Krieg und Frieden. Leo Tolstoi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Leo Tolstoi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188620
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besonderem Herzklopfen. Es kam ihr vor, als wüßten alle Leute nicht nur, daß heute die Entscheidung über ihr Lebensschicksal fallen sollte, sondern als wüßten sie auch, was sie selbst darüber dächte. Sie las das auf dem Gesicht Tichons und auf dem Gesicht des Kammerdieners des Fürsten Wasili, der ihr mit heißem Wasser auf dem Korridor begegnete und sich tief vor ihr verbeugte.

      Der alte Fürst benahm sich an diesem Morgen außerordentlich freundlich und rücksichtsvoll gegen seine Tochter. Diesen Ausdruck von Rücksichtnahme kannte Prinzessin Marja an ihm recht wohl. Es war dies der Ausdruck, der auf seinem Gesicht dann zu erscheinen pflegte, wenn sich seine mageren Hände aus Ärger darüber, daß Prinzessin Marja eine arithmetische Aufgabe nicht begriff, zur Faust ballten und er aufstand und von ihr wegging und mit leiser, sanfter Stimme mehrmals ein und dieselben Worte wieder holte.

      Er begann das Gespräch und kam sogleich zur Sache; hierbei nannte er seine Tochter zunächst Sie.

      »Es ist mir da ein Vorschlag in bezug auf Sie gemacht worden«, sagte er mit gekünsteltem Lächeln. »Ich denke mir, Sie haben schon erraten«, fuhr er fort, »daß Fürst Wasili nicht um meiner schönen Augen willen hierhergekommen ist und seinen Zögling mitgebracht hat.« (Aus einem nicht recht verständlichen Grund bezeichnete Fürst Nikolai Andrejewitsch den Sohn des Fürsten Wasili als dessen Zögling.) »Es ist mir gestern ein Vorschlag in bezug auf Sie gemacht worden. Und da Sie meine Grundsätze kennen, so können Sie sich denken, daß ich die Sache von Ihrer Entscheidung abhängig gemacht habe.«

      »Wie soll ich das verstehen, lieber Vater?« fragte die Prinzessin, abwechselnd rot und blaß werdend.

      »Welche Frage!« rief der Vater ärgerlich. »Fürst Wasili hat Lust, dich zur Schwiegertochter zu bekommen, und hält für seinen Zögling um deine Hand an. So ist das zu verstehen. ›Wie soll ich das verstehen‹ ...!? Und nun frage ich dich, wie du darüber denkst.«

      »Ich weiß nicht, wie Sie, lieber Vater ...«, begann die Prinzessin fast flüsternd.

      »Ich? Ich? Was habe ich damit zu tun? Mich lassen Sie dabei aus dem Spiel. Ich nehme keinen Mann, ich nicht. Was meinen Sie dazu? Das möchte ich wissen.«

      Die Prinzessin merkte, daß ihr Vater die Sache nicht mit wohlwollenden Augen ansah; aber im gleichen Augenblick kam ihr der Gedanke, jetzt oder niemals werde sich ihr Lebensschicksal entscheiden. Sie schlug die Augen nieder, um den Blick nicht zu sehen, unter dessen Einwirkung sie (das wußte sie) nicht denken, sondern nur gewohnheitsgemäß gehorchen konnte, und sagte:

      »Ich wünsche nur eines: Ihren Willen zu erfüllen. Aber wenn es erforderlich sein sollte, daß ich einen eigenen Wunsch ausspreche ...«

      Sie konnte nicht zu Ende sprechen; der Fürst unterbrach sie.

      »Famos!« rief er. »Er wird dich mit deiner Mitgift nehmen, und es trifft sich dann sehr schön, daß er auch Mademoiselle Bourienne mitbekommt. Die wird seine Frau sein, und du ...«

      Der Fürst hielt inne. Er bemerkte den Eindruck, den diese Worte auf seine Tochter gemacht hatten. Sie ließ den Kopf sinken und war nahe daran zu weinen.

      »Nun, nun, das war ja nur Scherz, nur Scherz«, sagte er. »Vergiß nicht, Prinzessin: ich halte an meinem Grundsatz fest, daß ein Mädchen das Recht hat, selbst zu wählen. Ich lasse dir volle Freiheit. Vergiß das nicht: von deiner Entscheidung hängt dein Lebensglück ab. Ich komme dabei gar nicht in Betracht.«

      »Aber ich weiß ja nicht, lieber Vater ...«

      »Keine unnützen Worte mehr! Ihm wird befohlen, wen er heiraten soll; er nimmt dich, er nimmt auch eine beliebige andre; aber du hast freie Wahl ... Geh auf dein Zimmer, überlege dir die Sache und komm in einer Stunde wieder zu mir und sage mir in seiner Gegenwart: ja oder nein. Ich weiß, du wirst beten. Na, meinetwegen, bete. Aber besser wär's, gründlich nachzudenken. Nun geh. – Ja oder nein, ja oder nein, ja oder nein!« schrie er noch, als schon die Prinzessin, der es wie ein Nebel vor den Augen hing, schwankenden Schrittes das Zimmer verlassen hatte.

