Der Eindringling. Hermann Christen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Christen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750112
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hier nützlich sein konnte.

      "Wo ist Paul?", wiederholte er.

      Tschoban drängte sich aus der Menge.

      "So n'Scheiss, hat gesagt er geht auf Beobachterposten."

      Tschoban deutete mit der Pfote in den Himmel. Alle blickten hoch. Außer Wolken war da nichts zu sehen.

      "Bist du sicher?"

      "Logo!"

      "Ich hol ihn", drängte sich ein Spatz auf und verschwand in der Höhe.

      Kurz darauf tauchten zwei schwarze Punkte unter den Wolken auf, die sich schnell näherten.

      Paul plumpste Merlin vor die Füße, rappelte sich hoch und hüpfte flügelschlagend auf und ab. Eiskristalle säumten seinen Schnabel.

      "Furchtbar kalt da oben. Ift nicht empfehlenfwert", lispelte er.

      "Was hast du da oben gemacht?", grinste Merlin.

      "Beobachtet. Ift wichtig, daff man den Überblick hat", rechtfertigte sich Paul.

      "So hoch?", schmunzelte Merlin, "dass du Eiskristalle um den Schnabel hast? Über den Wolken?"

      "Hab mich verfäpft", sagte Paul kleinlaut.

      "Hast wahrscheinlich das Meer gesehen, so hoch oben wie du warst", frotzelte Eichhörnchen.

      "Flieg zum Dorf und hol Feuerwehr, Polizei und was sonst noch notwendig ist, um den Bären von hier weg zu kriegen", sagte Merlin.

      "Er will nicht gehen?", fragte Paul vorwurfsvoll.

      "Nein, er trotzt!"

      "Fo, fo – er tropft."

      "So ähnlich", drängte Merlin ungeduldig, "mach schnell, solange er ruhig ist. Wir halten die Stellung."

      "Ok!"

      Merlin hoffte, dass Paul Hilfe heranschaffen konnte. Viele Tiere schauten Paul nach und bedauerten, nicht an seiner Stelle und in relativer Sicherheit zu sein.

      "Wie geht es weiter?", riss Eichhörnchen Merlin aus seinen Gedanken.

      "Wir müssen den Bären bewachen und dafür sorgen, dass er nicht abhaut!"

      Geifer, ein verwilderter Rottweiler der vor Jahren im Wald eingezogen war, trat aus der Schar heraus. Geifer hatte damals erzählt, dass er die alternative Lebensweise suche und beschlossen habe, in der Wildnis zu leben. Er galt als Menschenexperte im Wald.

      "Lass ihn doch abhauen, wenn er will."

      "Gibst du mir die Garantie, dass er nicht mehr kommt? Und nächstes Mal kriegt vielleicht nicht nur Herr Specht etwas ab."

      Die Verantwortung, welche die Waldleute stillschweigend auf Merlins Schultern gebürdet hatten, erdrückte ihn. Er wünschte sich in sein Astloch zurück, um den Rest des Tages in wohligem Dösen zu verbringen. Noch war die Lage nicht bereinigt. Merlin traute der Ruhe nicht. Der Bär war ein Fremder. Merlin wusste nicht, was und wie er dachte und blieb vorsichtig.

      "Ich sage dir, Geifer, wir müssen wachsam bleiben und dürfen ihn nicht aus den Augen lassen."

      "Und wenn die Menschen nicht kommen?"

      Dieser Gedanke belastete auch Merlin. Sie mussten kommen! Er vertraute darauf, dass die Menschen alles, was stärker war als sie, vorsorglich massakrierten. Aber schnell mussten sie kommen. Andernfalls würde die Einigkeit unter den Waldleuten zerfallen. Sich verflüchtigen wie der Schaum in einem Schaumbad. Schnell würde jeder seiner eigenen Wege gehen. Jeder würde für sich Sicherheit suchen und hoffen, dass es einen anderen erwischte, wenn der Bär wieder loslegte.

      "Du kennst doch Paul", lenkte Merlin ab, "der kann dermaßen übertreiben, dass den Menschen keine andere Wahl bleibt, als uns zu helfen."

      "Hm?"

      "Ich vertrau ihm", schloss Merlin.

      Er blickte zu seinen Freunden. In die geschlossene Reihe war Unordnung gekommen und sie wirkte nicht mehr bedrohlich genug.

      "Stellt euch wieder auf", ordnete er an.

