Mara und der Feuerbringer. Tommy Krappweis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tommy Krappweis
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783964260420
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solle.

      Okay, noch ein-, zweimal und ich bin wirklich entspannt, dachte Mara. Aber noch vierzigmal und ich drehe durch.

      Gerade war ein Stück mit jeder Menge Geigen zu hören, das man ihnen kurz davor als den Winter der vier Jahreszeiten von Vivaldi angekündigt hatte. Es war mitreißend, aufwühlend und dadurch in etwa so entspannend wie eine kalte Dusche mit Ohrfeigen-Massage.

      »Auch wenn es jetzt dafür ein bisschen zu spät ist: Was ist das denn jetzt eigentlich genau, wo ihr beiden mich hinschleppt?«, rief der Professor durch die Geigen, als sie bei der Ausfahrt Starnberg die Autobahn verließen. Er richtete die Frage an beide, aber natürlich war sie eigentlich an Maras Mutter gerichtet.

      Die antwortete auch gleich mit einer Gegenfrage. »Haben Sie denn das Infoblatt nicht gelesen?«

      »Doch, doch, aber nicht verstanden«, entschuldigte sich Professor Weissinger ohne einen Funken Ironie. »Wer ist denn eigentlich dieser Dr. Riese?«

      Mama runzelte die Stirn: »Dr. Riese? Sein Name ist Thurisaz.«

      »Ach so, Entschuldigung«, sagte der Professor und drehte das Radio leiser. »Thurisaz ist der Name der Rune TH im Urnordischen und entspricht lautlich dem altnordischen Wort ›Thurs‹ für ›Riese‹.«

      Mara sah ihre Mutter an. Diese hing an den Lippen des Professors – und das, obwohl man die unter dem Bart nur vermuten konnte.

      »Tatsächlich? Also das ist ja wirklich interessant«, sagte sie. »Wir haben im Wicca-Café auch einmal das Runenwerfen praktiziert, aber ohne fachliche Anleitung. Vielleicht wollen Sie ja beim nächsten Mal dazukommen?«

      Der Professor winkte lachend ab. »Ach, Frau Lorbeer, ich glaube, das wollen Sie nicht wirklich. Mit mir macht so etwas keinen Spaß. Ich lese aus jedem Wurf nur die Information ›zufällige, sinnlose Anordnung‹ und ich glaube, Sie und Ihre Freundinnen erhoffen sich da was ganz anderes.«

      Und Mara war völlig baff, als Mama nicht den Mund zu der bekannten missbilligenden Spitze zusammenzog, sondern ganz im Gegenteil laut loslachte. »Ja, Herr Weissinger, da könnten Sie recht haben. Da erhoffen wir uns wirklich ganz was anderes.«

      So langsam entwickelte sich das Verhältnis zwischen Mama und dem Professor in eine Richtung, die Mara ebenso recht wie unrecht war.

      Wie schön, dass es jetzt auch hier komplizierter wird, dachte Mara. Bin mal gespannt, was uns jetzt bei diesem Seminar vom Doktor Runenriese erwartet …

      Da wurde sie vom Radio aus ihren Gedanken gerissen. Denn gerade hatten die Nachrichten begonnen und ein Politiker war zu hören: »Wir werden dieses Anliegen wohlwollend prüfen, aber bitte haben Sie Verständnis, dass diese Prüfung eingehend zu sein hat und darum etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt.«

      Mara beschloss, sich diesen Satz zu merken, wenn Mama wieder einmal verlangte, dass sie ihr mit der Wäsche half.

      Unter anderen Umständen wäre das Forsthaus im Mühlthal sicher ein idyllischer Ausflugsort gewesen. Aber nun sah Mara der Ankunft dort mit gemischten Gefühlen entgegen. Mal ganz abgesehen von dem Vers des Feuerbringers, war ihr auch diese Rückführungsgeschichte nicht ganz geheuer. Sie wollte sich schließlich weder rück- noch vor- oder sonst wohin führen lassen, sondern nur herausfinden, was hinter dem Vers steckte. Und am besten, ohne dass dieser Dr. Thurisaz Verdacht schöpfte.

      Das Forsthaus war nicht etwa eine kleine Holzhütte, wie der Name vielleicht vermuten ließ. Vielmehr war es als sogenannter Jagdsitz der Wittelsbacher im Jahr 1894 erbaut worden. Hier in der Gegend hatte sich also die Königsfamilie von einem Heer aus Treibern die Tiere des Waldes vor die Flinten hetzen lassen, um sie dann des Abends im Forsthaus gemeinsam zu verspeisen. Puh. Mara war zwar keine Vegetarierin, aber ein bisschen mulmig wurde ihr schon bei dem Gedanken. Dafür entschädigte allerdings der Anblick des romantisch anmutenden Hauses mit seinen efeuumrankten Fenstern und dem gemütlichen Biergarten unter den alten Kastanienbäumen.

