Der falsche Tote. Carlo Fehn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carlo Fehn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844293241
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dann weißt du zumindest schon vorher, dass sich dann möglicherweise ein Schauspieler neben dich setzen wird, der irgendwann auch noch mal in das Spiel eingreifen wird. So, haben wir es jetzt?«

      Pytlik hatte Gundi Reif mit seinen Erzählungen völlig in den Bann gezogen. Sie wollte ihn bestimmt nicht ärgern.

      »Der Constantin Becker sagt dann also sinngemäß zu mir, was ich jetzt da wolle. Ich sage zu ihm, dass er sich nicht unglücklich machen und einen Unschuldigen erschießen solle. Es geht dann hin und her, wieso und warum und weshalb und da muss ich auch ganz schön mit dem Text aufpassen, dass ich da nicht durcheinanderkomme, auch wenn es immer nur kurze Phrasen sind. Aber genau das ist das Schwierige daran. Schlussendlich erwähne ich dann, dass nicht der, den er für den Nebenbuhler hält, der also auch noch mit auf der Bühne ist, tatsächlich auch der Nebenbuhler ist, sondern dessen Vater.«

      »Ach, Gott!«, kam es aus Gundi Reif hervor. »Und dessen Vater ist doch in echt der Leiter der Schauspielgruppe, oder? Also sozusagen der – wie hieß der noch mal? – Werner Schuster!«

      »Sehr gut!«, musste Pytlik zugeben. »Sehr gut, Gundi!«

      »Aber wenn ich mich recht erinnere, dann müsste der doch zu dem Zeitpunkt auch schon im Publikum sitzen.«

      »Ganz genau! Und zwar sitzt der sogar in der ersten Reihe direkt neben dem Gang. Und als ich dem betrogenen Ehemann, also dem Constantin Becker, den entscheidenden Hinweis gegeben habe, verliert er völlig die Kontrolle, rastet aus, macht auf der Bühne ein paar Schritte rückwärts in Richtung Publikum, dreht sich dann blitzartig um 180 Grad, zielt auf die erste Reihe und – schießt!«

      Für einen Moment herrschte atemlose Stille.

      »Und dann – sag bloß! – erschießt der wohl den Leiter, den Schuster, oder wie?«

      »Als er in diesem Moment erfährt, dass seine Frau von einem Mann schwanger ist, der selbst sein eigener Vater sein könnte, dreht er einfach durch und drückt im Affekt ab. Die Zuschauer rechnen in dem Augenblick natürlich gar nicht damit und das wird auch ziemlich echt aussehen. Noch dazu mit dem Knall der Platzpatrone wird da ein richtiger Aufschrei durch die Reihen gehen, da bin ich mir sicher. Für dich ist das natürlich jetzt nicht mehr spannend, aber du solltest das nicht zu vielen Leuten erzählen, am Besten gar keinen.«

      »Um Gottes Willen, ich kann schweigen wie ein Grab«, versicherte Gundi Reif.

      Im selben Augenblick war Justus Büttner, der Leiter der Schutzpolizei zur Tür hereingekommen und hatte Gundi Reifs treuherzige Aussage deutlich mitbekommen. Sein sonst übliches, mit tiefer Stimme gesprochenes »Hallo« vergaß er zunächst, das Andere war ihm wichtiger.

      »Do lachen ja die Hühner! Wenn ich dir woss erziehl, dann fobreided sich des duch schneller als der schlimmste Gribbevirus. Und däss Gräber foschwiechn senn, des ist eh su a Sach, die ich sehr stark bezweifel. Also, Franz, wurschd, woss da ihr erziehlt host, die Welt werrds in a boa Minudn wissen.«

      Büttner ging schelmisch lachend an Gundi Reif vorbei, die mit einer fast übertriebenen Geste die Faust auf den Schreibtisch schlug und größtmögliche Empörung vorspielte.

      »Na also, das ist doch wohl die Höhe! Was erlaubst du dir, du alter…?«

      Auch Pytlik musste schmunzeln, nahm dann aus den Händen von Büttner die Akte entgegen, bedankte sich dafür und fragte, ob er denn am Sonntag auch zur Premiere kommen würde.

      »No obber hallo! Su woss hodd die Welt nuch ni gsea: a echter Haubdkommissar spielt an Haubdkommissar und dann ach nuch an fo unners. Do konnst da obber sicher sei, däss ich mir dess ni endgieh lohs. Ich hoff, du hossd dein Deggsd scho glernd. Mach uns fei ka Schand! Wann giehds nuchmoll luhs?«

      Pytlik hatte zunächst die Augenbrauen gehoben und kurz zu Gundi Reif hinübergeblickt, so als wollte er sagen, dass er ebenso hoffe, dass das mit dem Text klappen würde.

