(1790–1859)
Geboren am 3.3.1790 in Creeting Mill bei Ipswich, Suffolk. 1814 beginnt A. mit dem Studium der Rechtswissenschaft und wird 1818 als plädierender Anwalt (barrister) zugelassen. 1819 heiratet er Sarah Taylor und läßt sich mit ihr in Westminster nieder, wo sie Nachbarn und Freunde von → Jeremy BenthamBentham, Jeremy (1748–1832), James Mill und John Stuart Mill werden. A. sucht den Kontakt zu → BenthamBentham, Jeremy (1748–1832), dessen Theorie des Utilitarismus und Kritik am überlieferten englischen Recht die Basis für A.s spätere Rechtstheorie bilden; eine enge Freundschaft entwickelt sich zwischen A. und seinem Schüler John Stuart Mill.
A.s schwache Gesundheit und sein fehlendes couragiertes Auftreten bewirken, daß ihm beruflicher Erfolg als Anwalt versagt bleibt. 1825 gibt er seinen Anwaltsberuf auf. Sein Interesse gilt ohnehin weniger der Praxis der Rechtsanwendung als vielmehr der politischen Philosophie und Rechtstheorie. Er rezipiert die Schriften von → HobbesHobbes, Thomas (1588–1679), → LockeLocke, John (1632–1704), Paley, Hume und vor allem die Theorie → BenthamsBentham, Jeremy (1748–1832). Sein Interesse an einer wissenschaftlichen und analytischen Behandlung der juristischen Materie scheint A. für den neu eingerichteten Lehrstuhl für „Jurisprudence“ an der Londoner Universität zu prädestinieren, auf den er dann auch 1826 berufen wird. Da der Bau der Universität noch andauert, bereitet sich A. in Bonn auf seine Lehrtätigkeit vor und widmet sich dort u.a. dem Studium der Institutionen des Gaius und der Lektüre von → SavignySavigny, Friedrich Carl v. (1779–1861), → HugoHugo, Gustav (1764–1844), Falck, → ThibautThibaut, Anton Friedrich Justus (1772–1840), Mühlenbruch und Kant. Da der geringe Grad wissenschaftlicher Rationalisierung der englischen Rechtsmaterie von ihm stets scharf kritisiert wird, inspirieren |32|ihn Systematik und analytische Schärfe der rezipierten Werke um so mehr. Beeindruckt von Aufbau und Methodik des Studiums der Jurisprudenz an deutschen Universitäten, das sich grundlegend von der rechtlichen Ausbildung in England unterscheidet, wird das Leben eines Gelehrten für A. zur Chiffre für ein gelungenes und gutes Leben: „I was born out of time and place. I should have been a schoolman of the twelfth century or a German professor“.
A.s 1829 an der Londoner Universität aufgenommene Lehrtätigkeit wird zum Mißerfolg, und bereits 1832 ist er gezwungen, seinen Lehrstuhl wieder aufzugeben, da die Studenten ausbleiben. Sein trockener, rhetorisch ungelenker Stil und die analytisch genauen Begriffsdefinitionen werden seinen Zuhörern zur Qual. „Jurisprudence“ als rechtstheoretische und rechtsphilosophische Grundlegung des Rechts hatte keinen Platz in der rein auf die Praxis ausgerichteten Ausbildung englischer Studenten. 1832 veröffentlicht A. seine einleitenden Vorlesungen unter dem Titel „The Province of Jurisprudence Determined“, doch die erhoffte Resonanz stellt sich nicht ein. Sein akademischer Mißerfolg wird zum persönlichen Desaster, von dem er sich nicht mehr erholt. Es folgen Jahre der Krankheit und Depression; Melancholie und ein Gefühl des Scheiterns beherrschen fortan A.s Grundstimmung. Als Mitglied einer königlichen Untersuchungskommission zur Modernisierung des Strafrechts findet A. keine Unterstützung für seine weitgehenden Reformvorschläge und kehrt auch dieser Tätigkeit wieder den Rücken. 1836 wird A. zum Beauftragten für rechtliche Reformen auf der als Kronkolonie verwalteten Insel Malta. Obwohl seine Reformvorschläge zum Teil umgesetzt werden, stößt seine Tätigkeit auf Malta auch auf massive Kritik, und als A. Malta verläßt, ist er einmal mehr gesundheitlich und psychisch angeschlagen. Da es A. in England, dem Ort seiner Mißerfolge, nicht aushält, leben die Austins in den folgenden Jahren im Ausland, davon einige Jahre in Dresden und mehrere Sommer in Karlsbad, ab 1843 in Paris. In diesen Jahren gelingt es A. nicht, seine begonnene Rechtstheorie weiterzuführen. Eine Wiederauflage von „The Province …“ lehnt er mit der Begründung ab, weitreichende Revisionen seien erforderlich. Die revolutionären Unruhen in Paris im Jahre 1848 lassen die Austins nach England, Weybridge zurückkehren. In völliger Abkehr von den früheren radikaldemokratischen Ideen der „Benthamite Radicals“ ändert A. seine politische und rechtstheoretische Einstellung im Laufe der Jahre so fundamental, daß er in den letzten Jahren seines Lebens in Opposition zu seinem eigenen positivistischen Ansatz der zwanziger und dreißiger Jahre steht und |33|sich der Position der Historischen Schule (→ MaineMaine, Sir Henry James Sumner (1822–1888)) annähert. Seine Wende zum Konservatismus dokumentiert der 1859 erschienene Aufsatz „A Plea for the Constitution“. A. stirbt am 17.12.1859 in Weybridge. Die ihr verbleibenden Jahre nutzt Sarah, um mit großem Einsatz eine erweiterte Neuauflage des Vorlesungsmaterials ihres Mannes zu bewirken und sichert ihm damit posthum den Ruf als eines der großen Rechtsphilosophen, der ihm sein ganzes Leben lang verwehrt geblieben war.