      Das Gebäude schmiegte sich mit seiner rechten Seite so nah an einen steilen Berghang, dass man fast das Gefühl hatte, das Haus würde Schutz suchen. Oder den Berg stützen.

      Zwei rauchende Schornsteine ließen auf brennendes Kaminholz schließen und aus den Fenstern schimmerte warmes Licht.

      Vielleicht wird’s ja doch sogar ganz nett, dachte Mara, als sie ihren Koffer vom Rücksitz zerrte und versuchte, die dort ebenfalls gestapelten Aktenordner nicht auf dem Parkplatz zu verteilen.

      Am Eingang zum Forsthaus wurde Mama bereits herzlich begrüßt von ihrer besten Freundin bei den Wiccas von der Au: Walburga.

      »Christa! Ist es hier nicht ganz zauberhaft?«, flötete sie und hopste dabei freudig auf und ab.

      Walburga war wirklich und wahrhaftig Mamas dickste Freundin, denn sie war eher breit als hoch und hatte in etwa die Form von zwei aufeinandergedötschten Eiskugeln. Mit Beinen.

      Trotzdem war Walburga erstaunlich quirlig und beweglich.

      »Die heißt doch nicht wirklich Walburga, oder?«, zischte der Professor Mara zu, aber Mara zuckte nur mit den Schultern. Ob sie nun wirklich so hieß oder sich den Namen selbst gegeben hatte, machte kaum einen Unterschied: Auf jeden Fall passte er perfekt.

      Mama und Walburga schwatzten sofort aufeinander ein und ihre Stimmen verschmolzen zu etwas, das so ähnlich klang wie »Bagawaggawagga…« Na ja, Hauptsache, die beiden verstanden, was sie sich gegenseitig erzählten.

      Mara trottete über den Parkplatz auf sie zu und ließ die Umgebung auf sich wirken. Überrascht blieb sie plötzlich stehen, kniff die Augen zusammen und griff sich mit Zeigefinger und Daumen an den Nasenrücken. Aua! Was ist das denn? Au!

      »Stimmt was nicht?«, raunte ihr der Professor zu.

      »Ja, nein, ich weiß nicht …«, flüsterte Mara mit zugekniffenen Augen.

      »Was Gutes oder was Schlechtes und will es, dass du kommst oder dass du wegbleibst?«, fragte der Professor in sachlichem Tonfall. Er hatte mit Mara schon zu viel erlebt, um ihre Empfindungen als Einbildung abzutun.

      »Ich weiß gar nicht, ob es ein Es ist oder mehrere Esse. Es fühlt sich an, als würde mich der ganze Berg anbrüllen, aber ich verstehe ihn nicht. Er schreit nämlich … mit Licht«, presste Mara hervor.

      Ja, genau das war es: Sie spürte eine gebündelte Energie von so reiner Kraft, dass sie ihr wie ein grellweißes Leuchten vorkam.

      »Mara!«, stieß der Professor hervor, als sie den Koffer fallen ließ.

      Ein paar Meter weiter drehte sich Mama erschrocken um. Mara widerstand dem sinnlosen Versuch, sich mit den Händen vor dem Licht zu schützen, und fuhr stattdessen ihre mentale Schutzmauer hoch. Während der langen Jahre als Tagträumerin hatte sie sich diese Antitraumblockade mühsam aufgebaut und diese leistete ihr nun gute Dienste: Tatsächlich verblasste das Licht ziemlich schnell zu einem kaum wahrnehmbaren Funkeln irgendwo am gegenüberliegenden Berghang.

      Geblendet wie nach einem Fotoblitz, griff Mara tastend nach unten, bekam den Griff des Koffers zu fassen und richtete sich dann mit einem halb gefrorenen Lächeln wieder auf.

      »Hoppla«, rief sie etwas zu laut und zu fröhlich, um auch nur ansatzweise den Eindruck zu erwecken, dass wirklich alles in allerbester Ordnung war.

      Als sie dabei ihren Blick wieder auf das Forsthaus richtete und einen tapsigen Schritt nach vorn machte, war auch das Funkeln verschwunden und Mara konnte versuchen, ihre Sinne wieder zusammenzukehren.

      »Okay, schräg unterhalb vom linken Berghang da drüben steht wohl ein Leuchtturm und leuchtet mir direkt ins Hirn«, flüsterte sie dem Professor zu. »Was ist das denn hier für ein Ort, verdammt?«

      »Ich hatte kaum Zeit, mich eingehend mit dem Mühlthal zu beschäftigen«, antwortete Professor Weissinger entschuldigend. »Aber was ich weiß, ist, dass …«

      Da unterbrach ihn Mama mit einem lauten