232
Gänzlich verhindern lässt sich die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüche allerdings nur durch den Abschluss eines Erbvertrags, in dem die Abkömmlinge auf ihren Pflichtteil verzichten.[37]
d) Wiederverheiratungsklauseln
aa) Zweck und Gestaltungsoptionen
233
Um zu verhindern, dass das Vermögen im Falle der Wiederheirat des überlebenden Ehegatten in seine neue Familie abwandert, werden häufig sog. Wiederverheiratungsklauseln aufgenommen.[38] Darunter versteht man die Anordnung, dass der überlebende Ehegatte im Falle seiner Wiederheirat den Nachlass des Erstverstorbenen ganz oder teilweise den als Erben eingesetzten Dritten (regelmäßig den Kindern des Erstverstorbenen) herauszugeben hat.[39] In Betracht kommen im Wesentlichen folgende drei Gestaltungsvarianten für den Fall der Wiederheirat:[40] (i) der überlebende Ehegatte muss den Nachlass des Erstverstorbenen an die gemeinsamen Abkömmlinge herausgeben; (ii) der überlebende Ehegatte muss sich nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge mit den Abkömmlingen auseinandersetzen, (iii) den Abkömmlingen wird ein Vermächtnis ausgesetzt.
bb) Konsequenzen bei der Trennungslösung
234
Bei der Trennungslösung bewirkt die Wiederverheiratungsklausel letztlich nur die Erweiterung der Bedingung für den Eintritt des Nacherbfalls: dieser tritt nicht mehr nur im Falle des Todes des Überlebenden ein, sondern auch im Falle seiner Wiederheirat.[41] Eine solche „alles oder nichts“-Lösung wird indes vielfach als nicht angemessen empfunden. Deshalb kann z.B. auch angeordnet werden, dass der Eintritt der Nacherbfolge im Falle der Wiederverheiratung auf einen Bruchteil (z.B. den gesetzlichen Erbteil) beschränkt ist und der Ehegatte im Übrigen Vollerbe wird.[42]
cc) Konsequenzen bei der Einheitslösung
235
Im Falle der Einheitslösung bewirkt eine Wiederverheiratungsklausel nach h.M.[43], dass der überlebende Ehegatte auflösend bedingter Vollerbe und zugleich aufschiebend bedingter Vorerbe wird. Der Wiederheirat kommt somit eine doppelte Bedeutung zu: Sie ist zum einen auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2) der Vollerbschaft, zum anderen aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1) für den Eintritt der Vorerbschaft. Als aufschiebend bedingter Vorerbe unterliegt der überlebende Ehegatte nach h.M. den Beschränkungen der §§ 2113 ff. (→ Rn. 759 ff.).[44] Ob und inwieweit er ggf. von diesen Beschränkungen befreit ist, ist eine Frage der Testamentsauslegung (→ Rn. 323 ff.).[45] Insofern empfiehlt sich für die Praxis, dies ggf. klar zu regeln.
dd) Konsequenzen für die Verfügungsfreiheit des überlebenden Ehegatten
236
Eine Wiederverheiratungsklausel hat schließlich auch Bedeutung für die Verfügungsfreiheit des überlebenden Ehegatten. Sowohl bei der Trennungs- als auch bei der Einheitslösung tritt mit der Wiederheirat die Bedingung für den Nacherbfall ein, d.h. es steht fest, dass der überlebende Ehegatte (insgesamt oder ggf. auch nur teilweise) nur Vorerbe war. Nach h.M. erlangt er deshalb mit der Wiederheirat – quasi als Kompensation für den Verlust seiner Beteiligung am Nachlass des Erstversterbenden – insoweit seine Verfügungsfreiheit zurück und kann wieder völlig frei testieren.[46] Seine im gemeinschaftlichen Testament getroffenen letztwilligen Verfügungen treten allerdings nach h.M. im Zweifel nicht automatisch außer Kraft, sondern bleiben bestehen, bis er sie widerruft.[47]
ee) Sonderproblem: Sittenwidrigkeit
237
Seit der sog. „Hohenzollern-Entscheidung“ des BVerfG[48] wird sehr kontrovers diskutiert, ob und unter welchen Umständen Wiederverheiratungsklauseln ggf. sittenwidrig sind, weil sie die durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützte Eheschließungsfreiheit des Längerlebenden unzulässig beeinträchtigen. Im Einzelnen ist hier vieles streitig.[49] Letztlich bedarf es insofern wohl einer Gesamtwürdigung der objektiven Wirkung der Klausel und der subjektiven Zwecksetzung sowie der sonstigen Situation.[50]
3. Vorrang der Auslegung und Auslegungsregeln
238
Ob im konkreten Fall die Einheits- oder Trennungslösung gewollt ist, ist im Wege der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments (→ Rn. 377 ff.) zu ermitteln. Nur dann, wenn die Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, greift die Auslegungsregel des § 2269 Abs. 1[51]: Danach gilt im Zweifel das Einheitsprinzip. Entsprechendes gilt für die ergänzende Auslegungsregel des § 2269 Abs. 2, wonach ein erst nach dem Tode des Überlebenden zu erfüllendes Vermächtnis im Zweifel erst mit dem Tod des Überlebenden anfallen soll.
Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament › V. Wechselbezügliche Verfügungen
1. Begriff der wechselbezüglichen Verfügung
239
Wechselbezüglich (korrespektiv) sind gem. § 2270 Abs. 1 Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen sein würde. Die Verfügungen müssen nach dem Willen der Eheleute so eng miteinander verbunden sein, dass sie nach dem beiderseitigen Willen „miteinander stehen und fallen“ sollen.[52]
240
Wechselbezügliche Verfügungen können gem. § 2270 Abs. 3 nur sein: Erbeinsetzungen (→ Rn. 728 ff.), Vermächtnisse (→ Rn. 900 ff.), Auflagen (→ Rn. 937 ff.) und Rechtswahlerklärungen (→ Rn. 1481 ff., 1493, 1496).
241
Ihrem Wortlaut nach erfassen §§ 2270, 2271 nur den Fall der gegenseitigen Abhängigkeit. Nach zutr. h.M. ist es aber auch möglich und zulässig, dass nur die Verfügung des einen Ehegatten von der des anderen abhängig ist, aber nicht umgekehrt; im Fall einer sog. einseitigen Wechselbezüglichkeit gelten §§ 2270, 2271 analog.[53]
2. Feststellung