Dann kam der Direktor direkt auf ihren Tisch zu und schaute sie etwas fragend an. Sie wurde immer unsicherer, denn sie konnte den Blick, den ihr der Hoteldirektor zugeworfen hatte, nicht einordnen. Aber sie kannte diese Blicke nur zur Genüge. Sie hatte sie oft wahrgenommen. Nur wo wusste sie nicht mehr. Deshalb ist ihr auch dieser Blick des Direktors entglitten. Sie wollte nicht daran erinnert werden. Bei diesen seltsamen Blicken der Gäste, die nichts ausdrückten, sondern nur Verwirrung stifteten, spürte sie einen heftigen Schmerz in ihrer Brust. Hoffentlich spielt mein Herz nicht verrückt, überlegte sie weiter, denn sie spürte schon wie es anfing zu rasen.
„Was will denn dieser Kerl von mir, so langsam kommen mir diese Menschen in dieser Gruppe und das ganze Theater hier mit den Toten und dem zurückliegenden Mordfall völlig irrsinnig und suspekt vor“, murmelte sie und trank langsam Schluck für Schluck ihre Kaffeetasse aus.
Als sie mit dem Frühstück fertig war, packte sie ihre Tasche sowie ihre Jacke und ging in das Kaminzimmer, das ihr dunkler vorkam an diesem Morgen, nicht wie sonst an den anderen Tagen. Das Mahagoni-Holz, das in diesem Zimmer als Täfelung vorherrschte, wurde ihr richtig unheimlich. Da war ihr das grelle Neonlicht im Frühstücksraum immer noch sympathischer, als dieser Mahagoni-Holzton, der dieses Zimmer einhüllte. Auch die Bilder an den Wänden, Nachahmungen bekannter französischer Impressionisten, trugen auch nicht durch ihre Leichtigkeit und ihren Charme zu einer Besserung der Stimmung in diesem Raum bei.
Etwas umständlich kramte sie in ihrer Tasche, bis sie schließlich das Buch entdeckte, den Krimi von Agatha Christie, wo das Böse unter der Sonne ebenso zutage trat, wie hier in diesem finsteren Hotel, das durch nichts mit dem Hotel am Mittelmeer zu vergleichen war, in dem dieser Agatha-Christie-Krimi spielte. Dann fing sie zu lesen an und Monsieur Poirot, Agatha Christie’s Held, geisterte vor ihren Augen und sie sah mit ihrem inneren Auge dabei zu, wie er graziös seine Schwimmübungen im Meer zelebrierte.
„Da wäre es jetzt viel schöner zu sitzen an diesem blauen Meer, als hier im Schnee in diesen kalten Schweizer Bergen“, brachte sie leise hervor, wobei gar niemand im Raum war, der sie hören konnte. Sie hätte es hinausschreien können, niemand hätte ihren Schrei wahrgenommen. Aber das tat sie nicht in diesem vornehmen GRANDHOTEL, wo ein Mörder herumlief, der sie womöglich alle noch ermorden wollte. Die beiden Toten waren wahrscheinlich nur der Anfang in diesem Mörderspiel.
Sie hatte sich noch ein bisschen Obst mitgenommen, denn das gab es auch reichlich am Buffet, sodass sie für den Tag gut mit Essen versorgt war. Denn trotz dieser Toten war das Leben immer noch lebenswert, überlegte sie und zog ihre Jacke zu, denn es fröstelte sie schon wieder, wenn sie nur an diesen Eiskeller dachte mit seinem Geheimnis um die beiden Ermordeten.
Irgendwie spürte sie aber doch eine kleine Vorfreude in sich, als sie an das abendliche Dinner dachte. Dieser Küchenchef brachte immer wieder neue Kreationen auf den Tisch und diese Kreationen waren das krasse Gegenteil zu den nachfolgenden Morden. Aber vielleicht war dies ja auch von diesem Millionär so beabsichtigt, dass Glück und Leid, dass das Leben und der Tod, nicht nur im GRANDHOTEL, so nah beieinander lagen.
Am Nachmittag wurde noch Kaffee und Tee von Vanessa und Vincent gereicht. Dazu gab es süße Stückchen von auserlesenen Schweizer Köstlichkeiten und Leckerlis.
So langsam kehrten auch wieder die Gäste dieser OIL-Gruppe von ihren Spaziergängen auf der Terrasse des Hauses oder aus ihren Zimmern zurück und suchten sich einen Platz in der Bibliothek oder im Foyer des Hotels. Ulla Sommer hatte es sich in der Bibliothek gemütlich gemacht, aber gegen Nachmittag zog sie dann doch ihre Suite vor und legte sich noch ein bisschen hin, um sich für den Abend auszuruhen und zu stärken.
