Ein feines Haus. Emile Zola. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Emile Zola
Издательство: Bookwire
Серия: Die Rougon-Macquart
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188521
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polternden, teigigen Stimme und leerte sein Glas.

      Er war geradezu mit Juwelen bedeckt, hatte eine Rose im Knopfloch und nahm die Mitte der Tafel ein, wirkte gewaltig in seiner Stattlichkeit eines ausschweifenden und großmäuligen Geschäftsmanns, der sich in allen Lastern gewälzt hat. Seine falschen Zähne erhellten sein verwüstetes Gesicht, dessen große rote Nase unter dem schneeigen Käppchen seines kurzgeschnittenen Haars aufloderte, mit allzu grellem Weiß; und von Zeit zu Zeit fielen seine Lider von selbst über seine matten und trüben Augen herab. Gueulin, der Sohn einer Schwester seiner Frau, pflegte zu versichern, der Onkel sei in den zehn Jahren, die er Witwer sei, nicht nüchtern geworden.

      »Narcisse, ein wenig Rochen, er ist ausgezeichnet«, sagte Frau Josserand, die angesichts der Trunkenheit ihres Bruders lächelte, obgleich sich ihr im Grunde dabei der Magen umdrehte.

      Sie saß ihm gegenüber, zu ihrer Linken hatte sie den kleinen Gueulin und zu ihrer Rechten einen jungen Mann, Hector Trublot, dem gegenüber sie sich revanchieren mußte. Gewöhnlich benutzte sie dieses Familienessen dazu, gewisse Einladungen hinter sich zu bringen; und so kam es, daß auch eine im Hause wohnende Dame, Frau Juzeur, anwesend war, die neben Herrn Josserand saß. Da der Onkel sich übrigens bei Tisch sehr schlecht aufzuführen pflegte, so daß man schon sein Vermögen berücksichtigen mußte, um ihn ohne Ekel ertragen zu können, zeigte sie ihn nur vertrauten Freunden oder solchen Leuten, denen hinfort noch länger Sand in die Augen zu streuen sie für unnötig erachtete. So hatte sie zum Beispiel eine Weile an den jungen Trublot als Schwiegersohn gedacht, der zur Zeit – so lange, bis sein Vater, ein reicher Mann, ihm eine Geschäftsbeteiligung kaufte – bei einem Börsenmakler angestellt war; da Trublot aber einen stillen Haß auf die Ehe bekundet hatte, tat sie sich ihm gegenüber keinen Zwang mehr an, sie setzte ihn sogar neben Saturnin, der niemals hatte sauber essen können. Berthe, die stets an der Seite ihres Bruders saß, hatte den Auftrag, ihn mit einem Blick in Zaum zu halten, wenn er mit den Fingern allzusehr in der Sauce herumfuhr.

      Nach dem Fisch erschien eine fette Pastete, und die Töchter des Hauses hielten den Augenblick für gekommen, den Angriff zu beginnen.

      »So trink doch, Onkel!« sagte Hortense. »Es ist ja dein Namenstag ... Läßt du nichts springen zu deinem Namenstag?«

      »Ach ja, richtig«, setzte Berthe mit unbefangener Miene hinzu. »An seinem Namenstag läßt man doch was springen ... Du wirst uns zwanzig Francs schenken.«

      Als Bachelard von Geld reden hörte, stellte er sich auf einmal noch betrunkener. Das war seine gewohnte Bosheit: seine Augenlider fielen herab, er spielte den Blöden.

      »He, was?« lallte er.

      »Zwanzig Francs, du weißt doch, was zwanzig Francs sind, stell dich nicht dumm«, erwiderte Berthe. »Schenk uns zwanzig Francs, und wir haben dich lieb, oh, wir haben dich ganz mächtig lieb!«

      Sie waren ihm um den Hals gefallen, überschütteten ihn verschwenderisch mit Kosenamen, küßten sein glühendes Gesicht ohne Widerwillen vor dem gemeinen Geruch nach ausschweifendem Leben, den er ausströmte.

      Herr Josserand, den dieser ständige Dunst von Absinth, Tabak und Moschus störte, wurde von Empörung erfaßt, als er sah, wie sich der jungfräuliche Liebreiz seiner Töchter an all dem Scheußlichen rieb, das sich der Onkel auf allen Bürgersteigen aufgelesen hatte.

      »Laßt ihn doch sein!« rief er.

      »Warum denn?« sagte Frau Josserand, die ihrem Gatten einen fürchterlichen Blick zuschleuderte. »Sie amüsieren sich ... wenn Narcisse ihnen zwanzig Francs schenken will, so steht es ihm doch frei.«

      »Herr Bachelard ist so gut zu ihnen!« murmelte die kleine Frau Juzeur gefälligerweise.

      Aber der Onkel sträubte sich, tat noch stumpfsinniger, und den Mund voller Speichel, sagte er immer wieder: »Das ist drollig ... Keine Ahnung, Ehrenwort! Keine Ahnung ...«

      Da wechselten Hortense und Berthe einen Blick und ließen von ihm ab. Zweifellos hatte er noch nicht genug getrunken. Und mit dem Gelächter von Dirnen, die einen Mann ausnehmen wollen, machten sie sich wiederum daran, sein Glas vollzuschenken. Ihre nackten Arme, die von anbetungswürdiger jugendlicher Fülle waren, fuhren alle paar Minuten unter die große flammende Nase des Onkels.

