allgemeinen deutschen Arbeiter-Vereins war in allen sechs Berliner Wahlkreisen Maurer Grau, ein ganz vorzüglicher Redner, aufgestellt. Er erhielt in ganz Berlin noch nicht 4000 Stimmen. In ganz Deutschland wurden 124655 sozialdemokratische Stimmen abgegeben. Von den sozialdemokratischen Reichstagskandidaten wurde lediglich Bebel in Glauchau-Meerane gewählt. Auch Liebknecht war in seinem alten Wahlkreise Schneeberg-Stollberg durchgefallen. Außer Bebel waren noch zwei bürgerliche Demokraten, der Verleger der »Frankfurter Zeitung«, Leopold Sonnemann, und Rechtsanwalt Schraps (Zwickau) gewählt. Die Mitglieder des Braunschweiger Ausschusses wurden sechs volle Monate in Haft behalten. Im November 1871 hatten sie sich in Braunschweig wegen Hochverrats zu verantworten, sie wurden jedoch nur wegen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung verurteilt. Nach Beendigung des Prozesses strengten sie gegen den General Vogel von Falckenstein auf dem Zivilwege die Entschädigungsklage an. Der General wurde auch schließlich zu einer hohen Entschädigungssumme verurteilt, die ihm der Kaiser als Gnadengeschenk verehrte.

      Inzwischen wurde gegen Liebknecht, Bebel und Hepner Anklage wegen »vorbereitender Handlungen zum Hochverrat« erhoben. Die Staatsanwaltschaft behauptete: Die verschiedenen Zeitungsartikel, öffentliche Reden, Broschüren und Briefe der Angeklagten aus den letzten zehn Jahren, aber auch Zeitungsartikel, Reden, Broschüren und Briefe anderer Sozialdemokraten, selbst von solchen, die längst verstorben oder auch zu den Gegnern übergetreten waren, seien in ihrer Gesamtheit vorbereitende Handlungen zum Hochverrat. So begann nun am Montag, den 11. September 1872, vor dem Leipziger Bezirksschwurgericht unter ungeheurem Andrange des Publikums der Prozeß. Die sächsische Staatsregierung hatte zwei Mitglieder des Königl. Stenographischen Instituts zu Dresden mit der stenographischen Aufnahme der Verhandlungen beauftragt. Den Gerichtshof bildeten Bezirksgerichtsdirektor von Mücke (Vorsitzender), Bezirksgerichtsräte Mansfeld und von Knappstädt (Beisitzende) und Bezirksgerichtsrat Weiske als Ersatzrichter. Die Staatsanwaltschaft vertrat Staatsanwalt Hoffmann. Die Verteidigung führten Rechtsanwalt Freytag I (Leipzig) für Liebknecht und Hepner und Rechtsanwalt Freytag II (Plauen) für Bebel. Die Geschworenenbank bildeten Rittergutsbesitzer Winning aus Mölbis, Kommunegutspächter Kunze aus Grausnig, Oberförster Borner aus Seidewitz, Kaufmann Edmund Oskar Göhring aus Leipzig, Gutsbesitzer Hoffmann aus Naunhof, Kaufmann G. Jakob Harder aus Leipzig, Rittergutspächter Steiger aus Schweta, Kaufmann Karl Heinrich Benzien aus Leipzig, Kaufmann und Ratsmann August Koch aus Lausigk, Kaufmann Reinhard Steckner aus Pegau und Kaufmann Karl Gustav Platzer aus Leipzig. Nach Feststellung der Personalien Liebknechts wurde sofort ein langes Aktenstück der Gießener Polizei verlesen, das mit den Worten begann: »Liebknecht soll in seiner Jugend ein Trauerspiel geschrieben haben, das aber nicht aufgeführt wurde.« Alsdann wurde die politische Tätigkeit Liebknechts, wonach er an allen möglichen Verschwörungen teilgenommen habe, in ausführlicher Weise geschildert. Das Aktenstück schloß mit den Worten: »In Berlin und in Sachsen wird man von der politischen Tätigkeit Liebknechts mehr Kenntnis haben als hier, da er bereits seit 22 Jahren aus Gießen fort ist.« Darauf nahm das Wort Angeklagter Liebknecht: Das soeben verlesene Opus der Gießener Polizei versetzt mich in die Notwendigkeit, wenigstens in den Grundzügen ein wahres Bild meines Lebens zu entwerfen gegenüber diesem Zerrbild. Das Aktenstück ist ein kurioses Beispiel davon, wie die Tatsachen sich in einem Polizeihirn spiegeln und vollkommen entstellt zurückgeworfen werden. Die absolute Unfähigkeit des Verfassers, die Wahrheit zu erkennen, die Dinge so zu sehen und zu schildern, wie sie sind, geht schon zur Genüge aus der Behauptung hervor die von ihm so freundlich gemachten Aufschlüsse über alle möglichen Verschwörungen im allgemeinen und den Kommunistenverband im besonderen seien nicht dem berüchtigten »Schwarzen Buche« entnommen,