Vor ihm, an der Krümmung des Flusses jenseits eines kleinen Sumpfes, bewegte sich, mit helltönenden Stimmen lustig schnatternd, eine bunte Reihe von Bauersfrauen, und aus dem ausgebreitet daliegenden Heu wurden schnell auf dem graugrünen Untergrunde graue, unregelmäßig gekrümmte Wälle zusammengeharkt. Hinter den Weibern her gingen die Bauern mit Heugabeln, und aus den Wällen entstanden breite, hohe, lockere Haufen. Zur Linken rasselten über die schon abgeerntete Wiese die Wagen dahin, und die Heuhaufen, in riesigen Ballen mit Gabeln auf die Wagen hinaufgereicht, verschwanden einer nach dem andern, und dafür türmten sich auf den Wagen schwere Ladungen duftigen Heues auf, die tief auf die Hinterteile der Pferde niederhingen.
»Ist das ein Wetter zum Heuen! Und ein Heu wird es – wie Tee so zart!« sagte der Alte und ließ sich neben Ljewin nieder. »Gerade wie wenn man den Enten Korn hinschüttet, so räumen sie auf!« fügte er hinzu, auf die Leute deutend, die die Heuhaufen aufluden. »Seit Mittag ist gut die Hälfte eingefahren.«
»Holst wohl die letzte Fuhre, was?« rief er einen jungen Burschen an, der vorn vor dem Wagenkasten stehend und mit den Enden seiner hänfenen Leinen schwenkend vorbeifuhr.
»Jawohl, die letzte, Väterchen!« schrie der Bursche, hielt das Pferd an, blickte sich lächelnd nach einer heiteren, gleichfalls lächelnden, rotbackigen Frau um, die im Wagenkasten saß, und jagte dann weiter.
»Wer ist das? Ein Sohn von dir?« fragte Ljewin.
»Mein Jüngster«, erwiderte der Alte mit freundlichem Lächeln.
»Ein frischer, strammer Bursche!«
»Nun ja, es macht sich.«
»Ist er schon verheiratet?«
»Ja, am Philippstage waren's schon zwei Jahre.«
»Na, und sind Kinder da?«
»Kinder? Gott bewahre! Ein ganzes Jahr lang hat er überhaupt nichts verstanden; eine wahre Schande!« antwortete der Alte. »Aber das ist ein Heu! Der reine Tee!« sagte er noch einmal, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen.
Ljewin betrachtete nun aufmerksamer Iwan Parmenow und seine Frau. Sie luden nicht weit von ihm einen Heuhaufen auf. Iwan Parmenow stand auf dem Wagen, nahm die gewaltigen Heuballen, die ihm seine hübsche junge Frau anfangs mit den Armen, dann mit der Gabel geschickt hinreichte, in Empfang, verteilte sie gleichmäßig und trat sie fest. Die junge Frau verrichtete ihre Arbeit leicht, munter und behende. Das Heu, das sich durch das Liegen zu einer festen Masse zusammengepreßt hatte, ließ sich nicht so ohne weiteres auf die Gabel nehmen. Sie lockerte es zuerst, schob die Gabel hinein, legte sich dann mit einer elastischen, schnellen Bewegung und mit dem ganzen Gewichte ihres Körpers auf den Stiel der Gabel, richtete sich sofort, den von einem roten Gürtel umspannten Rücken zurückbiegend, wieder in die Höhe, und indem sie die volle Brust unter dem weißen Latze stark nach vorn drückte, faßte sie mit geschicktem Griffe die Gabel anders und schwang den Heuballen hoch nach der Fuhre hinauf. Eilig, da er sich offenbar bemühte, seinem Weibe jeden Augenblick unnötiger Mühe zu ersparen, ergriff Iwan mit weit ausgebreiteten Armen das ihm hingehaltene Heu und legte es auf der Fuhre zurecht. Nachdem die junge Frau das letzte Heu mit der Harke hinaufgereicht hatte, schüttelte sie den Grus, der ihr in den Nacken gefallen war, ab, rückte das rote Tuch zurecht, das sich über der weißen, von der Sonne nicht verbrannten Stirn verschoben hatte, und kroch unter den Wagen, um die Ladung festzubinden. Iwan gab ihr von oben Anweisung, wie sie den Strick am Langbaum anbinden müsse, und lachte laut über etwas, was sie sagte. In dem Ausdruck der beiden Gesichter war eine kräftige, junge, erst vor kurzem erwachte Liebe deutlich zu erkennen.