      Unterdessen blickte Trublot als schweigsamer Bursche, der sich seine Vergnügungen allein zu verschaffen pflegte, Adèle nach, während diese schwerfällig hinter den Gästen hin und her ging. Er war sehr kurzsichtig, und so wie er sie sah, war sie hübsch mit ihren ausgeprägten Zügen einer Bretonin und ihrem Haar, das eine Farbe hatte wie schmutziger Hanf. Gerade als sie den Braten auftrug, ein in der Kasserolle geschmortes Stück Kalbfleisch, legte sie sich halb über seine Schulter, um die Mitte des Tisches erreichen zu können; und während er so tat, als wolle er seine Serviette aufheben, kniff er sie kräftig in die Wade. Das Dienstmädchen schaute ihn verständnislos an, als hätte er sie um Brot gebeten.

      »Was gibtʼs?« fragte Frau Josserand. »Hat sie Sie gestoßen, Herr Trublot? Oh, dieses Mädchen! Sie ist von einer Ungeschicklichkeit! Aber das ist nun mal nicht anders. Die ist noch ganz neu, die muß erst herangebildet werden.«

      »Allerdings; es ist weiter nicht schlimm«, erwiderte Trublot, der seinen starken, schwarzen Bart mit der Gelassenheit eines jungen indischen Gottes kraulte.

      Die Unterhaltung wurde lebhafter in diesem Eßzimmer, das zuerst eisig war und nach und nach vom Geruch der Speisen erwärmt wurde.

      Frau Juzeur vertraute Herrn Josserand wieder einmal die Traurigkeiten ihres dreißigjährigen einsamen Lebens an. Sie hob die Augen gen Himmel, sie begnügte sich mit der folgenden taktvollen Anspielung auf das Drama ihres Lebens: ihr Mann habe sie nach zehntägiger Ehe verlassen, und niemand wisse warum; weiter sage sie nichts darüber. Jetzt lebe sie allein in einer stets verschlossenen Wohnung, die daunenhaft wohlig sei und die nur Priester beträten.

      »Das ist so traurig in meinem Alter!« murmelte sie schmachtend, während sie mit zierlichen Gebärden ihr Kalbfleisch aß.

      »Ein recht unglückliches Frauchen«, raunte Frau Josserand mit einer Miene tiefen Mitgefühls Trublot ins Ohr.

      Aber Trublot warf gleichgültige Blicke auf diese Frömmlerin mit den hellen Augen, die voller Vorbe halte und Hintergedanken steckte. Das war nicht sein Geschmack.

      Es entstand eine Panik. Saturnin, auf den Berthe nicht mehr aufpaßte, da sie allzusehr mit ihrem Onkel beschäftigt war, vergnügte sich mit seinem Fleisch, das er in kleine Stückchen zerschnitt und daraus auf seinem Teller Muster zusammenlegte. Dieses arme Geschöpf brachte seine Mutter, die Angst vor ihm hatte und sich seiner schämte, zur Verzweiflung; sie wußte nicht, wie sie ihn loswerden sollte, wagte aus Eigenliebe nicht, einen Arbeiter aus ihm werden zu lassen, nachdem sie ihn seinen Schwestern geopfert hatte, indem sie ihn aus einem Internat herausnahm, wo sein eingeschlafener Verstand allzu langsam erwachte; und all die Jahre hindurch, die er unnütz und beschränkt im Haus umherschlich, stand sie tausend Ängste aus, wenn sie ihn in Gesellschaft vorführen sollte. Ihr Stolz blutete.

      »Saturnin!« rief sie.

      Aber glücklich über den Matsch auf seinem Teller, fing Saturnin an, höhnisch zu grinsen. Er hatte keinen Respekt vor seiner Mutter, schimpfte sie mit der Scharfsichtigkeit von Verrückten, die laut denken, freiheraus eine grobe Lügnerin und ein zänkisches Weib. Sicher hätten die Dinge eine schlimme Wendung genommen, er hätte ihr den Teller an den Kopf geworfen, wenn Berthe, die wieder an ihre Rolle dachte, ihn nicht starr angesehen hätte. Er wollte Widerstand leisten; dann erloschen seine Augen, er blieb bis zum Ende der Mahlzeit düster und schlapp, wie in einem Traum, auf seinem Stuhl sitzen.

      »Hoffentlich haben Sie Ihre Flöte mitgebracht, Gueulin?« fragte Frau Josserand, die das Unbehagen ihrer Gäste zu zerstreuen suchte.

      Gueulin spielte aus Liebhaberei Flöte, aber einzig und allein in Häusern, wo er sich behaglich fühlte.

      »Mein Flöte, gewiß«, erwiderte er.

      Er war zerstreut, sein rotes Haar und sein roter Backenbart waren noch struppiger als sonst; was die jungen Damen da mit ihrem Onkel anstellten, erregte sein höchstes