Nach dem Mittagessen saß Darja Alexandrowna mit ihm allein auf der Veranda und begann nun von Kitty zu reden.
»Wissen Sie es? Kitty wird herkommen und bei mir den Sommer verleben.«
»Wirklich?« erwiderte er; er war dunkelrot geworden und fügte, um den Gegenstand des Gespräches zu wechseln, sogleich hinzu: »Darf ich Ihnen also zwei Kühe schicken? Wenn Sie mit mir darüber abzurechnen wünschen, so können Sie mir ja fünf Rubel monatlich bezahlen, wenn Sie sich kein Gewissen daraus machen, mich so zu behandeln.«
»Nein, ich danke bestens. Diese Sache ist bei uns schon in guter Ordnung.«
»Nun, dann möchte ich einmal Ihre Kühe ansehen und, wenn Sie gestatten, Anweisung geben, wie sie gefüttert werden sollen. Die Hauptsache ist eine zweckmäßige Fütterung.«
Und um nur das Gespräch in eine andere Bahn zu bringen, setzte er ihr seine Theorie der Milchwirtschaft auseinander, die darin gipfelte, daß die Kuh nur die Maschine zur Umwandlung des Futters in Milch sei und so weiter.
Er redete über diesen Gegenstand und wünschte dabei leidenschaftlich, Genaueres über Kitty zu hören, bangte aber gleichzeitig davor. Er fürchtete, daß seine so mühsam erworbene Ruhe wieder vernichtet werden könne.
»Das mag ja sein; aber all dergleichen muß beaufsichtigt werden, und wer wird das hier bei mir tun?« antwortete Darja Alexandrowna nur widerstrebend.
Sie hatte ihre Wirtschaft jetzt mit Matrona Filimonownas Beihilfe so weit in Ordnung gebracht, daß sie nichts darin ändern mochte; und zudem traute sie auch Ljewins landwirtschaftlichen Kenntnissen nicht recht. Seine Auseinandersetzung, daß die Kuh eine Maschine zur Milcherzeugung sei, war ihr verdächtig. Sie meinte, derartige Vorschläge könnten im Betriebe der Wirtschaft nur störend wirken. Nach ihrer Auffassung lag die Sache viel einfacher: man brauche nur, wie Matrona Filimonowna ihr erklärt hatte, der Buntscheckigen und der Weißbauchigen mehr Futter und Trank zu geben und nicht zuzulassen, daß der Koch das Spülicht aus der Küche für die Kuh der Waschfrau wegtrage. Das war ihr verständlich. Dagegen erschienen ihr Vorschläge über Kleienfütterung und Grasfütterung unsicher und unklar. Und was die Hauptsache war: sie wollte jetzt über Kitty sprechen.
10
»Kitty schreibt mir, sie wünsche nichts sehnlicher als Einsamkeit und Ruhe«, sagte Dolly, nachdem beide ein Weilchen geschwiegen hatten.
»Und wie ist es mit ihrer Gesundheit? Geht es besser?« fragte Ljewin in merklicher Aufregung.
»Gott sei Dank, sie ist völlig wiederhergestellt. Ich habe nie daran geglaubt, daß sie brustkrank wäre.«
»Ach, das freut mich recht!« rief Ljewin, und Dolly fand, während er das sagte und sie dann schweigend ansah, auf seinem Gesichte einen Ausdruck rührender Hilflosigkeit.
»Hören Sie mal, Konstantin Dmitrijewitsch«, sagte Darja Alexandrowna, und sie lächelte dabei in ihrer gutmütigen und zugleich ein wenig spöttischen Weise, »warum sind Sie eigentlich auf Kitty böse?«
»Ich? Ich bin nicht böse auf sie«, versetzte Ljewin.
»Doch, doch, Sie sind böse auf sie. Warum sind Sie denn, als Sie in Moskau waren, weder zu uns noch zu ihnen gekommen?«
»Darja Alexandrowna«, erwiderte er und errötete bis an die Haarwurzeln, »ich muß mich wundern, daß Sie bei Ihrer Herzensgüte das nicht fühlen. Sie müßten doch Mitleid mit mir haben, da Sie wissen ...«
»Was weiß ich denn?«
»Sie wissen, daß ich ihr einen Antrag gemacht habe und abgewiesen worden bin«, brachte Ljewin heraus, und die ganze Zärtlichkeit, die er noch einen Augenblick vorher für Kitty empfunden hatte, wich in seiner Seele dem Gefühle des Ingrimms über die erlittene Kränkung.