Kapitel 8
Es war ihr unerklärlich, weshalb sie diesen Brief erhalten hatte. Er enthielt keine gute Nachricht. Ein Mann wurde beschuldigt, dass er mit einer Firma krumme Dinge gemacht hatte. Sie wusste gar nicht zuerst, was sie mit diesem Brief anfangen sollte. Am liebsten hätte sie ihn gleich weggeworfen. Aber dann las sie ihn immer wieder. Weshalb schickte man ihr diesen Brief? Was sollte sie tun, ihn einfach ignorieren, aber dann würde man ihr vorwerfen, dass sie sich nicht um die Angelegenheit kümmern würde? Also entschloss sie sich, der Sache doch auf den Grund zu gehen. Sie überlegte hin und her. Wen konnte sie einweihen, denn inzwischen war ihr klar, dass sie alleine da stand, ganz alleine. Denn keiner weihte sie ein, keiner wusste etwas, keiner hatte etwas gesehen. Sie hatte ihren Mann, aber hatte er an diesen Dingen Interesse? Sicherlich würde er sagen: „Wirf ihn doch einfach weg, oder verbrenne ihn, zerreiße ihn in Tausend Fetzen!“ Sie hatte schon mehrfach bei ihrem Mann angesetzt zu sprechen, aber er wollte einfach nichts davon wissen.
Dann hatte sie ja noch ihre zwei Töchter. Aber auch die beiden konnten mit diesem Brief nichts anfangen. Deshalb hatte sie dann diese Idee, doch der Sache auf den Grund zu gehen, weil das war auch ihre Natur, einer Sache auf den Grund zu gehen. Doch das war nicht gewollt. Weshalb nicht? Weshalb sollte alles so geheim abgehen? Was war der Grund hierfür? Natürlich durfte nichts herauskommen, nicht, dass es zu viel Öl gab und nicht, dass hier das Paradies beschädigt wurde. Und als sie wieder auf ihrem Weg in ihr Paradies war, das aber nicht mehr ihr Paradies war, denn andere hatten es aus lauter Gier, aus Geldgier, aus Habgier und aus Macht in den Tod geschickt. Das Paradies war gestorben für sie, aber auch für die Anderen. Und die Anderen wollten auch nichts davon wissen, und sie haben auch den Tod für dieses Paradies nicht kommen sehen, für dieses Stückchen Erde, bei dem man dem Himmel ein Stück näher war.
Sie hatte es ja gespürt bei der großen Versammlung direkt auf der Wiese. Nur sie hatte es nicht vorher kommen sehen. Sie war blind auf beiden Augen, weil sie eben vertraut hatte. Aber Wörter sind Schall und Rauch, das hatte sie da erlebt. Sie hatte entsetzt zusehen müssen, wie ihr Paradies vor ihren eigenen Augen von anderen in Grund und Boden gestampft wurde. Einfach so, ohne Wenn und Aber. Nur weil man es nicht zugeben wollte oder konnte oder einfach vergessen hatte, dass es noch Ehre, Scham und Respekt und ein Gewissen, auch untereinander, geben sollte.
Sie hatte eine Tafel mitgebracht, auf der sie viele Zahlen geschrieben hatte, Zahlen, die wichtig waren. Aber nur für sie, nur sie allein konnte diese Zahlen zuordnen. Es gab noch eine Person, die diese Zahlen auch kannte? Weshalb sollte man diese Zahlen schützen und für wen? Wie oft hatte sie sich diese Fragen gestellt, die sie aber nicht weiterbrachten, weil die Anderen sie gar nicht hören wollten. Zahlen sind auch Schall und Rauch.
Deshalb hatte sie dann an der Tür geklingelt, die Adresse lag noch in ihrer Hand. Es hatte ihr eine Frau aufgemacht, die ihr aber auch nicht helfen wollte oder konnte. Wäre sie Mutter Theresa gewesen, hätte sie ihr vielleicht geholfen. So aber war sie vielleicht auch nur eine Hexe oder eine Zauberin, die ihren Mann verhext hatte.
Dann sah sie nur wie die beiden Polizisten in ihren Uniformen sie ergriffen und sie fortführten. Die Alte brachte nur noch ein hämisches Lachen hervor. Die beiden Polizisten gaben ihr, nicht der Hexe, noch einen Stoß und sie landete direkt in der Hölle und dort sah sie wieder diese Teufelsfratze, die auch nur ihr hässliches Gesicht ihr entgegenstreckte und mit ihren langen, spitzen Fingern in die Hände klatschte. Doch da kamen dann die Herren in Weiß und sie versank wieder in ihren Winterschlaf. „Träume weiter kleine Mondfee!“, hörte sie noch die letzten Worte einer Frau und dann war dunkle Nacht um sie.
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