Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188644
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namentlich die Verkehrswege, die Eisenbahnen, die eine Zentralisation in den Städten zur Folge hätten, das Steigen des Luxus und infolgedessen zum Schaden der Landwirtschaft die Entwicklung des Fabrikwesens, des Kreditwesens und in notwendigem Zusammenhange damit des Börsenspiels. Er war der Ansicht, daß, wenn sich in einem Lande der nationale Wohlstand in normaler Weise entwickele, alle diese neuen Erscheinungen erst dann einträten, wenn auf die Landwirtschaft bereits ein erheblicher Teil von Arbeit verwandt sei und die Landwirtschaft in wohlgeordnete oder wenigstens geregelte Verhältnisse gelangt sei; daß der Reichtum eines Landes gleichmäßig anwachsen müsse und namentlich so, daß andere Erwerbszweige die Landwirtschaft nicht überflügelten; daß die Verkehrswege mit dem jeweiligen Zustand der Landwirtschaft in Übereinstimmung gehalten werden müßten und daß bei unserer nicht normalen Ausnutzung des Bodens die nicht durch ein ökonomisches, sondern durch das politische Bedürfnis hervorgerufenen Eisenbahnen verfrüht seien und statt, wie man es erwartet habe, die Landwirtschaft zu heben, sie überflügelt und durch Förderung der Entwicklung des Fabrik- und Kreditwesens zum Stillstand gebracht hätten, und daß, ebenso wie die einseitige und vorzeitige Entwicklung eines Organs bei einem lebenden Wesen der allgemeinen Entwicklung hinderlich sein würde, so auch bei der allgemeinen Entwicklung des Wohlstandes in Rußland das Kreditwesen, die Verkehrswege, die Steigerung der Fabriktätigkeit (Dinge, die in Europa, weil dort zeitgemäß, unzweifelhaft notwendig seien) bei uns nur Schaden angerichtet hätten, da dadurch die wichtigste Tagesfrage, die Reform der Landwirtschaft, in den Hintergrund gedrängt worden sei.

      Während er an seinem Buche schrieb, dachte sie daran, mit welch einer gezwungenen Höflichkeit sich ihr Mann gegen den jungen Fürsten Tscharski benommen habe, der ihr am Tage vor der Abreise in recht taktloser Weise den Hof gemacht hatte. ›Er ist ja eifersüchtig!‹ dachte sie. ›Mein Gott, wie allerliebst und wie dumm er ist! Eifersüchtig um meinetwillen! Wenn er wüßte, daß mir alle diese Leute genauso gleichgültig sind wie unser Koch Peter‹, dachte sie, indem sie mit einem ihr selbst seltsam vorkommenden Eigentumsgefühl nach seinem Hinterkopf und seinem roten Halse blickte. ›Obwohl es mir leid tut, ihn von seiner Tätigkeit abzulenken (aber mit der hat es ja auch keine Eile!), so möchte ich doch gar zu gern sein Gesicht sehen. Ob er es wohl fühlt, daß ich zu ihm hinschaue? Ich will, daß er sich umdreht ... Ich will es, nun also!‹ Und sie öffnete die Augen recht weit, in dem Wunsche, dadurch die Wirkung ihres Blickes zu verstärken.

      »Ja, diese Erwerbszweige ziehen alle Säfte und Kräfte an sich und verleihen dem nationalen Leben einen trügerischen Glanz«, murmelte er vor sich hin, indem er einen Augenblick aufhörte zu schreiben. Dann merkte er, daß Kitty ihn ansah und dabei lächelte; er sah sich um.

      »Was gibt es?« fragte er, gleichfalls lächelnd, und stand auf.

      ›Er hat sich wirklich umgesehen!‹ dachte sie.

      »Nichts, ich wollte nur, daß du dich umsehen möchtest«, antwortete sie. Sie blickte ihn dabei an und suchte zu erkennen, ob er darüber ärgerlich sei oder nicht, daß sie ihn gestört hatte.

      »Ach, wie wohl wir uns doch fühlen, nun wir beide wieder allein sind! Das heißt, ich meine, ich fühle mich wohl«, sagte er und trat zu ihr; sein ganzes Gesicht strahlte von einem glückseligen Lächeln.

      »Ich fühle mich auch so wohl! Ich fahre nirgends mehr hin, am wenigsten nach Moskau.«

      »Woran hast du denn eben gedacht?«

      »Ich? Ich dachte ... Nein, nein, geh nur und schreib weiter; laß dich nicht stören!« sagte sie, indem sie die Lippen streng zusammenzog. »Ich habe jetzt auch zu tun; ich muß diese Löchelchen ausschneiden, siehst du wohl?«

      Sie nahm die Schere und fing an auszuschneiden.

      »Nein, sag mir doch, woran du gedacht hast«, bat er, setzte sich zu ihr und verfolgte die kreisförmige Bewegung der kleinen Schere.

      »Ach, woran ich gedacht habe? Ich habe an Moskau gedacht, und an deinen Nacken habe ich gedacht.«

      »Wodurch habe ich es verdient, daß gerade mir ein solches Glück zugefallen ist? Es ist doch ordentlich unnatürlich. Es ist gar zu schön!« sagte er und küßte ihr die Hand.

