Ausblick von den Pastuchova-Felsen über die Berge des Kaukasus
Siebzehn Tage später stehe ich auf dem höchsten Punkt des Pik Lenin (7134 m). Nach der Expedition kehre ich mit umfangreichem Datenmaterial zum Thema „Diabetes und Outdoor-Leben“ zu meinen Sponsoren zurück. Ich habe mit diesem Gipfelerfolg und meiner recht sorgfältigen Arbeit ihr Vertrauen gewonnen, sie werden mich in den folgenden Jahren großzügig bei der Verwirklichung meiner Bergträume unterstützen.
1 Der Grenzverlauf zwischen Europa und Asien wurde völkerrechtlich nie genau definiert. In vielen Teilen der Welt galt die Manytsch-Niederung nördlich des Kaukasus als Grenze. Dies ist der Grund, warum früher in den Schulen gelehrt wurde, dass der Montblanc der höchste Gipfel Europas sei. Im englisch- und französischsprachigen Raum galt immer der Kaukasus-Hauptkamm als Grenze, wonach sich der Elbrus, etwa 20 Kilometer nördlich des Hauptkamms gelegen, zur Gänze in Europa befindet. In den letzten Jahrzehnten hat sich diese Version durchgesetzt, unterstützt durch die Bildung der neuen Staatsgrenzen im Kaukasus nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.
DIAMANTEN, GANOVEN UND EIN HAUCH VON EL DORADO
Nichts geht über einen guten Start ins große Lateinamerika-Abenteuer – und schlimmer hätte er kaum verlaufen können!
Ich warte auf meinen Rucksack am Gepäcksband des Maiquetía-Flughafens von Caracas in Venezuela. Bald taucht er auf und mich selbst bedauernd muss ich feststellen, dass er ein stattliches Gewicht aufzuweisen hat. Alles, was ich in den nächsten vier Monaten benötigen werde, habe ich hineingepfercht. Der Inhalt des Rucksacks muss für alle Lebenslagen herhalten. Ich will durch den Regenwald und durch die Wüste wandern, will hinauf auf die höchsten Gipfel des südamerikanischen Kontinents, will die zauberhafte Atmosphäre der Karibik erfühlen und zu ihren farbenfrohen Riffen hinabtauchen – und für alles will ich gut gerüstet sein. Viele Ziele, viel Gepäck – das geht wohl nicht anders.
Ich schultere meine überdimensionale Last und verlasse das Flughafengebäude. Ein Taxi? Nein, zu teuer! Zu Fuß verlasse ich das Gelände und steuere auf die Autobahn zu, wo ich mit einem lokalen Bus weiterkommen will. Ein Kleinbus hält neben mir, zwei junge Männer sprechen mich an. „So wie du mit all dem Gepäck hier herumläufst, bist du ein Ziel für Kriminelle. Pass auf!“ Ich bin total verwundert, gebe aber nicht viel auf diese Warnung, kann sie angesichts der freundlichen Menschen gar nicht verstehen und schlendere unbeeindruckt weiter zur Busstation. Der Hektik der Millionenstadt will ich noch für eine Weile fernbleiben und so fahre ich in das kleine Städtchen Macuto, direkt am Strand der Karibik gelegen.
Meer, einladende Strandbars, Kinderlachen – ich will noch vor dem Abend etwas von dieser entspannten Freizeit-Atmosphäre erhaschen. Schnell finde ich ein komfortables Zimmer für wenig Geld und bin schon in Badeklamotten auf dem Weg ins große Treiben. Da hält mich die Wirtin zurück. „Um elf Uhr abends musst du zurück sein, dann versperren wir alles.“ In einem Strandort voller Leben? Wo bin ich hier gelandet? In einem Kloster? In einer Jugendherberge mit vorsintflutlicher Hausordnung? Diskutieren will ich nicht, dazu ist der Nachmittag schon zu weit vorgerückt.
