Die Farbe der guten Geister. A. A. Kilgon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. A. Kilgon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742761583
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bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Das war auf der Fahrt nach Hause passiert, in die gemeinsame Wohnung, die die beiden erst eine Woche zuvor bezogen hatten. Er war am späten Abend mit seinem Auto aus unerklärlicher Ursache frontal gegen einen Baum gefahren. Der Unfallhergang konnte nie abschließend geklärt werden. Er war auf der Stelle totgewesen. Seitdem hatte Conny keinen anderen Mann mehr angesehen. Sie sagte immer, dass ihr Herz noch nicht wieder frei sei für eine neue Liebe. So war Jahr um Jahr vergangen. Dabei gab es genug Männer, die sich für Conny interessierten. Sie hatte aber keinen Blick für die Bewerber. „Es dauert so lange wie es dauert. Und vielleicht geht es ja nie vorbei. Wer weiß.“, pflegte Conny ihren eigenwilligen Standpunkt dann immer klar zu machen.

      Das war typisch für sie. Sie ließ sich nie unter Druck setzen. Es war diese Eigenschaft, die Tilda schon immer am meisten an ihr bewundert hatte. Das traf auch auf ihren Umgang mit Schülern und Kollegen zu und überhaupt auf alles, was in ihrem Leben so stattfand. Der Grundsatz, sich nicht erpressen zu lassen, machte ihr Leben auf eine gewisse Art und Weise viel leichter und unkomplizierter. Das war wohl auch der Hauptgrund dafür, warum sie im Gegensatz zu anderen Menschen viel entspannter durch ihr Leben schipperte. Sie sagte von sich immer, sie sei der Korken in der Mitte eines Flusses. Immer sicher, immer gemütlich, immer ohne die geringste Gefahr des Unterganges oder die Angst, vom rechten Wege abzukommen. Conny war der Ansicht, dass jeder Mensch in seinem Leben möglichst bald lernen sollte, „richtig gut nein“ zu sagen. Denn durch den Schlingerkurs, den viele Zeitgenossen fuhren und der daraus resultierte, dass sie ihre Meinung nicht von Anfang an ehrlich kundtaten, machten sie sich selbst nur Schwierigkeiten. Tilda hatte von ihr gelernt, dass es tatsächlich oft besser war, erst einmal „nein“ zu sagen. Zum Beispiel dann, wenn man nicht ganz sicher war. Später war es problemlos, eventuell doch noch einzulenken. Es war in der Tat kein Problem, dieses Nein später in ein Ja zu verwandeln. Das Gegenteil war viel komplizierter. Erst einmal zuzustimmen und dann später doch abzulehnen war fast unmöglich, ohne sich unbeliebt zu machen.

      Conny nannte diesen Vorgang: „Für die anderen zum Arsch werden“. Sie benutzte diese Formulierung oft und gern und lachte jedes Mal darüber. Eine Freundin wie Conny zu haben war für Tilda ein beruhigendes Gefühl, zumal Doro, ihre Schwester so weit weg war.

      Irgendwie hatte Conny das Bestmögliche aus dem schrecklichen Schicksalsschlag in ihrer Vergangenheit gemacht. Nach einem einsamen Jahr in der ursprünglich gemeinsamen Wohnung, war Conny zurück zu ihren Eltern nach Stellingen gezogen. Dort bewohnte die Familie schon seit Generationen eine große, alte Villa mit viel Platz und einem wunderschönen, romantischen Garten. Conny war dort aufgewachsen. In diesem Garten hatte sie gespielt und gelacht, als sie ein Kind war. Dort fühlte sie sich auch jetzt wieder wohl.

      Sie bewohnte eine der beiden Einliegerwohnungen unter dem Dach ihres Elternhauses. Das hatte den Vorteil, dass sie sich mit ihren Eltern nicht in die Quere kam. Sich mit Connys Eltern in die Quere zu kommen war ohnehin kaum möglich. Zumindest Tilda sah das so. Connys Eltern waren erstaunlich jung gebliebene Leute, ein wenig durchgeknallt und sehr nett. Sie hatten die Ansichten und Einstellungen von Mittdreißigern, obwohl sie gut und gerne doppelt so alt sein mussten, denn sie waren beide schon längere Zeit im Ruhestand. Tilda hatte sie bereits vor Jahren kennengelernt. Es war tatsächlich sehr schwer, die beiden auf ihr wahres Alter zu schätzen. Sie entzogen sich durch ihre Art und durch ihre jugendliche Ausstrahlung allen Maßstäben.

