§ 65 I 8 ALR: „In der Regel ist jeder Eigenthümer seinen Grund und Boden mit Gebäuden zu besetzen oder sein Gebäude zu verändern wohl befugt. Doch soll zum Schaden oder zur Unsicherheit des gemeinen Wesens, oder zur Verunstaltung der Städte und öffentlichen Plätze, kein Bau und keine Veränderung vorgenommen werden.“ § 10 II 17 ALR: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ |
Abb. 1: Auszug aus einem Baufluchtenplan der Gemeinde Sulzfeld/Baden aus dem Jahr 1962. Bauflucht wird als Bezeichnung für die in einer Linie (Baufluchtenlinie) verlaufende Stellung von Baukörpern verwandt. Der Plan zeigt darüber hinaus die geplanten Wege/Parkplätze und die zulässige Geschossigkeit von Baukörpern.
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Die Festlegung von Baufluchtlinien (also dem, was heute zum Städtebaurecht gezählt wird) resultiert aus solchen Vorschriften, wie auch das, was heute mit der Gefahrenabwehr zum Ordnungsrecht gehört (und früher als „Baupolizeirecht“ bezeichnet wurde). Letzteres fällt in die Regelungskom petenz der einzelnen Bundesländer. Die Trennung der Bereiche des Öffentlichen Baurechts in das Planungsrecht einerseits und das Bauordnungsrecht andererseits gab es allerdings noch nicht in der inzwischen vorhandenen Ausprägung.
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Allmählich entwickelten sich Städtebaurecht (und damit Bauplanungsrecht) und Bauordnungsrecht parallel weiter. Als eine der vorbildlichen Regelungen gilt auch heute noch das Baurecht für das Königreich Sachsen vom 01. 01. 1900. Planungsgrundlagen für die Stadtentwicklung wurden hier rechtlich fixiert. Andere Länder in Deutschland erließen nach und nach auch vergleichbare rechtliche Regelungen.
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Die Weiterentwicklung des Baurechts erfolgte auch in der Weimarer Republik und teilweise selbst während der NS-Diktatur. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand der Aufbau der Städte und Gemeinden (sog. „Trümmergesetze“) im Vordergrund. Erst 1960 kam es für Westdeutschland zum einheitlichen Bundesbaugesetzbuch und 1971 zum Städtebaugesetz. Beide Gesetze wurden im Baugesetzbuch (BauGB) von 1986 zusammengefasst.
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Nach der Wiedervereinigung wurden Gesetze beschlossen, die helfen sollten, baurechtliche Probleme zeitnah zu lösen, so z. B. für die Lösung der Wohnungsnot. Mit dem Baugesetzbuch-Maßnahmengesetz von 1993 wurden Erleichterungen für die Planung der Gemeinden erlassen. Auch die Möglichkeit der Zusammenarbeit zwischen Investoren und planender Gemeinde wurde durch Vorhaben- und Erschließungspläne erleichtert.
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Im Jahr 2004 kam es zu einer Neufassung des Baugesetzbuches. Diese wurde seither mehrfach geändert. Eine stärkere Einbeziehung des Umweltschutzes (z. B. §§ 1a und 2a BauGB) und das Ziel der erleichterten Innenentwicklung (z. B. § 13a BauGB) sind dabei besonders hervorzuheben. Eine Reihe von Änderungen im Bundesrecht gab es in den letzten Jahren, u. a. eine zunächst zeitlich befristete Einbeziehung von Außenbereichsflächen in die Bauleitplanung nach § 13b BauGB, in der Baunutzungsverordnung zum Thema Kinderbetreuung, die Einführung des „urbanen Gebietes“ nach § 6a BauNVO oder vorrübergehende Regelungen vor dem Hintergrund der Flüchtlingswelle. Aktuell gewinnt in der Praxis der Planer der Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes immer stärker an Bedeutung. Mit den Vorgaben im Wasserhaushaltsgesetz des Bundes und den Landeswassergesetzen gibt es zum Teil große Einschränkungen für Bauvorhaben, wenn ein sog. 100-jähriger Hochwasserschutz nicht eingehalten werden kann (vgl. hierzu z. B. § 78 Wasserhaushaltsgesetz).
