Die Hausfrau setzte sich hinter den Samowar und legte die Handschuhe ab. Die Gesellschaft rückte sich mit Hilfe der kaum wahrnehmbaren Diener Stühle zu recht und nahm Platz, wobei sie sich in zwei Gruppen schied: die eine um den Samowar und die Wirtin, die andere am entgegengesetzten Ende des Salons um die schöne Gattin eines Gesandten, mit schwarzen, scharf gezeichneten Augenbrauen, in schwarzem Samtkleide. Das Gespräch schwankte, wie das immer in den ersten Minuten zu gehen pflegt, zunächst in beiden Kreisen unsicher hin und her, fortwährend unterbrochen durch das Hinzukommen neuer Gäste, durch Begrüßungen, durch das Anbieten des Tees, und suchte gleichsam nach einem Stoffe, bei dem es verweilen könnte.
»Sie ist als Schauspielerin außerordentlich tüchtig; man sieht, daß sie Kaulbach studiert hat«, bemerkte ein Diplomat in der Gruppe um die Gattin des Gesandten. »Haben Sie wohl bemerkt, wie künstlerisch sie hinfiel?«
»Ach, bitte, wir wollen doch nicht von der Nilsson sprechen! Über die etwas Neues zu sagen, ist ja ein Ding der Unmöglichkeit!« unterbrach ihn eine beleibte Dame mit rotem Gesicht und blondem Haar, ohne Augenbrauen und ohne Chignon, in einem alten seidenen Kleide. Dies war die Fürstin Mjachkaja, die wegen der Naturwüchsigkeit und Derbheit ihres Benehmens berüchtigt war und daher das enfant terrible genannt wurde. Die Fürstin Mjachkaja saß in der Mitte zwischen beiden Gruppen, hörte nach beiden Seiten hin zu und beteiligte sich bald hier, bald dort an der Unterhaltung. »Mir haben heute schon drei Personen dieselbe Redensart über Kaulbach gesagt, gerade wie wenn sie sich verabredet hätten. Und sie schienen, ich weiß nicht, warum, an dieser Redensart ein ganz besonderes Wohlgefallen zu finden.«
Das Gespräch war durch diese Bemerkung gestört worden, und man mußte auf ein neues Thema sinnen.
»Erzählen Sie uns etwas Ergötzliches, aber nichts Boshaftes!« sagte die Frau des Gesandten, eine Meisterin in derjenigen Art der vornehmen Unterhaltung, die man im Englischen small talk nennt. Sie wendete sich mit dieser Aufforderung an den Diplomaten, der ebenfalls nicht wußte, was er zur Sprache bringen solle.
»Man sagt, das sei außerordentlich schwer; nur das Boshafte sei komisch«, begann er lächelnd. »Aber ich will es versuchen. Geben Sie mir ein Thema! Es kommt alles auf das Thema an. Ist das Thema einmal gegeben, so kann man sich leicht darüber ergehen. Ich denke oft, daß die berühmten Plauderer des vorigen Jahrhunderts jetzt ihre Not hätten, etwas Neues, Verständiges zu sagen. Alles Verständige ist schon bis zum Überdruß abgenutzt.«
»Das ist auch schon längst gesagt worden«, unterbrach ihn lachend die Frau des Gesandten.
Das Gespräch hatte so harmlos begonnen; aber ebendeshalb, weil es allzu harmlos war, stockte es wieder. Man mußte zu dem sichersten, nie versagenden Mittel seine Zuflucht nehmen: zum Lästern.
»Finden Sie nicht auch, daß Tuschkewitsch etwas an sich hat, was an Louis XV. erinnert?« fragte der Diplomat und deutete mit den Augen auf einen hübschen, blonden jungen Mann, der am Tische stand.
»O ja! Er verrät denselben Stil wie dieser Salon; darum verkehrt er hier auch so viel.«
Dieser Gesprächsstoff behauptete sich eine Weile, weil in derartigen Andeutungen gerade über einen Punkt gesprochen wurde, über den man in diesem Salon nicht hätte reden dürfen, nämlich über Tuschkewitschs Beziehungen zur Frau vom Hause.
In der Gruppe, die den Samowar und die Frau vom Hause umgab, hatte unterdessen das Gespräch gleichfalls zwischen den drei unvermeidlichen Stoffen gewechselt: dem letzten Ereignis, das sich in den vornehmen Kreisen begeben hatte, dem Theater und dem Bekritteln des lieben Nächsten, und auch da blieb es, nachdem es zu dem letztgenannten Thema gelangt war, bei diesem stehen, nämlich bei der Verlästerung.