      »Ich finde im Gegenteil, je schöner es ist, um so natürlicher ist es.«

      »Aber da hast du ja ein Zottelchen!« sagte er, behutsam ihren Kopf herumdrehend. »Ein Zottelchen! Sieh mal, hier! Aber nein, nein, wir wollen uns wieder an unsere Arbeit machen.«

      Aber die Arbeit wurde trotzdem nicht mehr fortgesetzt, und sie fuhren wie ertappte Sünder auseinander, als Kusma hereinkam, um zu melden, daß der Tee aufgetragen sei.

      »Ist der Bote schon aus der Stadt zurück?« fragte ihn Ljewin.

      »Diesen Augenblick ist er gekommen; er packt gerade die Sachen aus.«

      »Nun, dann komm nur recht bald«, sagte Kitty zu Ljewin, indem sie aus dem Zimmer ging. »Sonst lese ich die Briefe ohne dich. Und dann wollen wir vierhändig spielen.«

      Als er allein geblieben war, legte er seine Hefte in die neue Mappe, die Kitty für ihn gekauft hatte, und wusch sich die Hände in dem neuen Waschbecken mit dem neuen eleganten Zubehör; es waren das lauter Dinge, die mit ihr zusammen hier ihren Einzug gehalten hatten. Ljewin lächelte über die vergnügliche Empfindung, die er dabei hatte, und schüttelte mißbilligend über sie den Kopf; es quälte ihn ein Gefühl, das mit Reue einige Ähnlichkeit hatte. Seine jetzige Lebensweise wies eine Art von beschämender Verweichlichung auf, so etwas Kapaunisches, wie er selbst es zu nennen pflegte. ›Das ist nicht die richtige Lebensweise‹, dachte er. ›Es sind nun schon fast drei Monate vergangen, und ich habe so gut wie nichts getan. Heute ist es beinahe das erstemal gewesen, daß ich mich ernsthaft an die Arbeit gemacht habe, und was habe ich geschafft? Kaum daß ich angefangen hatte, habe ich die Arbeit auch schon wieder liegenlassen. Selbst meine gewohnte Tätigkeit – auch die habe ich fast ganz aufgegeben. In der Wirtschaft gehe und reite ich fast gar nicht mehr umher, bald weil es mir zu schwer wird, Kitty zu verlassen, bald weil ich sehe, daß es ihr ohne mich langweilig ist. Und ich hatte mir gedacht, das Leben vor der Verheiratung, das wäre nur so ein halbes Leben, kaum zu rechnen, und nach der Verheiratung, da finge erst das wahre Leben an. Und nun bin ich fast drei Monate verheiratet und habe noch nie die Zeit so müßig und nutzlos verbracht wie jetzt. Nein, so geht das nicht; ich muß wieder anfangen. Selbstverständlich, sie ist nicht schuld daran. Ihr kann ich keinen Vorwurf machen. Ich hätte selbst fester sein müssen, hätte meine Unabhängigkeit als Mann besser wahren sollen. So aber kann es leicht dahin kommen, daß ich sowohl mich selbst wie auch sie an dieses Leben gewöhne. Selbstverständlich, sie ist nicht schuld daran‹, sagte er zu sich selbst.

      Aber nur sehr schwer wird sich ein Unzufriedener enthalten, das, womit er unzufrieden ist, einem andern und namentlich dem, der ihm am nächsten steht, zum Vorwurf zu machen. Und auch bei Ljewin bildete sich die unklare Vorstellung, daß zwar nicht eigentlich Kitty selbst daran schuld sei (schuld sein konnte sie überhaupt an nichts), wohl aber ihre allzu oberflächliche, leichtfertige Erziehung. (›Dieser dumme Laffe, der Tscharski! Sie wollte ihn abweisen, das weiß ich sicher, verstand es aber nicht zu machen.‹) ›Ja, außer für den Haushalt (dieses Interesse besitzt sie wirklich) und für ihre Kleidung und für Handarbeiten hat sie keine ernsthaften Interessen. Sie hat kein Interesse für das, was jetzt doch auch ihre eigene Angelegenheit ist, für die Landwirtschaft und die Bauern, kein Interesse für die Musik, in der sie doch Tüchtiges leistet, kein Interesse für Bücher. Sie tut nichts und fühlt sich dabei vollkommen befriedigt.‹ Ljewin mißbilligte in seinem Innern dieses Verhalten und hatte noch kein Verständnis dafür, daß sie sich so auf die Zeit gewaltiger Tätigkeit vorbereitete, die für sie eintreten mußte, wenn es ihr obliegen würde, zu gleicher Zeit die Frau ihres Mannes zu sein, das Hauswesen zu leiten und Kinder zu gebären, zu säugen und zu erziehen. Er begriff nicht, daß sie das instinktiv vorher wußte und sich in der Zeit der Vorbereitung auf diese furchtbare Arbeitsleistung keinen Vorwurf wegen der wenigen Augenblicke der Sorglosigkeit und des Liebesglückes zu machen brauchte, die sie jetzt genoß, während sie sich fröhlich ihr Nest für die Zukunft baute.

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