      Schweigend folgten die Tiere seinem Befehl. Er selber stellte sich wieder vor den Bären. Es galt, Entschlossenheit zu zeigen!

      Merlin glaubte eine Ewigkeit und drei Tage hier gestanden zu haben, als Paul endlich zurückkehrte. Mit scheuem Blick auf den Bären und bereit, jeden Augenblick weg zu fliegen, berichtete er.

      "Fie kommen. Polipfei, Feuerwehr, Gemeindepräfident, Tierarpft und fonft noch Leute. Von der Preffe auch und der Kindergarten wollte auch."

      "Kindergarten?", raunte Merlin.

      "Ja, Frau Föön wollte den Kindern daf Naturfaupfiel nicht vor enthalten. Aber der Polipfift hatte waf dagegen. Hat Frau Föön mit Ficherheipfverwahrung gedroht."

      "Menschen!"

      Merlin schüttelte den Kopf. Weit entfernt ertönten Sirenen – die Menschen waren auf dem Weg!

      Kein Wunder, mussten sich die Menschen aus der Landwirtschaft ernähren. Mit dem Trari-Trara, das sie jedes Mal aufführten, war Jagt unmöglich. Menschen genügten den Herausforderungen des Lebens nicht. Keine Krallen, keine Fangzähne, kein Hackeschnäbel. Langsam und träg; konnten nicht fliegen, rennen, springen oder flugs auf Bäume klettern. Wie überlegen waren da die tierischen Jäger. Beute ins Auge fassen – anpirschen - zupacken. Das ist Evolution! Es war daher logisch, dass Menschen in Dörfern lebten. Im Wald wären sie bald verhungert. Oder selber Jagdbeute geworden.

      Merlins Gedanken wurden von lauten Rufen unterbrochen. Eine erste Gruppe von Menschen stolperte den Abhang herab. Der Anblick des zusammengekauerten Bären stoppte sie – in sicherer Entfernung im Schutz der Tiere.

      "Hol den Anführer", wies Merlin Paul an.

      Paul kehrte kurz darauf mit zwei Männern zurück. Der eine war der Förster. Der Förster war in Ordnung, denn er liebte den Wald genauso wie die Waldleute. Den anderen kannte er nicht. Er trug ein unbequemes Kleid, blau mit glitzernden Knöpfen, und eine Art Helm.

      "Daf find Förfter und Polipfeiwachführer Haldimann."

      Beide standen mit ungläubigen Blick und offenen Mäulern da. Sie erinnerten Merlin an Gestalten, denen eben jegliche Intelligenz entwichen war. Merlin hatte sich Hilfe anders vorgestellt.

      "Ein Bär", sagte der Polizeiwachführer mit heiserer Stimme.

      Hatte Paul nicht erklärt, was im Wald los war?

      "Ich wollte Paul nicht glauben", erwiderte der Förster, "ein Bär in meinem Wald."

      "Ein Bär in UNSEREM Wald", machte sich Merlin mit lauter Stimme bemerkbar.

      "In eurem Wald", korrigierte der Förster, "und jetzt?"

      "Der muss weg, will aber nicht…", fasste Merlin die Situation so knapp wie möglich zusammen. Er wollte die Menschen nicht überfordern.

      Unruhiges Gemurmel und vorwurfsvolle Rufe der Tiere lenkten die drei ab. Sie sahen, wie sich ein kleiner Mann rücksichtslos den Weg durch die Reihen bahnte. Er trug ein Gewehr und starrte fiebrig-irre auf den Bären. Hustend und schnaufend hielt er bei den drei an.

      "Wunderbar", entfuhr es ihm.

      Sein Blick strahlte etwas Wahnsinniges aus, fand Merlin, ähnlich wie bei den Joggern im Wald, die sich, obwohl offenkundig am Ende ihrer Kräfte und bar jeder Freude an dieser Tätigkeit, weiter vorwärts pushten.

      "Ich knall ihn gleich hier und jetzt ab", geiferte er und hob seine Flinte.

      Haldimann trat vor und griff sich die Waffe.

      "Was soll das", bellte der Mann ungehalten.

      "Hier wird nicht einfach los geknallt", bestimmte Haldimann.

      "Und deine Fliegenklatsche wird ihn vermutlich nur verletzen, aber nicht töten", mischte sich der Förster ein, "was jagst du sonst damit? Enten? Mäuse?"

      Der Mann blickte