      Sie sagte sich, ihr Schicksal habe sich entschieden, und glücklich entschieden. Aber was der Vater da von Mademoiselle Bourienne gesagt hatte, diese Andeutung war entsetzlich. Es war ja allerdings wohl sicher unwahr; aber entsetzlich war es doch, und sie mußte wider ihren Willen daran denken. Sie ging geradewegs vor sich hin durch den Wintergarten, ohne etwas zu sehen und zu hören, als plötzlich das wohlbekannte Flüstern der Mademoiselle Bourienne sie aus ihren Gedanken auffahren ließ. Sie sah auf und erblickte zwei Schritte von sich entfernt Anatol, der die Französin in den Armen hielt und ihr etwas zuflüsterte. Anatol blickte sich mit einem drohenden Ausdruck auf dem schönen Gesicht nach der Prinzessin Marja um und ließ in der ersten Sekunde die Taille der Mademoiselle Bourienne noch nicht los. Diese letztere hatte die Annäherung der Prinzessin noch nicht bemerkt.

      »Wer ist da? Was wollen Sie? Nehmen Sie sich in acht!« schien Anatols Miene zu sagen. Prinzessin Marja sah schweigend die beiden an. Sie war noch immer verständnislos. Endlich stieß Mademoiselle Bourienne einen Schrei aus und lief hinaus. Anatol verbeugte sich vor der Prinzessin Marja mit heiterem Lächeln, wie wenn er sie auffordern wollte, über diesen sonderbaren Vorfall zu lachen, und ging dann achselzuckend durch diejenige Tür hinaus, durch die der Weg nach seinem Zimmer führte.

      Eine Stunde darauf kam Tichon zu Prinzessin Marja, um sie zum Fürsten zu rufen. Er fügte hinzu, daß auch Fürst Wasili Sergejewitsch dort sei. In dem Augenblick, als Tichon kam, saß die Prinzessin in ihrem Zimmer auf dem Sofa und hielt die weinende Mademoiselle Bourienne in ihren Armen. Prinzessin Marja streichelte ihr leise den Kopf. Die schönen Augen der Prinzessin, die wieder ganz so ruhig und glänzend waren wie vorher, blickten mit zärtlicher Liebe und herzlichem Mitleid auf das hübsche Gesichtchen der Gesellschafterin.

      »Nein, Prinzessin, ich habe den Platz, den ich in Ihrem Herzen einnahm, für immer verloren«, sagte Mademoiselle Bourienne.

      »Aber warum? Ich liebe Sie mehr als je«, antwortete Prinzessin Marja, »und werde alles, was in meiner Macht steht, tun, damit Sie glücklich werden.«

      »Aber Sie verachten mich; Sie, die Sie so rein sind, werden niemals eine solche Verirrung der Leidenschaft verstehen können. Ach, ich muß an meine arme Mutter denken ...«

      »Ich verstehe alles«, erwiderte Prinzessin Marja mit trübem Lächeln. »Beruhigen Sie sich, liebe Freundin. Ich muß zu meinem Vater gehen«, sagte sie und verließ das Zimmer.

      Fürst Wasili saß, das eine Bein hoch über das andere gelegt, die Tabaksdose in der Hand, bei dem alten Fürsten und machte eine Miene, als sei er tief ergriffen, bedaure und verspotte aber selbst seine Empfindsamkeit. Als die Prinzessin Marja eintrat, zeigte sein Gesicht ein gerührtes Lächeln. Er führte noch schnell eine Prise Tabak zur Nase.

      »Ah, meine Liebe, meine Liebe«, sagte er, indem er aufstand und ihre beiden Hände ergriff. Er seufzte und fuhr dann fort: »Das Schicksal meines Sohnes liegt in Ihren Händen. Entscheiden Sie, meine gute, liebe, süße Marja, die ich immer wie eine Tochter geliebt habe.«

      Er trat von ihr zurück. In seinen Augen erschien eine wirkliche Träne.

      »Frr ... frr ...«, schnob Fürst Nikolai Andrejewitsch durch die Nase.

      »Der Fürst macht dir im Namen seines Zöglings ... seines Sohnes einen Antrag. Willst du die Frau des Fürsten Anatol Kuragin werden oder nicht? Sage: ja oder nein«, schrie er, »und ich behalte mir das Recht vor, dann auch meine Meinung zu sagen. Ja, meine Meinung, nur meine Meinung«, fügte Fürst Nikolai Andrejewitsch, zum Fürsten Wasili gewendet, als Antwort auf dessen bittende Miene hinzu. »Ja oder nein?«

      »Mein Wunsch, lieber Vater, ist, Sie niemals zu verlassen, mein Leben niemals von dem Ihrigen zu trennen. Ich will nicht heiraten«, sagte sie in festem Ton und blickte mit ihren schönen Augen den Fürsten Wasili und ihren Vater an.

      »Unsinn, Dummheiten! Unsinn, Unsinn, Unsinn!« schrie Fürst Nikolai Andrejewitsch mit grimmigem Gesicht, faßte seine Tochter am Arm, so daß sie sich zu ihm beugen mußte; aber ohne sie zu küssen, neigte er nur seine Stirn zu der ihrigen, berührte sie und drückte ihr den Arm, den er festhielt, so stark, daß sie die Stirn