Angelika Walser
IN DEINER
NÄHE GEHT
ES MIR GUT
Warum Freundschaften lebensnotwendig sind
Wir danken für die freundliche Abdruckgenehmigung von: Rose Ausländer, Gemeinsam I. Aus: dies., Gedichte. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2001
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
2017
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung, Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3585-7 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3609-9 (E-Book)
E-Mail: [email protected]
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Gemeinsam
Vergesset nicht
Freunde
wir reisen gemeinsam
besteigen Berge
pflücken Himbeeren
lassen uns tragen
von den vier Winden
Vergesset nicht
es ist unsre
gemeinsame Welt
die ungeteilte
ach die geteilte
die uns aufblühen lässt
die uns vernichtet
diese zerrissene
ungeteilte Erde
auf der wir
gemeinsam reisen
ROSE AUSLÄNDER
Inhaltsverzeichnis
Warum Freundschaft wichtig ist
Was die Glücksforschung dazu sagt
Warme Insel in einer kalten Welt
Soziologische Aspekte von Freundschaft
Die Merkmale von Freundschaft – kleiner Streifzug durch die antike Philosophie
Wie Freundschaften gelingen: Anforderungen
Von „Sonnenblumen-Augenblicken“ und der Kunst, Freundschaften zu pflegen
Der „Sonnenblumen-Augenblick“ oder Wenn jemand mein Herz berührt
Von der Kunst, Freundschaften zu pflegen
Von Freundschaft und Liebe zwischen Männern und Frauen
Freundschaft – Liebe – Ehe: Einige Bemerkungen zur Problematik der Abgrenzung
Freundschaft – ein heikles Thema zwischen den Geschlechtern
„Harry und Sally“ oder Gewagte Beziehung
Vorwort
Vor einiger Zeit wartete ich in Wien auf die U-Bahn und las auf einem der angebrachten Bildschirme von der ältesten Wienerin, die ihren 106. Geburtstag feierte. Schön war sie, zurechtgemacht für den Wiener Bürgermeister, der ihr Blumen überreichte und zum Geburtstag gratulierte. Auch geistig war sie laut der U-Bahn-Meldung noch überaus fit. Jedoch auf die Frage, was sie mit ihren 106 Jahren am meisten vermisste, war ihre Antwort: „Ich vermisse so sehr meine Freundinnen. Sie sind alle längst tot!“
Angesichts dieser Worte fiel mir Frau B. ein: Frau B. war über 80 Jahre alt und eifrige Hörerin der Theologischen Kurse, einer bekannten Erwachsenenbildungseinrichtung der Erzdiözese Wien, bei der ich seit vielen Jahren als Referentin tätig bin. Sie fiel mir auf, weil sie praktisch zu jedem meiner Vorträge erschien und immer die Frage stellte, von der ich daheim bei der Vorbereitung immer gehofft hatte, dass sie mir niemand stellen würde. Es waren Fragen, auf die es eigentlich keine Antwort geben konnte, weil sie so schwierig waren: Fragen nach dem Sinn des Lebens, Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu unserer Existenz. Irgendwann nach einem Vortrag kamen wir ins Gespräch. Ich erfuhr, dass sie Jus studiert und dass ihr verstorbener Mann dem ungarischen Hochadel angehört hatte. Dass ihre Familie keinerlei Interesse für ihre Fragen aufbrachte, weil sie – wie sie missbilligend mit einer wegwerfenden Bewegung ihrer zarten alten Damenhände ausdrückte – „allein mit Geldverdienen beschäftigt war“.
Wir wurden Freundinnen. Sie schüttelte den Kopf, wenn ich meine Ideen allzu enthusiastisch vortrug, und warf mir regelmäßig „abgehobene Realitätsverweigerung“ vor. Gleichzeitig wartete sie sehnsüchtig auf meine Besuche, weil ich – wie sie sagte – der einzige Mensch in ihrem Leben sei, mit dem sie noch ernsthaft ein gutes Gespräch führen konnte. „Alle meine Freundinnen sind krank oder dement oder liegen auf dem Friedhof. Frau Doktor, Sie sind die Einzige, mit der ich mich ganz normal unterhalten kann. Kommen’s doch einmal wieder vorbei!“ Wenn ich dann vorbeikam, warteten dicke Torten und Sekt auf mich. Sie selbst aß und trank kaum mehr etwas – „wegen der schlanken Linie“, wie sie sagte. Tatsächlich hatte sie sich gut gehalten und legte auch noch mit knapp 90 Jahren stets höchsten Wert auf ein gepflegtes Äußeres. Perfekt frisiert, aufrecht und immer Haltung wahrend, entsprach sie meinen zugegebenermaßen klischeehaften Vorstellungen einer Deutschen über die Wiener Dame der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. In meiner Phantasie hätte sie dort vermutlich jederzeit Gastgeberin in einem gepflegten Salon sein können.
Als ich ihr von den Adoptionsplänen erzählte, die mein Mann und ich angesichts unserer kinderlosen Ehe hegten, war sie wahrhaft schockiert: „Frau Doktor, Sie werden doch