Anna Karenina | Krieg und Frieden. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188644
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des Gemäldes auf eines seiner Lieblingsgebiete gebracht war, seine Ansicht darzulegen.

      »Ich begreife gar nicht, wie die Leute einen so groben Mißgriff begehen können. Christus hat doch bereits seine ein für allemal feststehende Verkörperung in den Kunstwerken der großen alten Meister gefunden. Folglich, wenn diese Leute nicht einen Gott, sondern einen Revolutionär oder einen Weisen darstellen wollen, so mögen sie sich doch aus der Geschichte Sokrates oder Franklin oder Charlotte Corday auswählen, aber nur nicht Christus. Sie wählen gerade die Persönlichkeit, die sie bei ihrer Richtung im Interesse der Kunst nicht wählen dürften, und dann ...«

      »Ist denn das wahr, daß dieser Michailow in solcher Armut lebt?« fragte Wronski, der sich sagte, daß er als russischer Mäzen den Künstler unterstützen müsse, ob nun das Bild gut oder schlecht sei.

      »Ich kann es mir kaum denken. Er ist ein vorzüglicher Bildnismaler. Haben Sie sein Bildnis der Frau Wasiltschikowa gesehen? Aber er mag, wie es scheint, keine Bildnisse mehr malen, und daher könnte es schon möglich sein, daß er sich wirklich in Not befindet. Ich wollte also sagen ...«

      »Könnte man ihn nicht bitten, Anna Arkadjewnas Bildnis zu malen?« fragte Wronski.

      »Warum denn gerade mein Bildnis?« fragte Anna. »Nach dem, das du malst, mag ich kein anderes Bildnis mehr haben. Laß ihn doch lieber Anny malen« (so nannte sie ihr Töchterchen). »Da ist sie gerade«, fügte sie hinzu, als sie bei einem Blick durch das Fenster die schöne italienische Amme gewahr wurde, die das Kind in den Garten trug, und blickte sofort verstohlen auf Wronski. Diese schöne Amme, deren Kopf Wronski für ein Bild benutzte, an dem er malte, war der einzige geheime Kummer in Annas Dasein. Wronski betrachtete, während er sie malte, voll Bewunderung ihre Schönheit und ihre mittelalterliche Erscheinung, und Anna mochte sich nicht eingestehen, daß sie nahe daran war, auf diese Amme eifersüchtig zu werden; sie behandelte sie daher mit besonderer Freundlichkeit und verwöhnte sowohl sie wie deren Söhnchen.

      Wronski warf gleichfalls einen Blick durch das Fenster und sah dann Anna in die Augen; sofort aber wandte er sich wieder zu Golenischtschew und sagte:

      »Kennst du diesen Michailow?«

      »Ich bin einige Male mit ihm zusammengetroffen. Aber er ist ein wunderlicher Kauz und ohne alle Erziehung. Weißt du, einer von diesen kulturlosen modernen Menschen, wie man ihnen jetzt häufig begegnet; weißt du, einer von jenen Freidenkern, die von klein auf in den Begriffen des Unglaubens, der Verneinung und des Materialismus erzogen sind. Die Freidenker der früheren Zeit«, redete Golenischtschew weiter, ohne zu bemerken oder ohne bemerken zu wollen, daß sowohl Anna wie auch Wronski etwas zu sagen wünschten, »das waren Leute, die in den Begriffen der Religion, des Gesetzes der Moral aufgewachsen und erst durch eigenes Ringen und eigene Arbeit zur Freidenkerei gelangt waren; heute aber erscheint ein neuer Typ von Freidenkern, solche, die es gleich von Geburt an sind, die aufwachsen, ohne auch nur jemals etwas davon gehört zu haben, daß es Gesetze der Moral und Religion und so etwas wie Autorität gegeben hat, sondern ohne weiteres in der Idee von der Verneinung aller Ordnung heranwachsen, das heißt wie Wilde. Von der Sorte ist er. Ich glaube er ist der Sohn eines Moskauer Oberkellners und hat gar keine Erziehung genossen. Als er auf die Akademie gekommen war und sich schon einigen Ruf erworben hatte, wollte er, wie er denn kein dummer Mensch ist, sich auch eine gewisse Bildung aneignen. Und so wandte er sich denn zu dem, was er für den Quell der Bildung hielt, zu den Zeitschriften. Bitte zu beachten, in älterer Zeit hätte jemand, der etwas für seine Bildung tun wollte, sagen wir einmal ein Franzose, sich an das Studium der hervorragenden Schriftsteller gemacht: der Theologen, der Tragiker, der Historiker, der Philosophen, und, bitte zu beachten, er hätte dabei ein tüchtiges Maß geistiger Arbeit zu leisten gehabt. Aber jetzt bei uns in Rußland stürzte er sich ohne weiteres in die alles verneinende Literatur hinein, machte sich mit großer Leichtigkeit den Gesamtextrakt der alles verneinenden Wissenschaft zu eigen und war nun fertig. Und damit nicht genug: vor zwanzig Jahren hätte er in dieser Literatur die Anzeichen eines Kampfes mit den Autoritäten, mit den jahrhundertealten Anschauungen gefunden; er hätte aus diesem Kampfe ersehen, daß vorher etwas anderes vorhanden war, jetzt aber geriet er geradeswegs in eine Literatur hinein, in der die alten Anschauungen nicht einmal der Bekämpfung gewürdigt werden, sondern einfach erklärt wird: keine Voraussetzungen gelten; Evolution, Auslese, Kampf ums Dasein, damit fertig! Ich habe in meiner Abhandlung ...«

