Der Eindringling. Hermann Christen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hermann Christen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742750112
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Eichhörnchen sprang vom Mauerabsatz und landete mitten in der Krypta.

      'Ich bin verrückt!', schoss es ihm durch den Kopf.

      Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Der einzige Fluchtweg führte durch das Eisengitter zur Treppe hinaus. Eichhörnchen schätzte ab, wie schnell so ein Bär sein konnte. Es traute sich zu, im Gang in Sicherheit zu sein, bevor der Bär sich auch nur bewegte. Zwei, drei Sprünge bis zur Treppe – leicht zu schaffen!

      Der Bär war überrascht, dass das kleine, freche Ding wagte, ihm so nahe zu kommen. Langsam wandte er sich um und nahm das Eichhörnchen in Augenschein. Wenn er sich nicht irrte, war es dasselbe, welches er gestern gesehen hatte. Es war einer der beiden Klorollenträger. Er staunte, wie viel Mut in einen so kleinen Körper passte.

      "Ich will dir nichts tun!", fuhr das Eichhörnchen fort.

      Er konnte nicht anders: er brüllte auf vor Lachen – was erzählte der Zwerg da: er wolle ihm nichts tun.

      Eichhörnchen flitzte durch das Eisentor und blickte zitternd von der Treppe zurück. Der Bär hatte es angreifen wollen! Mit pochendem Herzen verfluchte es seine Neugier und die unbedachte Waghalsigkeit, in die Krypta zu hopsen. Gleich würde der Bär aufspringen, zum Gitter rennen und daran rütteln. Der Bär blieb aber sitzen und, und…

      "Der lacht ja", murmelte Eichhörnchen erstaunt.

      Der Bär wischte sich Tränen aus den Augen und beruhigte sich langsam. Dann winkte er Eichhörnchen zu sich.

      'Jemand der lacht, will einen nicht gleich auffressen", dachte es und kroch unter dem Gitter durch.

      "Tschuldigung", japste dieser, "war lustig!"

      Eichhörnchen konnte sich keinen Reim darauf machen, was denn so lustig gewesen sein sollte.

      "Magst du jetzt mit mir reden?"

      Der Bär zuckte die Schultern.

      "Wie heißt du?"

      "Buddlibär"

      Buddlibär – so heißt doch niemand, dachte Eichhörnchen.

      "Du nimmst mich wohl auf den Arm!"

      Der Bär schüttelte den Kopf

      "Buddlibär – so heiße ich. Buddlibär."

      "Und woher kommst du?"

      -

      "Weißt du nicht, wo du herkommst?", bohrte Eichhörnchen nach.

      Langsam schüttelte der Bär seinen Kopf.

      "Nein", sagte er mit brüchiger, trauriger Stimme.

      "Das gibt’s doch nicht!"

      -

      "Und was machst du hier?"

      -

      "Warum hast du uns gestern so erschreckt?"

      -

      Der Bär hing seinen Gedanken nach. Er nahm nicht wahr, dass er Gesellschaft in seinem Verlies hatte.

      "Was ist los mit dir?"

      -

      Eichhörnchen sah ein, dass der Bär keine Lust für eine Unterhaltung hatte.

      "Der hat echt ein Problem. Typischer Fall für Gnogörok", schimpfte es halblaut, "ich gehe dann wieder. Tschüss!"

      Eichhörnchen schlüpfte unter dem Gitter durch und sprang die Treppen hoch.

      "Der Rucksack – hast du meinen Rucksack gesehen?"

      Eichhörnchen hielt inne.

      "Was?"

      "Ich vermisse meinen Rucksack."

      "Ich erinnere mich", sagte Eichhörnchen stirnrunzelnd, "bei der Wurzel, wo wir – die Menschen meine ich – dich erwischt haben."

      "Genau den – ich brauche ihn."

      "Wozu? Hast du eine Feile da drin?"

      Der Bär ließ sich nicht aufmuntern.

      "Ich brauch ihn einfach – ist alles was ich habe", nuschelte er.

      Eichhörnchen überlegte einen Augenblick.

      "Ok, ich geh ihn suchen."

      "Danke", murmelte der Bär.

