Organisationen und Zeitschriften, die sich auf Forschung zur Vermittlung einer Sprache konzentrieren, sind in der Regel jüngeren Datums als diejenigen, die sich mit mehreren lebenden Sprachen befassen, was die fortlaufende Differenzierung des gesamten Feldes in Einzeldisziplinen in Deutschland und im internationalen Raum widerspiegelt. So gibt es die Vereinigung der Fremdsprachenlehrer in den USA, die „National Federation of Modern Language Teachers“, und ihre Zeitschrift „Modern Language Journal“ bereits seit 1916. Nach dem zweiten Weltkrieg werden wichtige internationale englischdidaktische Zeitschriften gegründet: „English Language Teaching“ (heute: „English Language Teaching Journal“) besteht seit 1946, „TESOL Quarterly“ seit dem Jahr 1966, „Language Teaching“ seit 1967. Auch in Deutschland differenziert sich das Angebot an einzelsprachigen Zeitschriften erst ab den 1960er Jahren aus: „Englisch“ wird 1965 gegründet, „Englisch-Amerikanische Studien (EASt)“ im Jahr 1979.
Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass Dissertationen und Habilitationsschriften im Großen und Ganzen mit den jeweils aktuellen Forschungstrends konform gehen. Blickt man auf die Themen der seit dem Jahr 1843 abgeschlossenen Arbeiten (Sauer 2006 und DGFF-Webseite, siehe Fußnote 2), dann lassen sich anhand der Titel die thematischen Schwerpunkte zumindest oberflächlich feststellen. Tabelle 1 gibt einen Überblick.
Thematischer Schwerpunkt | 1843 bis 1970 | 1971 bis 1999 | 2000 bis 2014 | |||
N = 29 | N = 336 | N = 282 | ||||
Inhalte | 1 | 24 % | 123 | 37 % | 86 | 30 % |
Lehren, Lehrer | 10 | 34 % | 58 | 17 % | 56 | 20 % |
Lernen, Lerner | 7 | 3 % | 127 | 38 % | 124 | 44 % |
Kontext | 12 | 41 % | 28 | 8 % | 16 | 6 % |
Tabelle 1:
Themenbereiche fremdsprachendidaktischer Dissertationen und Habilitationen 1843 bis 2014
Selbstverständlich kann eine solche Übersicht nur einen groben Trend verdeutlichen, denn zum ersten sind vermutlich nicht alle Dissertationen und Habilitationen in den benutzten Übersichten erfasst, zum zweiten lässt sich das Themengebiet aus den Titeln nicht immer eindeutig bestimmen und zum dritten umgreifen sehr viele Arbeiten vermutlich mehr als nur einen Schwerpunkt. Dennoch ist die Verlagerung von der Lehrperspektive zur Lernperspektive klar zu erkennen. Studien zu den Inhalten des Fremdsprachenunterrichts haben sich in ihrem Anteil nicht wesentlich verändert, was vor allem darauf zurückzuführen ist, dass literatur- und kulturdidaktische Untersuchungen in der deutschen Fremdsprachendidaktik – anders als etwa im englischsprachigen Raum – seit jeher einen hohen Stellenwert besitzen.
Wie wird geforscht?
Wenn man von den drei großen Kategorien von Forschung ausgeht, die auch in diesem Handbuch unterschieden werden, nämlich historische, theoretische und empirische Forschung, dann haben sich die Gewichte in den letzten drei Jahrzehnten stark zur empirischen Forschung hin verschoben. Vor gut hundert Jahren gab es zwar auch schon erste empirische Studien zum Fremdsprachenunterricht, der Großteil der Forschung war jedoch eher theoretisch-konzeptuell und historisch-beschreibend ausgerichtet. Es ist nicht verwunderlich, dass die historische ForschungForschunghistorische in den letzten Jahrzehnten des 19. und bis in die späten 1960er Jahre bedeutsam war, denn jede neue Disziplin sucht im Prozess der Selbstdefinition und Selbstfindung nach historischen Wurzeln und Belegen für eine eventuell schon vorhandene Tradition.