»Haben Sie schon gehört, die Maltischtschewa – wohlgemerkt: nicht die Tochter, sondern die Mutter – läßt sich ein Kostüm diable rose anfertigen!«
»Nicht möglich! Nein, das ist ja ausgezeichnet!«
»Ich muß mich nur wundern, daß sie mit ihrem Verstande – denn dumm ist sie ja nicht – nicht einsieht, wie lächerlich sie sich macht.«
Ein jeder hatte etwas zur Verdammung und Verspottung der unglücklichen Frau Maltischtschewa beizusteuern, und das Gespräch kam in munteres Prasseln und Knattern wie ein in Brand gesetzter Holzstoß.
Der Gatte der Fürstin Betsy, ein gutmütiger, dicker Herr, leidenschaftlicher Sammler von Kupferstichen, hatte gehört, daß seine Frau Gäste hatte, und kam nun in den Salon, bevor er in seinen Klub fuhr. Unhörbar trat er auf dem weichen Teppich zu der Fürstin Mjachkaja heran.
»Nun, wie hat Ihnen die Nilsson gefallen?« fragte er.
»Ach, wie kann man sich nur so heranschleichen! Wie haben Sie mich erschreckt!« antwortete sie. »Bitte, reden Sie mit mir nicht von der Oper; Sie verstehen ja doch nichts von Musik. Lieber will ich mich zu Ihnen herablassen und mit Ihnen von Ihren Majoliken und Kupferstichen sprechen. Nun, was für ein Kleinod haben Sie denn zuletzt auf dem Trödelmarkte erstanden?«
»Wenn Sie es wünschen, will ich es Ihnen zeigen. Aber Sie sind ja keine Kennerin.«
»Nun, zeigen Sie nur! Ich habe mir einige Kenntnisse angeeignet, bei diesen Leuten ... wie heißen sie doch nur gleich ... er ist Bankier ... die haben wundervolle Kupferstiche. Sie haben sie uns gezeigt.«
»Ah, Sie sind bei Schützburgs gewesen?« fragte die Hausfrau vom Samowar herüber.
»Jawohl, ma chère. Sie hatten meinen Mann und mich zum Diner eingeladen und sagten mir bei Tische, daß eine Sauce, die es gab, tausend Rubel gekostet habe«, erwiderte die Fürstin Mjachkaja mit lauter Stimme, da sie bemerkte, daß die ganze Gesellschaft ihr zuhörte. »Und dabei war es eine ganz scheußliche Sauce, so etwas Grünes. Wir mußten die Einladung erwidern, und da habe ich eine Sauce für fünfundachtzig Kopeken gemacht, und alle waren damit sehr zufrieden. Ich kann keine Saucen für tausend Rubel auf den Tisch bringen.«
»Sie ist einzig!« sagte die Wirtin.
»Bewundernswert!« fügte jemand hinzu.
Der Erfolg, den die Fürstin Mjachkaja mit ihrem Reden hervorbrachte, war stets bedeutend und stets der gleiche, und das Geheimnis dieses Erfolges bestand darin, daß sie zwar manchmal etwas taktlos, wie eben jetzt, aber immer schlicht und einfach, mit Sinn und Vernunft redete. In der Gesellschaft, in der sie sich bewegte, brachten solche Äußerungen stets die Wirkung eines geistreichen Scherzes hervor. Die Fürstin Mjachkaja selbst konnte gar nicht begreifen, woher diese Wirkung kam; aber sie wußte, daß sie sie hervorrief, und nutzte dies aus.
Da alle, während die Fürstin Mjachkaja sprach, ihr zugehört hatten und das Gespräch in der Gruppe um die Frau des Gesandten aufgehört hatte, so machte die Hausfrau einen Versuch, die ganze Gesellschaft zu einer einzigen Gruppe zusammenzuziehen, und wandte sich an die Frau des Gesandten:
»Mögen Sie wirklich keinen Tee? Sie sollten sich zu uns herübersetzen.«
»Nein, wir fühlen uns hier sehr wohl«, erwiderte die Frau des Gesandten lächelnd und fuhr in dem begonnenen Gespräche fort.
Dieses Gespräch war sehr vergnüglich. Sie waren gerade dabei, das Kareninsche Ehepaar zu kritisieren, ihn sowohl wie sie.
»Anna hat sich seit ihrer Moskauer Reise sehr verändert. Sie hat jetzt etwas ganz Sonderbares in ihrem Wesen«, sagte eine ihrer Freundinnen.
»Die Veränderung besteht hauptsächlich darin, daß sie Alexei Wronski als ihren Schatten mitgebracht hat«, bemerkte dazu die Frau des Gesandten.
»Nun, was ist dabei?« sagte einer der Herren. »Es gibt ein Märchen: der Mann ohne Schatten; da hat ein Mann seinen Schatten verloren, und das ist bei ihm die Strafe für irgend etwas, was er getan hat. Ich habe nie recht begreifen können, wie das eine