A.s theoretische Arbeit ist von der Idee angeleitet, die Jurisprudenz als Wissenschaft zu etablieren. Er unterteilt die Regeln menschlichen Verhaltens in die Gesetze Gottes, sittliche Regeln des Zusammenlebens und positives Recht. Die Frage, wie die Regeln menschlichen Verhaltens sein sollen, beantwortet Austin mit einem von → BenthamBentham, Jeremy (1748–1832) übernommenen Utilitarismus: eine Handlung ist dann sittlich geboten, wenn sie sich zur Optimierung des Glücks einer größtmöglichen Zahl von Menschen als nützlich erweist. In seiner rechtstheoretischen Analyse konzentriert sich A. jedoch allein auf das vorgefundene positive Recht. Gegenüber metaphysischen und vernunftrechtlichen Konzeptionen des Naturrechts, die seiner Ansicht nach mit der Annahme überpositiven Rechts die Unterschiede zwischen Recht, Moral und Religion verwischen, versucht A. den Gegenstand seiner Untersuchung, das positive Recht, scharf abzugrenzen und einer eigenen systematischen Behandlung zu unterziehen. In seiner Befehlstheorie des Rechts („command theory“) stellt sich das positive Recht als faktisch wirkendes System von Imperativen dar. Rechtsnormen und -regeln sind Befehle, bei deren Mißachtung ein angedrohtes Übel wirksam wird, was dazu führt, daß Befehlen gewohnheitsmäßig gehorcht wird, um Sanktionen zu vermeiden. Die spezifische Differenz des positiven Rechts gegenüber anderen Regeln liegt in seinem Ursprung: Die Rechtsbefehle werden von dem Souverän erteilt, der allein durch seine gesetzgebende Kraft die Befehle mit Rechtsgültigkeit ausstattet. Existenz und Gültigkeit des Rechts wurzeln also nicht mehr im Naturrecht, da A. die Autorität des Souveräns und seiner Befehle nicht im Rückgriff auf eine übergeordnete Instanz als legitimiert begreift. Die Macht des Souveräns und der ihm untergeordneten politischen Institutionen basieren lediglich auf sozialen Gepflogenheiten, Brauch und Gewohnheit; Hierarchien bilden sich aus, indem Menschen anderen Menschen aus Gewohnheit Gehorsam leisten. An der Spitze der Hierarchie steht der Souverän, derjenige, der selbst niemandem gegenüber Gehorsam übt. Die rechtsetzende Macht des Souveräns ist nach A.s Theorie nicht wiederum |34|rechtlich zu beschränken und bedarf keiner rechtlichen Form. Der Souverän kann folglich auch kein illegitimes Rechts kreieren, d.h. jeder Akt der Rechtsetzung durch den Souverän führt notwendig zu einem legalen Rechtsbefehl.
Nicht die Auffassung, Gesetze seien Befehle eines Souveräns, ist neu an A.s Ansatz; seine rechtsgeschichtliche Bedeutung gründet vielmehr in der Abkehr von dem Gedanken, der Souverän verdanke seine Autorität wiederum einer übergeordneten Instanz. Damit ist die Grundidee einer positivistischen Rechtsauffassung formuliert: die Geltung des Rechts ist seine Faktizität. Recht wurzelt nicht in moralischen Vorbedingungen, sondern wird von Menschen durch Entscheidungen festgesetzt und dadurch gesellschaftliche Wirklichkeit.
Im deutschsprachigen Raum stehen den Vorstellungen der frühen englischen Positivisten Bierlings Juristische Prinzipienlehre, der Ansatz von Bergbohm und später → KelsensKelsen, Hans (1881–1973) Reine Rechtslehre nahe. Entscheidenden Einfluß hatte der rechtspositivistische Ansatz vor allem auf das anglo-amerikanische Recht. In den USA nahmen John Chipman Gray und Oliver Wendell Holmes die Ansätze A.s auf. Kritisiert wurde er hingegen von der Historischen Schule von → Henry MaineMaine, Sir Henry James Sumner (1822–1888). Im weitesten Sinne in der Tradition A.s stehen Theoretiker wie H.L.A. Hart, die sich mit sprachanalytischen Mitteln um eine Reformulierung des Rechtspositivismus bemühen.
Da A. das Recht allein durch die Sozialtatsachen der Über- und Unterordnung definiert, wird seine Theorie als reduktionistisch und als „naiver