Während im englischsprachigen Raum mit der Entwicklung der Applied Linguistics nach einer theoretischen Konsolidierungsphase in den 1960er Jahren (z.B. Halliday/McIntosh/Strevens 1964) in den letzten Jahrzehnten vor allem empirische Forschungempirische Forschungsvorhaben durchgeführt wurden, blieben die Traditionen der theoretisch-konzeptuellen und der historischen Forschung im deutschsprachigen und europäischen Raum stärker lebendig, wenngleich auch bei uns die empirische Forschung heute den Hauptanteil aller Vorhaben in der Fremdsprachendidaktik ausmacht. Es ist insofern interessant, dass erst jetzt in der englischsprachigen Welt der Fremdsprachendidaktik die Forderung nach systematischer historischer Forschung geäußert wird (Smith 2016), die etwa auch in der Romania schon lange im Rahmen von SIHFLES (Société Internationale pour l’Histoire du Français Langue étrangère ou seconde) oder CIRSIL (Centro Interuniversitario di Ricerca sulla Storia degli Insegnamenti Linguistici) erfolgt.
Die Einflüsse auf die fremdsprachendidaktische Forschung in Deutschland stammen aus unterschiedlichen Feldern. Durch die feste Verankerung der Fremdsprachendidaktik in der LehrerbildungLehrerbildung ergeben sich Schnittmengen mit der bildungswissenschaftlichen Forschung und der in anderen Fachdidaktiken. Der Aufstieg der empirischen Bildungsforschung hat auch in der Fremdsprachendidaktik Wirkungen entfaltet. Zudem geschieht Forschung heute stärker als noch vor einigen Jahrzehnten in größeren Verbünden; das DESI-Projekt (Deutsch-Englisch-Schülerleistungen-International) ist dafür ein Beispiel. Eine größere Kooperation gibt es auch über die Grenzen einzelner Fachdidaktiken hinweg; ab 2015 ist dies häufiger im Rahmen von Verbundprojekten der Qualitätsoffensive Lehrerbildung (gefördert durch das BMBF) der Fall. Für die fremdsprachendidaktische Forschung sind auch die Initiativen und Aktivitäten des IQB (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen) von großer Bedeutung, mit denen etwa eine Entwicklung und empirische Validierung von fachspezifischen Aufgaben erfolgt, die in den Schulen die Erreichung der Bildungsstandards fördern und überprüfen sollen. Fremdsprachendidaktische Forschung war auch schon früher mit Innovationen und Entwicklungen im Schulwesen eng verknüpft. Insbesondere die Einführung des Englischunterrichts in der Grundschule führte in den 1970er (Doyé/Lüttge 1977) und frühen 1990er Jahren (Kahl/Knebler 1996) zu wichtigen Forschungsarbeiten.
Wie geforscht wird und geforscht werden kann, hängt nicht zuletzt auch mit den vorhandenen Infrastrukturen zusammen. Die fremdsprachendidaktische Forschung hat vor allem von der Etablierung von Professuren in den letzten fünfzig Jahren profitiert, aber auch von der Einrichtung des DFG-Schwerpunkts „Sprachlehrforschung“ und der Graduiertenkollegs der DFG. Zwölf Jahre lang, von 1991 bis 2003, bestand das Graduiertenkolleg „Didaktik des Fremdverstehens“ an der Justus-Liebig-Universität Gießen und hat durch seine Absolvent_innen, von denen weit mehr als ein Dutzend erfolgreich die Wissenschaftler_innenlaufbahn eingeschlagen haben, die deutsche Forschungslandschaft der fremdsprachendidaktischen Fächer in den vergangenen zwanzig Jahren nachhaltig geprägt. Offenbar gehen eine intensive Nachwuchsförderung und ein bedeutsamer Forschungs-Output Hand in Hand, wie ein Blick in die Zusammenstellung von Sauer (2006) zeigt. Universitäten, an denen zahlreiche Dissertationen und Habilitationsschriften entstanden sind (vgl. Sauer 2006: 75–109) – etwa Gießen, Bielefeld, Hamburg, München und Berlin – können auch als forschungsstark angesehen werden, wenngleich nicht immer in allen fremdsprachendidaktischen Fächern.
Der Blick zurück zeigt eine Reihe von parallel und sukzessive verlaufenen Entwicklungen sowie einige Konstanten. Die fremdsprachendidaktische Forschung hat sich in den letzten 130 Jahren von den Lehrern auf die Wissenschaftler_innen an Universitäten und Hochschulen verlagert. Neben die Inhalts- und Lehrperspektive ist zunehmend die Lernperspektive als Forschungsgegenstand