Minuten später plätschere ich im lauwarmen Nass der Karibik. Danach tauche ich ein in das quirlige Treiben an der Strandpromenade, trinke einige Gläschen an einer der belebten Strandbars, wo man schnell ins Plaudern kommt mit den umgänglichen Einheimischen. Ich genieße den Abend in vollen Zügen und fühle, wie sich nun alles in mir entspannt nach all der Aufbruchshektik der letzten Tage. Den Zapfenstreich habe ich längst vergessen.Als sich jedoch die Zeiger der magischen Elf-Uhr-Marke nähern, mischt sich eine seltsame Unruhe in das fröhliche Treiben. Binnen Minuten ist die umtriebige Menschenmenge von der Strandpromenade verschwunden, Türen fallen in ihre Schlösser, dicke Eisengitter werden vor die Eingänge geschoben, die Lichter verlöschen. Plötzlich bin ich allein. Gespenstisch wirkt das Ganze, fast unheimlich. Etwas anderes als der Heimweg bietet sich nun auch mir nicht mehr an und so erreiche ich meine Bleibe gerade noch rechtzeitig, ehe sie mit schweren Gittern und Ketten verrammelt wird. Warum all die Angst, von der vor Minuten noch nichts zu spüren war? In welches Horrorszenario mag sich dieses fröhliche Städtchen während der Nachtstunden verwandeln? Ich werde es nicht erfahren. Ausgepowert von der langen Reise genieße ich den Schlaf des Gerechten.
Schon früh am nächsten Morgen treibt es mich hinauf in die 1000 Meter hoch gelegene Hauptstadt. Ich brauche ein Visum für Guyana und dieses kann ich nur in Caracas bekommen. Auf der Botschaft läuft alles wie am Schnürchen. Nach einer Stunde habe ich den begehrten Stempel im Pass und freue mich auf einen geruhsamen Bummel durch das kleine Altstadtviertel. Von geruhsam keine Spur! Zum Heulen ist das Ganze, und das liegt sicher nicht an den historischen Bauten im spanischen Kolonialstil. Unruhe macht sich in den Gassen breit, Demonstranten ziehen lautstark durch das Viertel, Polizisten sind an jeder Ecke postiert. Ich meine, dass mich das Ganze nichts angeht, mache einen großen Bogen um den herrschenden Trubel und will mich auf meiner Sightseeing-Tour davon nicht weiter stören lassen.
Mit einem Mal kommt Bewegung in das aufgeheizte Treiben. Es knallt, Rauch steigt auf, die Menschen rennen in Panik davon, die meisten von ihnen direkt auf mich zu. Verheult sind sie alle und auch mir kommen gleich die Tränen. Die Menge reißt mich mit. Vor mir suchen einige Zuflucht in einer offenen Garage und ziehen schnell den Rollbalken herunter, ich kann gerade noch hineinschlüpfen. Vom Regen in die Traufe! Drinnen ist alles noch viel schlimmer, das Gas hat sich schon breitgemacht, in dem geschlossenen Raum glaube ich zu ersticken. Das ist nicht zum Aushalten! Ich reiße den Rollbalken wieder in die Höhe, halte die Hände vors Gesicht und renne, entfliehe, so schnell ich kann, dem gashaltigen Tumult. Einige Hausecken weiter habe ich es geschafft. Das Tränengas ist nicht mehr zu spüren und ich kehre dem wenig gastlichen Altstadtviertel den Rücken. Die Lust, meine Eindrücke mit meiner Kamera zu verewigen, ist mir gründlich vergangen.
In Gato Negro ergattere ich den letzten Sitzplatz in einem klapprigen Bus, der hinunter zur Küste fährt. In rasender Fahrt quietscht sich das Gefährt die kurvenreiche Straße hinab, das vorwiegend weibliche Publikum quietscht nicht minder auf seinem Weg von den Großstadt-Märkten heim zum häuslichen Herd. Gerade bin ich den reizenden Rauchwolken der Altstadt entkommen, da qualmt es schon wieder. Diesmal sind es die Bremsen des Busses. Dem Fahrer gelingt es im letzten Augenblick, sein Vehikel sicher an den Straßenrand zu lenken und es dort zum Stehen zu bringen, da lodern schon die ersten Flammen auf.
Die Venezuelanerinnen sind schöne Frauen, doch meist kurz an Wuchs. Diesen scheinbaren Mangel versuchen sie mit High Heels im XXL-Format zu beheben. Normalerweise berührt es mich wenig, wenn die Ladies auf Stelzen durch die Gegend trippeln. Anders ist es jedoch, wenn ich auf meinem Sitzplatz eingeklemmt bin, der Bus brennt und