H.
Bonifacius AmerbachAmerbach, Bonifacius (1495–1562)
(1495–1562)
Geb. 11.10.1495 in Basel, reformiert seit 1534, Vater: gelehrter Drucker, aus Amorbach nach Basel eingewandert; 1507–1513 humanistischer Bildungsgang in Schlettstadt und Basel; 1513 als Magister Artium nach Freiburg, wo er bis 1519 als Schüler und Hausgenosse des → ZasiusZasius, Ulrich (1461–1535) Jurisprudenz studiert; 1520–1524 Studium in Avignon (bei → AlciatAlciatus, Andreas (1492–1550) und Franz v. Ripa); 1525 Promotion in Avignon zum juris utriusque doctor; ab 1.5.1525 Professor des römischen Rechts in Basel, zeitweise einziger Lehrer der jur. Fakultät; Mitwirkung |26|bei Wiedererrichtung der Universität nach der Reformation in Basel (1529); 1535 Stadtsyndikus in Basel; 1536 übernimmt A. nach Erasmus’ Tod die Verwaltung des Nachlasses (Erasmus-Stiftung); 1548 legt A. die Professur aus gesundheitlichen Gründen nieder. Fünfmal war er Rektor der Universität Basel (1526, 1535, 1540, 1551, 1556), zweimal also noch, nachdem er die Professur niedergelegt hatte; gestorben ist er am 24. oder 25.4.1562 in Basel.
A. wird in der Literatur ein hervorragender Platz eingeräumt bei der Auseinandersetzung zwischen mos italicus und mos gallicus. Wenn seine Wirkungen auch auf Basel beschränkt blieben – er zog keine Schule nach sich –, so kann er doch als Beispiel eines Juristen zur Zeit des Humanismus angeführt werden.
Während seiner langen Studienzeit lernte A. bei → ZasiusZasius, Ulrich (1461–1535) und → AlciatAlciatus, Andreas (1492–1550) einerseits die neue Betrachtungsweise für das römische Recht kennen: Gegenüber der Anpassung dieses Rechts an die Gegenwart, wie sie die italienischen Kommentatoren betrieben hatten (mos italicus), trat die Arbeit an der Quelle, dem corpus iuris civilis, in den Vordergrund (mos gallicus). Andererseits wurde A. durch Franz v. Ripa die Bedeutung der mittelalterlichen Interpreten des römischen Rechts (Glossatoren und Kommentatoren) klar. In seiner Antrittsrede von 1525 (später gedruckt als „Defensio Interpretum iuris civilis“) hat er sein juristisches Konzept dargelegt. Keineswegs handelt es sich dabei um eine bloße Zurückwendung auf die italienische Dogmatik, sondern A. ist bemüht, eine Synthese zu finden, in der das Zurückgehen auf die Quellen die Beachtung der Meinungen ihrer Interpreten nicht ausschließt. A. will die Tradition der italienischen Rechtslehrer nicht abreißen lassen, er sieht aber deutlich deren Grenzen. Er hält ihnen zugute, daß sie in ihrer Zeit noch nicht zu besseren Ergebnissen kommen konnten. Wenn man aber berücksichtige, daß etwa → AccursiusAccursius (um 1185–1263) in einem weniger glücklichen und gelehrten Jahrhundert geschrieben habe, so müsse man zugeben, daß er Großes geleistet habe. Diese abwägende Haltung nimmt A. auch in seinen Vorlesungen und Rechtsgutachten ein: er verwendet die Glosse und die Kommentatoren, folgt ihnen aber nicht kritiklos und macht sich auch die quellenkritischen Arbeiten der zeitgenössischen Juristen zunutze.