      »Wissen Sie was?« sagte Anna, die schon lange verstohlen mit Wronski Blicke gewechselt hatte und wußte, daß er sich für den Bildungsgang dieses Künstlers gar nicht interessierte, sondern daß ihn nur der Gedanke beschäftigte, ihm zu helfen und ein Bildnis bei ihm zu bestellen. »Wissen Sie was?« unterbrach sie entschlossen den Schriftsteller, der in seinem Eifer kein Ende finden konnte. »Wir wollen ihm einen Besuch machen!«

      Golenischtschew merkte, daß er zu eifrig geworden war, brach ab und erklärte sich gern einverstanden. Da der Künstler in einem entfernten Stadtteil wohnte, so entschieden sie sich dafür, einen Wagen zu nehmen.

      Eine Stunde darauf fuhren sie, Anna neben Golenischtschew, Wronski auf dem Vordersitze des Wagens, bei einem neuen, unschönen Hause in jenem entlegenen Stadtteil vor. Von der Frau des Hauswartes, die herauskam, erfuhren sie, Michailow pflege den Besuch seines Ateliers zu gestatten, befinde sich aber augenblicklich gerade in seiner nur ein paar Schritte davon gelegenen Wohnung; sie schickten sie daher mit ihren Besuchskarten zu ihm und ließen um die Erlaubnis bitten, seine Bilder betrachten zu dürfen.

      10

      Der Maler Michailow war wie immer bei der Arbeit, als ihm die Karten des Grafen Wronski und Golenischtschews überbracht wurden. Den Vormittag über hatte er in seinem Atelier an seinem großen Gemälde gearbeitet. Nach Hause zurückgekehrt, hatte er sich über seine Frau geärgert, weil sie nicht verstanden hatte, die Hauswirtin, die durchaus Geld hatte haben wollen, richtig zu behandeln.

      »Zwanzigmal habe ich dir schon gesagt: laß dich auf keine Auseinandersetzungen ein. Du bist so schon dumm genug; aber wenn du nun gar anfängst, auf italienisch zu debattieren, so nimmst du dich noch dreimal dümmer aus«, sagte er nach einem längeren Gezänk zu ihr.

      »Dann sorge du dafür, daß in unserer Kasse nicht immer Ebbe ist; ich bin nicht schuld. Wenn ich Geld hätte ...«

      »Um Gottes willen, laß mich in Ruhe!« schrie Michailow; es war seiner Stimme anzuhören, daß ihm die Tränen ganz nahe waren. Sich die Ohren zuhaltend, lief er in sein Arbeitszimmer, das vom Wohnzimmer nur durch eine dünne Zwischenwand getrennt war, und machte die Tür hinter sich zu. »So ein einfältiges Frauenzimmer!« murmelte er vor sich hin, setzte sich an den Tisch, schlug eine Mappe auf und begann sofort mit ganz besonderem Eifer an einer angefangenen Zeichnung weiterzuarbeiten.

      Niemals arbeitete er mit größerem Eifer und Erfolg, als wenn es ihm in materieller Hinsicht schlecht ging und namentlich, wenn er sich mit seiner Frau gezankt hatte: ›Ach, man möchte am liebsten davonlaufen!‹ dachte er, während er weiterarbeitete. Er zeichnete eine Skizze für die Gestalt eines Mannes, der einen Wutanfall hat. Eine solche Skizze hatte er schon früher hergestellt gehabt, war aber mit ihr nicht zufrieden gewesen. ›Nein, die erste war doch besser ... Wo mag sie nur geblieben sein?‹ Er ging wieder in das Zimmer, in dem seine Frau war, und fragte, ohne sie anzusehen, mit finsterem Gesicht sein ältestes Töchterchen, wo das Blatt Papier sei, das er ihnen gegeben habe. Das Blatt mit der verworfenen Skizze fand sich wirklich noch vor, war aber beschmutzt und mit Stearin betröpfelt. Trotzdem nahm er die Skizze mit in sein Arbeitszimmer, legte sie vor sich auf den Tisch und betrachtete sie, indem er sich etwas davon entfernte und die Augen zusammenkniff. Auf einmal lächelte er und schwenkte vergnügt die Arme.

      ›So muß es sein, so ist es richtig!‹ sprach er vor sich hin, ergriff sofort einen Bleistift und begann hastig zu zeichnen. Der Stearinfleck hatte dem Mann eine neue Pose gegeben.

      Er zeichnete diese neue Pose, und auf einmal fiel ihm das energische, durch das vorstehende Kinn besonders auffällige Gesicht des Händlers ein, von dem er seine Zigarren kaufte, und eben dieses Gesicht und Kinn gab er nun seinem Manne auf der Zeichnung. Er lachte vor Freude laut auf. Der Kopf war plötzlich von einem toten, gekünstelten zu einem lebendigen geworden,