»Warum glauben Sie, daß ich das weiß?«
»Weil es alle wissen.«
»Darin irren Sie sich denn doch; ich für meine Person habe es nicht gewußt, wiewohl ich es vermutete.«
»So. Nun, dann wissen Sie es jetzt.«
»Ich wußte nur so viel, daß irgend etwas geschehen war, worüber sie sich schrecklich grämte; sie hat mich gebeten, ich möchte nie mit ihr davon zu reden anfangen. Nun, und wenn sie es mir nicht gesagt hat, so hat sie es niemandem gesagt. Aber was ist denn zwischen Ihnen beiden eigentlich vorgefallen? Sagen Sie es mir doch!«
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, was vorgefallen ist.«
»Wann ist denn das vorgefallen?«
»Als ich zum letztenmal bei Ihnen war.«
»Wissen Sie, ich muß Ihnen sagen«, erwiderte Darja Alexandrowna, »sie tut mir furchtbar leid, ganz furchtbar leid. Aber Sie, Sie leiden ja nur aus verletztem Stolz.«
»Kann sein«, versetzte Ljewin, »aber ...«
Sie unterbrach ihn.
»Aber sie, die Ärmste, tut mir furchtbar, ganz furchtbar leid. Jetzt ist mir alles verständlich geworden.«
»Nun, entschuldigen Sie mich, Darja Alexandrowna«, sagte er und stand auf. »Leben Sie wohl, Darja Alexandrowna! Auf Wiedersehen!«
»Aber nicht doch! Bleiben Sie noch!« versetzte sie und faßte ihn am Ärmel. »Bleiben Sie noch, setzen Sie sich!«
»Ich bitte inständigst: wir wollen über diesen Gegenstand nicht weiter sprechen«, sagte er und setzte sich wieder hin; aber er fühlte zugleich, daß in seinem Herzen eine Hoffnung, die er schon für tot und begraben gehalten hatte, wieder erwachte und sich regte.
»Wenn ich Sie nicht so gern hätte«, sagte Darja Alexandrowna, und die Tränen traten ihr dabei in die Augen, »wenn ich Sie nicht kennte, wie ich Sie kenne ...«
Das Gefühl, das er für tot gehalten hatte, lebte immer mehr und mehr auf, gewann an Kraft und nahm Ljewins Herz wieder in Besitz.
»Ja, jetzt ist mir alles verständlich geworden«, fuhr Darja Alexandrowna fort. »Sie können das nicht verstehen; euch Männern, die ihr frei seid und wählen könnt, euch ist immer klar, wen ihr liebt. Aber ein Mädchen, das darauf angewiesen ist, zu warten, und von ihrem weiblichen, mädchenhaften Schamgefühl zurückgehalten wird, ein Mädchen, das euch Männer nur so von weitem zu sehen bekommt und alles auf Treu und Glauben hinnimmt, bei einem Mädchen kann manchmal ein Gefühl so unklar sein, daß sie nicht weiß, was sie darüber sagen soll.«
»Ja, wenn das Herz nicht spricht ...«
»Nicht doch, das Herz spricht; aber überlegen Sie nur: ihr Männer, wenn ihr ein Auge auf ein junges Mädchen geworfen habt, dann verkehrt ihr in dem betreffenden Hause, ihr nähert euch ihr, seht sie euch genau an und wartet ab, ob ihr auch an ihr die Eigenschaften findet, die ihr gern mögt, und dann, wenn ihr überzeugt seid, daß ihr das Mädchen wirklich liebt, macht ihr euren Antrag ...«
»Nun, ganz so ist es nicht.«
»Das tut nichts; jedenfalls macht ihr euren Antrag erst dann, wenn eure Liebe völlig zur Reife gelangt ist oder wenn bei euch zwischen zwei zur Wahl Stehenden sich ein Übergewicht nach der einen oder der anderen Seite herausgestellt hat. Aber ein junges Mädchen wird nicht gefragt, welchen Mann sie wohl am liebsten haben möchte. Da verlangt man nun, sie solle sich selbst einen wählen, und sie ist doch gar nicht in der Lage, einen zu wählen, sondern kann nur ja und nein antworten.«
›Ja, die Wahl zwischen mir und Wronski‹, dachte Ljewin, und der in seiner Seele auferstandene Leichnam starb wieder und sank als qualvoll drückende Last auf sein Herz zurück.
»Darja Alexandrowna«, sagte er, »in dieser Weise wählt man ein Kleid oder sonst etwas, was man kaufen will; aber bei der Liebe geht