      Vielleicht lag ihr Anderssein auch daran, dass sie die langen Winter in Deutschland mieden und stattdessen seit geraumer Zeit die kalte Jahreszeit in Südfrankreich verbrachten. Dort lebten sie glücklich, bescheiden und ohne großen Luxus, so dass Conny immer lachend behauptete, sie würden sehr viel Geld sparen können, wenn sie für immer dort bleiben würden. Obwohl sie ihre Eltern liebte, war sie durchaus von Zeit zu Zeit glücklich darüber, sie eine Weile lang los zu sein. Noch glücklicher war sie dann allerdings, wenn die beiden im Frühjahr wieder aus dem Süden zurückkehrten. Conny hatte in Tildas Augen bewiesen, dass es möglich war, auch aus einem schlimmen Schicksal noch etwas Gutes zu machen. Es kam offenbar nur auf die innere Einstellung an. Lächelnd erinnerte sich Tilda jetzt daran, dass sie Conny einmal danach gefragt hatte, ob sie ihren Eltern für die Wohnung im Dachgeschoss auch Miete zahlen würde. Schließlich war es ja nicht selbstverständlich, dass ein erwachsenes Kind mit eigenem Leben und eigenem Einkommen wieder ins elterliche Haus zurückkehrte, um dort eine ganze Etage zu bewohnen. Auf die Frage hin hatte Conny sie verständnislos angeschaut und im Brustton der Überzeugung gefragt: „Ich??? Ich soll ihnen Miete zahlen??? Ich verstehe deine Frage nicht! DIE müssen MIR was zahlen. Schließich bin ich die Hälfte des Jahres die Haus-Sitterin von dem großen Kasten!“ Tilda hatte ein wenig irritiert geschwiegen und dann unsicher gemurmelt: „Naja, ich dachte ja bloß…..“ Conny hatte schallend darüber gelacht und konnte sich erst gar nicht wieder beruhigen. Natürlich zahlte sie Miete an ihre Eltern, wie sie später richtigstellte. Aber sie machte ihre Späße gern und bei jeder Gelegenheit. Und sie machte sie mit allen Menschen ihrer Umgebung gleichermaßen. Berührungsängste hatte sie in dieser Hinsicht nicht. Deshalb gab es in der Schule zur zwei Lager: Die, die Conny liebten und die, die Conny hassten. Letztere wahrscheinlich deshalb, weil sie nie so genau wussten, woran sie bei ihr und ihren Späßen waren.

      Auch eine weitere Begebenheit hatte Tilda nie vergessen. Es war während einer Grippewelle. Die Hälfte der Lehrer (und zum Glück auch ein Teil der Schüler) war krank. Die übrigen Lehrer mussten eine Flut von Vertretungsstunden übernehmen, um den Schulbetrieb überhaupt aufrechterhalten zu können. Im Namen aller hatte sich Conny beim Direktor bereits den Mund verbrannt, als sie auf der Lehrerversammlung offiziell zur Kenntnis gegeben hatte, dass sie selbst und die übrig gebliebenen Kollegen mit der Situation vollkommen überfordert waren. Trotzdem hatte der Direktor sie alle zu immer neuen Vertretungsstunden verurteilt. Conny hatte das am nächsten Tag am Vertretungsplan gesehen. Sie war dermaßen wütend darüber gewesen, dass sie Tilda sofort angekündigt hatte, diese Stunden diesmal nicht zu halten. Erbost hatte sie gesagt, der Direx solle sie sich „in die Haare schmieren“ oder so ähnlich. Das sei keine Schule mehr, sondern ein Irrenhaus. Conny und sie hatten sich zum Trost nach dem regulären Unterricht auf eine Pizza verabredet. Als sie beide auf leisen Sohlen möglichst unauffällig über den Schulkorridor in Richtung Ausgang strebten, erwischte sie der Direktor sozusagen auf frischer Tat. Seine tiefe Bassstimme dröhnte durch den langen Korridor, als er ihnen hinterherrief: „Wann kann ich denn heute noch mit ihnen rechnen, liebe Kolleginnen?!“ Nach einer Schrecksekunde hatte sich Conny zu ihm umgedreht und geflötet: „Überhaupt nicht, lieber Herr Direktor! Überhaupt nicht!“ Dann hatte sie ihm noch einmal gewinnend zugelächelt und war dann ungerührt in Richtung Ausgang weitergegangen. An Tilda gewandt hatte sie leise gezischelt: „Komm schnell!“. Draußen auf der Straße hatte sich Conny dann über den gelungenen Spaß vor Lachen ausgeschüttet. Tilda hingegen war danach nicht so sehr zum Lachen zumute gewesen.

      Sie konnte sich noch gut erinnern, dass auch einige andere von Connys Späßen für sie anfangs gewöhnungsbedürftig waren. Das mochte wohl auch daran gelegen haben, dass sie zu diesem Zeitpunkt den etwas merkwürdigen Sinn für Humor ihrer Freundin noch nicht verstanden hatte. Aber das änderte sich schnell. Mit Conny zusammen war es immer lustig gewesen. Welche Konsequenzen Conny und sie damals für den Aufritt mit dem Direktor ertragen mussten, überraschte sie. Keine. Offiziell wurde die Begebenheit nie wieder erwähnt. Conny hatte übrigens immer eine gute Erklärung dafür, warum man sich nicht alles gefallen lassen dürfe. Ein ungeschriebenes Gesetz, so sagte sie jedenfalls, beschrieb die Regel: Wenn einer immer gut zum anderen ist, dann muss der andere böse werden. Zunächst schien diese Sichtweise ein Widerspruch in sich zu sein. Im Laufe der Jahre aber hatte Tilda erkannt, dass der Satz voller Wahrheit steckte.

      Noch am selben Wochenende begann Tilda, ihre Reisevorbereitungen zu treffen. Für sie stand außer Frage, dass sie für zwei bis drei Wochen in Arizona nicht allzu viel benötigen würde. Dort war im Juni heißes Sommerwetter. Die Sachen für kühle Tage konnten folglich zu Hause bleiben. Alles, was sie vergessen hatte, würde sie sicher von ihrer Schwester bekommen können. Sie flog schließlich zum Familienbesuch und nicht als Touristin in eine Bettenburg.

      Noch mehrmals nahm Ludwig Anlauf, um sie doch noch umzustimmen. Er bat und bettelte, versuchte sie mit allerlei Argumenten zu einem Sinneswandel zu bringen. Tilda ließ sich auf keine Diskussion mit ihm ein. Ihr war klar,