12
Die Ladung war festgeschnürt. Iwan sprang herunter und führte das tüchtige, wohlgenährte Pferd am Zügel. Die junge Frau warf die Harke oben auf die Fuhre hinauf und ging, rüstig ausschreitend und mit den Armen schlenkernd, zu den andern Weibern hin, die sich versammelten, um ihr Reigenlied zu singen. Iwan fuhr von der Wiese auf den Weg und rückte in die Reihe der übrigen Heuwagen ein. Die Weiber, mit den Harken auf der Schulter, in hell leuchtenden, bunten Kleidern, gingen hinter den Wagen her und schwatzten laut und lustig miteinander. Eine derbe, naturwüchsige Weiberstimme stimmte das Lied an und sang eine Strophe vor; dann fielen auf einmal gleichzeitig etwa fünfzig verschiedene, teils derbe, teils feine, gesunde Stimmen ein und sangen dasselbe Lied noch einmal von Anfang.
Die singenden Weiber kamen Ljewin näher, und er hatte eine Empfindung, als ob eine dichte Wolke von laut schallender Fröhlichkeit sich auf ihn zu bewege. Die Wolke erreichte ihn und umfing ihn, und der Heuhaufen, auf dem er lag, und die anderen Heuhaufen und die Fuhren und die ganze Wiese mitsamt den fernen Feldern, alles drehte und wiegte sich im Takte dieses kunstlosen, ausgelassen lustigen Liedes, das von Schreien, Pfeifen und Jauchzen begleitet wurde. In Ljewin regte sich ordentlich der Neid auf diese gesunde Fröhlichkeit, und er hätte sich am liebsten an diesem Ausbruche von Lebenslust mit beteiligt. Aber das ging selbstverständlich nicht, und er mußte da liegenbleiben und sich darauf beschränken, zuzusehen und zuzuhören. Als das singende Völkchen so weit weg war, daß er es nicht mehr sah und nicht mehr hörte, da überkam ihn ein drückendes Gefühl des Grames über sein einsames Dasein, über seine körperliche Untätigkeit und über die feindselige Stellung, die er dieser Welt gegenüber einnahm.
Einige Bauern gerade von denen, die am allerhartnäckigsten mit ihm um das Heu gestritten hatten, also Leute, die nach ihrer Behauptung von ihm benachteiligt worden waren oder vielmehr ihn hatten betrügen wollen – ebendiese Bauern grüßten ihn jetzt ganz vergnügt; sie hegten offenbar keinen Groll gegen ihn (wozu sie ja auch eigentlich keinen Anlaß hatten), verspürten aber augenscheinlich auch keine Reue, ja, sie hatten sichtlich überhaupt keine Erinnerung mehr daran, daß sie ihn hatten betrügen wollen. All das war in dem Meere der frohen, gemeinsamen Arbeit untergegangen. Gott hatte den Tag gegeben, Gott hatte die Kräfte gegeben; und den Tag und die Kräfte hatten sie der Arbeit gewidmet und in der Arbeit selbst ihren Lohn gefunden. Für wen die Arbeit stattfand, welches die Früchte der Arbeit sein würden, das war Nebensache, das war von keiner Bedeutung.
Ljewin hatte oft mit Bewunderung auf dieses Leben hingeblickt und oft ein Gefühl des Neides gegen die Menschen empfunden, die dieses Leben führten; aber heute zum ersten Male, namentlich auch unter dem Eindruck, den Iwan Parmenows hübsches Verhältnis zu seiner Frau auf ihn gemacht hatte, heute zum ersten Male kam ihm klar und deutlich der Gedanke, daß es ja nur von ihm abhänge, jenes drückende, müßige, gekünstelte, selbstsüchtige Leben, das er jetzt führte, aufzugeben und dafür dieses arbeitsame, reine, dem Gemeinwohle dienende, wundervolle Leben einzutauschen.
Der Alte, der mit ihm auf dem Heuhaufen gesessen hatte, war schon längst nach Hause gegangen; das Arbeitervolk hatte sich geteilt. Die Näherwohnenden waren nach Hause gefahren; die Fernerwohnenden trafen auf der Wiese ihre Anstalten zum Abendessen und zum Nachtlager. Ljewin blieb, von ihnen unbemerkt, auf dem Heuhaufen liegen und fuhr fort, nach ihnen hinzuschauen und hinzuhören und seinen Gedanken nachzuhängen. Die Leute, die zum Übernachten auf der Wiese geblieben waren, schliefen während der kurzen Sommernacht fast gar nicht. Zuerst, während des Abendessens, hörte Ljewin ihr allgemeines, lustiges Geplauder und Gelächter; dann folgten wie der Lieder und wieder Lachen.
Der ganze lange Arbeitstag hatte bei ihnen keine andere Wirkung hinterlassen, als daß er sie in die fröhlichste Stimmung versetzt hatte. Erst kurz vor der Morgenröte wurde alles still. Nur das nächtliche Quaken