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Vielfalt der Handlungsformen
Die Handlungsformen der EU-Eigenverwaltung gehen über den klassischen Katalog hinaus und haben eine große Vielfalt angenommen, für die eine Kategorisierung im Hinblick auf Rechtswirkungen, Verfahrensanforderungen oder Rechtsschutzmöglichkeiten noch aussteht[121]: Es finden sich Verwaltungsverträge, Verwaltungsabkommen (teilweise auch reine Zuständigkeitsfragen regelnd[122]), nicht näher kategorisierte Realhandlungen im Rahmen von Informationshandeln und -austausch, Planungsakte und eine Fülle von soft law Instrumenten wie Rahmen, Mitteilungen oder Leitlinien, wobei letztere Begrifflichkeit durchaus sehr unterschiedlich verwendet wird und unverbindliche Leitlinien zur Anwendungssteuerung im EU-Wettbewerbsrecht genauso erfasst wie die verbindlichen Leitlinien der Kommission im Energiebinnenmarktrecht.[123] In der Beihilfeaufsicht durch die Kommission werden Unionsrahmen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten erarbeitet, deren Bindungswirkung dann aus Art. 23 Abs. 1 S. 2 BeihilfeverfahrensVO (EU) 2015/1589 folgt. Die vielfältigen Aufgaben, die von oder in Zusammenarbeit mit Agenturen wahrgenommen werden, erweitern die Handlungsformen zusätzlich. Dort ist auch noch die Handlungsform der Entscheidung anzutreffen, die materiell-rechtlich dem heutigen Beschluss entspricht.[124]
VI. Ausblick
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Trends: Zentralisierung, Diversifizierung
Die Pluralisierung und Ausdifferenzierung der EU-Eigenverwaltung ist Ausdruck eines Trends, den Vollzug von Unionsrecht stärker zu zentralisieren. Jedenfalls nimmt die Zahl der Agenturen weiter zu, wie auch die Fälle, in denen die Kommission entweder selbst Vollzugsaufgaben übernimmt oder durch exekutive Rechtsetzung oder softe Steuerungsmechanismen den Vollzug des Unionsrechts auf dezentraler Ebene stärker determiniert. Andererseits ist nicht jede neue Agenturgründung gleichbedeutend mit der Verschiebung von Vollzugszuständigkeiten auf die zentrale Ebene, da die allermeisten Agenturen eher im Vorfeld der Politikformulierung oder/und im Rahmen der Informationsbesorgung und der Verbesserung der Kooperation der nationalen Behörden tätig werden.
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Trends: Ausdifferenzierung der Vollzugswirklichkeit, Verdichtung der Vollzugssteuerung
Ferner entwickelt sich gerade in manchen klassischen Feldern der EU-Eigenverwaltung ein immer differenzierteres Bild der Vollzugszuständigkeiten: Die nationalen Stellen werden in die Anwendung etwa des EU-Kartellrechts und des EU-Beihilferechts vermehrt einbezogen, zur Entlastung der Kommission, deren Aufgabenwahrnehmung sich dann in Richtung Kontrolle und Aufsicht verschiebt. Es gibt daher keine einheitliche Tendenz der Entwicklung des Verwaltungsvollzugs, die nur in Richtung stärkerer Zentralisierung des Unionsrechtsvollzugs weisen würde. Gleichwohl bleibt, wie bereits aufgezeigt, das Anliegen der EU bestehen, die Effektivität und Einheitlichkeit des Unionsrechtsvollzugs zu stärken, was eine gewisse weitere Verdichtung zentraler Steuerungsmechanismen durch eine Europäische Verwaltung mit sich bringt. Die Stärkung der demokratischen Kontrolle über die EU-Eigenverwaltung, insbesondere über Kommission und Agenturen, gerade auch bei deren exekutiver Rechtsetzung, bleibt daher ein fortwährender Auftrag bei der weiteren gesetzgeberischen Ausgestaltung der EU-Eigenverwaltung.