      »Um halb acht. Eure Karten werden an der Kasse hinterlegt sein. Bezahlt sind sie schon.«

      »Oh, der Herr Haubdkommissar wird auf seina alden Dooch wuhl ach nuch spendabel«, scherzte Büttner beim Hinausgehen, während Gundi Reif sich nett dafür bedankte und das eine tolle Geste fand.

      »Ich kann’s mir auch noch anders überlegen, du alter Brummbär! Und jetzt raus hier! Hast du eigentlich nichts zu tun?«

      Büttner schloss mit einem Lächeln die Tür und hob kurz die Hand. Pytlik tat es ihm gleich.

      »Der Justus!«, dachte Adelgunde Reif laut vor sich hin. »Ich möchte mal wissen, ob den irgendwann einmal etwas so wirklich aus der Ruhe bringt? Also ich glaube, wenn ich dem seine Frau wäre, ich würde den ganzen Tag mit dem Kochlöffel und dem Nudelholz hinter ihm her sein.«

      Pytlik lachte.

      »So ist er halt, unser Justus. Ein richtig alter Brummbär.«

      »Naja«, wollte Gundi doch noch wissen, »und wie geht’s dann aus? Oder ist es dann aus? Ich meine, nachdem dieser – wie nochmal? – Constantin Becker den Regisseur erschossen hat.«

      Pytlik war aufgestanden und hatte sich an der Kaffeemaschine noch einmal bedient. Gemächlichen Schrittes lief er zurück an seinen Schreibtisch.

      »Möchtest du dir nicht wenigstens noch ein kleines bisschen Spannung erhalten?«, fragte er seine Sekretärin.

      »Na, jetzt ist es eh schon egal.«

      »Ich verrate dir nur noch soviel: Nachdem dieser Schuss gefallen ist, werden auf jeden Fall für einige Sekunden alle Lichter ausgehen. Wer bis dahin eingeschlafen sein sollte, wird dann hellwach sein.«

      »Aha! Hört sich alles sehr vielversprechend an. Aber ich verstehe trotzdem nicht, warum du dich da hast breitschlagen lassen.«

      Ein kurzes Schulterzucken Pytliks sollte heißen, dass der Hauptkommissar das bis heute wohl selbst noch nicht genau wusste.

      »Der Ralf Wich hat halt irgendwann einmal mitbekommen, dass ich Wild ganz gerne esse. Und nachdem sein Vater Jäger ist, wollte er mir vielleicht einfach nur mal einen Gefallen tun und hat mir eben diesen Rehrücken mitgebracht und nicht einmal etwas dafür verlangt. Ich glaube auch nicht, dass er zu dem Zeitpunkt schon gewusst hat, dass er mich dafür irgendwann einmal zum Mitspielen bei diesem Theaterstück bewegen könnte. Aber nachdem das Drehbuch nun einmal diesen Kurzauftritt des Hauptkommissars vorsieht, hat er mich gefragt und da konnte ich dann wirklich schlecht Nein sagen. Und die paar Mal, die ich jetzt dort war, um das zu proben und das Auswendiglernen des Textes – mein Gott, ich verbuche das mal unter Sachen, die ich bestimmt nicht wieder tun werde! Hauptsache, ihr werdet euren Spaß haben und ich vergesse meinen Text nicht. Kommen denn eigentlich alle mit?«

      »Also, soviel ich jetzt gehört habe, Cajo, ich, Justus, der Angerer und der Schneider und der Behrschmidt wollte es sich noch überlegen.«

      »Oh Gott, der auch?«

      Pytlik hatte ja grundsätzlich nichts gegen den Chef der Kronacher Dienststelle einzuwenden, aber in diesem Fall würde er ihm lieber einen angenehmen Sonntagabend zuhause gönnen.

      »Mach dir mal keine Gedanken, Franz! Bei dem kommt doch am Schluss wieder etwas dazwischen. Das war bisher immer so.«

      »Stimmt auch wieder. Na, egal, der macht das Kraut auch nicht mehr fett.«

      Pytlik war vom vielen Erzählen schon etwas müde geworden, Adelgunde Reif schien völlig vergessen zu haben, dass ihr Arbeitsplatz eigentlich im Büro gegenüber war. Beide saßen nun stumm wie Fische da und hatten Daumen und Zeigefinger an ihren Kaffeetassen.

      »Irgendwie ist das heute komisch«, brach Adelgunde Reif die Stille.

      »Was meinst du?«

      »Ich weiß auch nicht. Liegt das am Wetter? Am liebsten würde ich jetzt gar nichts mehr tun und nach Hause gehen.«

      Pytlik schaute aus dem Fenster und dann wieder zu seiner Sekretärin.

      »Hast du denn noch viel zu tun?«

      »Eigentlich…«