Aktuell liegt der Entwurf eines Baulandmobilisierungsgesetzes auf Bundesebene vor. Ziel ist vor allem die Bereitstellung von Bauland und die Sicherung bezahlbaren Wohnraums. Geplant ist die Einführung eines neuen Bebauungsplantyps, den „Bebauungsplan zur Wohnraumversorgung“ in § 9 BauGB. Damit würde ein weiterer „Spezialplan“ geschaffen, der systematisch gezielte Steuerungen im Innenbereich ermöglichen soll. Solche gibt es z. B. in § 9 Abs. 2a (Ziel: Sicherung zentraler Versorgungsbereiche), § 9 Abs. 2b (Ziel Ausschluss von Vergnügungsstätten). Näheres zu diesen Plänen enthält unser Grundlagenbuch aber nicht. Weiterhin ist auch eine Ergänzung der BauNVO mit einem neuen Gebietstypus, dem „Dörflichen Wohngebiet“ angedacht. Neben diesen zwei wichtigen Punkten sind weitere Erleichterungen im BauGB und der BauNVO mit dem Ziel der Wohnraumversorgung in dem Gesetzentwurf enthalten.
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Wieso überhaupt muss sich ein Planer mit einer juristischen Materie auseinandersetzen? Genügt es nicht, wenn man sich den notwendigen Sachverstand bei einem ausgebildeten Juristen besorgt oder dort um Beratung nachfragt? Ja und nein: Die Grundlagen des Baurechts muss ein Planer beherrschen. Er oder sie ist verantwortlich für die Einhaltung von „öffentlich-rechtlichen“ Vorschriften, so heißt es z. B. in § 43 Abs. 1 Landesbauordnung Baden-Württemberg. Ein Planer wird zwar nicht über alle Details und die Auslegung der Vorschriften im Einzelnen alles wissen müssen, die zentralen Regelungen zu kennen und ein Problembewusstsein zu haben, gehört aber zur planerischen Verantwortung. Beispielhaft ist eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz (Urteil vom 12. 12. 2007, Az. 1 U 180/07, MDR 2008, 746) zu nennen, in der die Reichweite der Kenntnis und der rechtlichen Prüfung für einen Architekten beschrieben wird. Der Entwurfsverfasser muss erkennen, in welchem Gebiet (Bebauungsplan, Innen- oder Außenbereich) er plant und wie die rechtliche Bewertung aussieht. Daher sind die Kenntnisse im Baurecht nötig. In dem vorliegenden Buch geht es speziell um das öffentliche Baurecht.
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Hierzu ein Einstiegsfall, der eine gewisse Aktualität hat:
Ein Unternehmer, der sich auf das Thema Windkraft spezialisiert hat, möchte mehrere Windräder mit einer Nabenhöhe von über 150 m errichten. Er kennt Flächen, die aus seiner Sicht wegen einer guten Windhöffigkeit geeignet sind. Nun will er diese errichten. Kann er das ohne Weiteres? |
Hier stellen sich Fragen der Raumordnung, des Bauplanungsrechts (gibt es einen Teilflächennutzungsplan für Windkraft oder kann das Vorhaben als sog. privilegiertes Vorhaben im Außenbereich geplant werden?) bis zum Thema des einzuleitenden Verfahrens (Baugenehmigungsverfahren oder immissionsschutzrechtliches Verfahren?).
Auch der „Klassiker“ sei hier angesprochen:
Sie erhalten den Auftrag, ein Wohnhaus zu entwerfen, das etwas ganz Besonderes sein soll. Wie groß darf es sein? Wäre auch eine andere, ergänzende Nutzung neben Wohnen zulässig? (dazu Rn. 28) |
Es gibt Fragen, wie die der bauleitplanerischen Beurteilung (gibt es einen Bebauungsplan, liegt das Vorhaben im Innen- oder Außenbereich?) und der bauordnungsrechtlichen Bewertung (z. B. Abstandsflächen), denen Sie sich als Planer stellen müssen.
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Das öffentliche Baurecht wirkt auf drei zentrale Bereiche ein:
– den Einzelnen, der ein Vorhaben umsetzen, also z. B. ein Haus bauen möchte,
– die Städte und Gemeinden, die eine Steuerung der gemeindlichen Entwicklung wünschen und planen sollen, sowie
– die Allgemeinheit, die vor Gefahren, die durch Bauen entstehen können,