I. Einleitung: Begriff, Erscheinungsformen, Ebenen
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Unionsverwaltungsrecht: national und unional
Unionsverwaltungsrecht meint das Recht des dezentralen, mittelbaren Vollzugs von EU-Recht durch die Mitgliedstaaten. Im eigentlichen Sinne bezieht sich der Begriff auf die Rechtsgrundlagen oder Anforderungen dafür, die aus dem Unionsrecht stammen.[125] Grundsätzlich bestimmt sich der dezentrale Vollzug nach dem nationalen Verfahrens- und Organisationsrecht (sog. Verfahrens- und Organisationsautonomie[126]), soweit nicht das Unionsrecht Regeln vorgibt und/oder Anforderungen an dieses nationale Recht stellt.[127] Das Unionsrecht kann nicht nur im EU-Sekundärrecht konkrete Vorgaben für die Verfahrensgestaltung, unter Umständen unmittelbar anwendbare Verfahrensregeln für die nationalen Verwaltungsverfahren formulieren, in denen Unionsrecht vollzogen wird, und institutionelle Vorgaben für das Organisationsrecht insoweit festlegen; am umfangreichsten ist das im EU-Zollrecht erfolgt, das von nationalen Behörden nahezu ausschließlich auf der Grundlage des Unionszollkodex[128] vollzogen wird. Das Unionsrecht statuiert auch allgemeine Anforderungen an das nationale Verwaltungsverfahrens- und -organisationsrecht. Rechtsquellen des Unionsverwaltungsrechts sind somit neben den Verträgen und ihren grundlegenden verfassungsverwaltungsrechtlichen Aussagen das Richterrecht, das allgemeine Rechtsgrundsätze hierzu entwickelt, und Sekundärrecht. Insgesamt führt das zu der „Europäisierung“ des nationalen Verwaltungsrechts[129] und damit einer Konvergenz nationaler Verwaltungsrechte der Mitgliedstaaten.[130] Die grundlegendsten Grundsätze insoweit sind die der effektiven Durchführung des Unionsrechts in Form des Effektivitäts- und des Äquivalenzgebots,[131] wurzelnd in Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 291 Abs. 1 AEUV („erforderlich“), die eine modifizierte Anwendung des einschlägigen nationalen Verfahrensrechts gebieten können.[132]
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Erscheinungsformen nationalen Vollzugs
Das Unionsrecht wird von den Mitgliedstaaten direkt angewendet, soweit es unmittelbar anwendbare Regeln formuliert (unmittelbarer Vollzug).[133] Oder aber Unionsrecht wird – wie bei Richtlinien – erst in nationales Recht umgesetzt und dann indirekt angewendet. Bei dieser indirekten Anwendung wird zwar unmittelbar das nationale Umsetzungsrecht angewendet, da dieses aber auf Unionsrecht basiert, muss es aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts gegebenenfalls unionsrechtskonform ausgelegt werden[134], so dass mittelbar eine Anwendung von Unionsrecht erfolgt (mittelbarer Vollzug). Schließlich kann idealiter im Rahmen der unmittelbaren Anwendung noch der respektierende Vollzug[135] des Unionsrechts unterschieden werden; in dieser Vollzugsform bewegen sich nationale Behörden im Anwendungsbereich materiellen Unionsrechts, für dessen Vollzug mangels einschlägiger EU-(Verfahrens) vorgaben nur nationales (Verfahrens-)recht zur Anwendung kommt (vgl. Art. 291 Abs. 1 AEUV: „nach innerstaatlichem Recht“), dessen Anwendung aber im Lichte von allgemeinen unionsrechtlichen Anforderungen und allgemeinen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere des Effektivitäts- und Äquivalenzgebots, Modifizierungen unterliegt.[136]
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Vollzugsebenen
Damit findet der Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten auf verschiedenen Ebenen entsprechend den eingangs benannten Vollzugstypologien (Umsetzung, Anwendung, Durchsetzung) mit je unterschiedlicher Beteiligung der Staatsgewalten statt. Auf der Ebene der Umsetzung wird eine unionsrechtliche Regelung (etwa eine Richtlinie) in nationales Recht umgesetzt und eingefügt. Eine solche rechtsetzende Umsetzung erfolgt auch bei ergänzenden Regelungen zu EU-Verordnungen, da die Mitgliedstaaten regelmäßig die anwendbaren Verfahren und die zuständigen Behörden festzulegen haben. Auf dieser Vollzugsebene werden vor allem der Gesetzgeber und die Exekutive als Verordnungsgeber tätig. Die Anwendung des unmittelbar anwendbaren Unionsrechts und/oder des umsetzenden nationalen Rechts erfolgt anschließend durch die Verwaltung oder auch Gerichte, regelmäßig in den im nationalen Recht vorgesehenen Verfahren und Handlungsformen. Die Durchsetzung des Unionsrechts schließlich erfolgt durch die Vollstreckung der dadurch auferlegten Pflichten und ist wiederum vorrangig Aufgabe von Behörden und Gerichten.
II. Grundlagen und Grundsätze
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Verfahrens-