Auch in der aequitas-Lehre, die oft als Prüfstein humanistischer Tendenzen in den Ansichten verschiedener Juristen herangezogen wird, weil dieser Problemkreis in der Rückbesinnung auf die Antike eine besondere Rolle spielt, bewahrt A. seine Selbständigkeit gegenüber den italienischen Juristen. In einer erhaltenen Vorlesung über Billigkeit |27|übernimmt er eine Definition von → OldendorpOldendorp, Johann (um 1488–1567). Auf Grund seiner eingehenden Beschäftigung mit griechischer Philosophie (bes. Aristoteles) wird aber diese aequitas im Ergebnis nicht wieder zu einem neuen starren Prinzip; Billigkeit ist für ihn nicht eine zweite Gruppe von Vorschriften neben Gewohnheits- und Gesetzesrecht, sondern sie bleibt eine Art von Recht, die nicht in Regeln oder Schemata zu fassen ist. Eine Bindung an das Recht (vornehmlich das corpus iuris civilis, aber auch das Lokalrecht) besteht insofern, als der Richter aufgefordert wird, immer zu fragen, wie wohl der Gesetzgeber entschieden hätte, wenn er das anstehende Problem ausdrücklich geregelt hätte. Neben seiner Beschäftigung als Rechtslehrer und Rechtsberater – u.a. erstellte er ein Gutachten zur Ehescheidung Heinrichs VIII. von England (1530) – hatte A. nach dem Tod seines Freundes Erasmus dessen Nachlaß zu verwalten und damit Arme und Bedürftige zu unterstützen. Er führte diese zeitraubende Arbeit mit großer Genauigkeit aus.
Wie in diesem Amt, so folgte ihm sein Sohn Basilius A. (1533–91) auch in den anderen Positionen nach. Beide A. haben keine Werke veröffentlicht. Sie sahen eine größere Notwendigkeit in der praktischen Arbeit, Lehre und Rechtsberatung. In ihren zahlreichen Briefen und Rechtsgutachten gewähren sie jedoch genügend Einblick in die Auffassungen und das Leben zweier humanistischer Juristen.
Literatur: Die Amerbachkorrespondenz, hrsg. und bearb. v. Alfred Hartmann und B.R. Jenny, Bd. I–XI, 1942–2010. – T. Burckardt-Biedermann: Bonifacius Amerbach und die Reformation, 1894. – U. Dill, B.R. Jenny: Aus der Werkstatt der Amerbach-Edition, 2000. – F. Elsener: Die Schweizer Rechtsschulen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, 1975, bes. 104–109. – M.P. Gilmore: Boniface Amerbach, in ders.: Humanists and Jurists. Six studies in the Renaissance, 1963, 146–177. – H.-R. Hagemann: Die Rechtsgutachten des Bonifacius Amerbach. Basler Rechtskultur zur Zeit des Humanismus, 1997. – A. Hartmann: Bonifacius Amerbach als Verwalter der Erasmusstiftung, in: Baseler Jahrbuch 1957, 7–28. – H. Jacob-Friesen u.a. (Hrsg.): Bonifacius Amerbach. 1495–1562, 1995. – G. Kisch: Bonifacius Amerbach, 1962 (wieder in ders.: Studien zur humanist. Jurispr., 1972, 127–150). – G. Kisch: Bonifacius Amerbach als Rechtsgutachter, in: Festg. f. M. Gerwig, 1960, 85–120 (wieder in ders.: Studien, s.o., 151–194). – G. Kisch: Amerbach und Vadian als Verteidiger des Bartolus, in ders.: Gestalten und Probleme aus Humanismus und Jurisprudenz, 1969, 99–183. – G. Kisch: Erasmus und die Jurisprudenz seiner Zeit, 1960, 344–379. – G. Kisch: Humanismus und Jurisprudenz, 1955, bes. 37–76. – Hermann Lange: Macht und Recht, 2010, 208. – Elisabeth Koch: Die causa matrimonialis im Hause Amerbach/Fuchs, 1981. – Stintzing-Landsberg: GDtRW I, 209–212. – H. Thieme: Die beiden Amerbach, in: Studi in memoria di Paolo Koschaker, I, 1954, 137–177. – H.E. Troje: Graeca leguntur (= Forsch. z. neueren Privatrechtsgesch., 18), 210–216. – H.E.