      Eichhörnchen blickte über die Schulter zurück. Der Bär war wieder in diesem Dämmerzustand, vor sich hinstarrend und stumm. Es eilte die Stufen hoch und schlüpfte aus der Kapelle.

      'Buddlibär – der verulkt mich doch'

      Es eilte zum Wald zurück.

      Die Lichtung sah nicht ordentlicher aus, als am Abend zuvor. Die gefällten Bäume und das von unzähligen Füssen, Pfoten und Hufen vermanschte Laub erzählten von der Geschichte, die hier stattgefunden hatte. Keine Seele war zu sehen. Eichhörnchen hüpfte zur Wurzel, wo sie den Bären erwischt hatten und blickte sich um. Vom Rucksack war keine Spur zu sehen.

      "Der war hier, genau hier", spornte es sich an.

      Eichhörnchen umkreiste die Wurzel, blickte unter die Äste, schnupperte an Spuren.

      "Vielleicht war es ein anderer umgestürzter Baum"

      Es suchte die anderen Wurzelstöcke ab. Nein, es hatte sich nicht geirrt. Bei allen anderen war der Boden noch unberührt. Nur bei dem einen waren Spuren zu sehen. Es ging zurück.

      "Aber er muss doch da sei…"

      Hatten die Menschen den Rucksack mitgenommen? Möglich war es. Sie ließen zwar alles Mögliche im Wald liegen, aber nie Wertsachen.

      "Einer hat sicher den Rucksack mitgehen lassen", empörte sich Eichhörnchen.

      Es wollte zu Merlin zu gehen, um die Sache zu besprechen, als es verdächtige Spuren sah. Es hatte während der Nacht geregnet. Die Spuren vom Vortag waren verwischt und undeutlich. Quer über diese entdeckte Eichhörnchen frische Spuren.

      "Dachs!"

      Es untersuchte weiter.

      "Kleiner Dachs – Kleiner Dachs mit Übergewicht - Kuno!"

      Kuno war offenbar war heute Morgen hier gewesen. Eichhörnchen schätzte ihn sofort als potentiellen Rucksackdieb ein.

      "Sähe ihm ähnlich", dachte es verärgert.

      Ohne Umschweife machte es sich auf den Weg zum Dachsbau.

      'Der wird was von mir hören!', dachte es grimmig.

      Der Dachsbau, den Kuno mit seinen Eltern bewohnte, lag gut geschützt unter einem riesigen Findling. Die Menschen nutzten diesen Stein gerne für ihre Picknicks. Kuno freute sich darüber, denn Menschen ließen alles liegen – auch Essbares. Kuno liebte die Kräcker, Chips, Süßigkeiten – einfach alles, was mit gesunder Nahrung nichts zu tun hatte. Waren die Besucher endlich weg, durchwühlte er das Gras und stopfte alles was er fand in sich hinein. Diese Fressorgien sah man Kuno an: sein Bauch war rund und sein Gesicht hatte stets den Ausdruck, der zufriedenen Schleckmäulern zu eigen ist. Wenn er wegen seiner Fülle geneckt wurde, erwiderte er schnodderig, dass er nicht dick, sondern dass er das Winterfell nicht abstoßen könne und das Ganze eine Art optischer Täuschung sei.

      Der Dachsbau wurde auch von Knack, einem stets übellaunigen Fuchs, beansprucht. Er behauptete, dass die Dachse den Bau hinterhältig seinem Großvater abgeschwatzt hätten. Er, Knack, sei der rechtmäßige Besitzer dieser Höhle. Dachsens hielten dagegen, dass das nicht stimme: der Findling hieß 'der Dachsstein', was Beweis sei, dass die Höhle schon seit jeher Dachsbesitz war. Knack konterte, dass es früher 'Fuchsstieg' genannt wurde, woran sich im Wald jedoch niemand erinnern konnte. Er vermutete eine hinterhältige, waldumfassende Verschwörung, um ihn von seinem Eigentum fern zu halten. Eine kleingeistige Revolution, die von den Vegetariern, diesen eigennützigen Grünzeugfressern, angezettelt war, weil er konsequent gegen den Vertrag votierte, wann immer er danach gefragt wurde. Da alle