Unvergängliches Blut - Sammelband. S.C. Keidner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: S.C. Keidner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595472
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nächsten Morgen weckten sie die warmen Strahlen der Sonne. Sie lauschte nach Verfolgern, hörte aber außer dem Gesang der Vögel nichts. Nach einem Mahl aus Nüssen, Wasser und Brot watete sie weiter.

      Jetzt, wo die Angst vor ihrer Gefangennahme nachließ, wanderten ihre Gedanken zu Maksim. Ihre Hand berührte die silberne Kette. Wie es ihm wohl erging? Was hatte er gedacht, als er von ihrer Flucht erfuhr? Ihr Herz verkrampfte sich. Er würde es nicht verstehen, wusste er doch nicht, dass sie guter Hoffnung war. Er würde vielleicht sogar denken, dass sie ihn ausgenutzt hatte, dass ihre Liebe nur vorgespielt gewesen war!

      Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. »Oh, Maksim!«, schluchzte sie. »Ich liebe dich doch!« Wieso hatte sie ihm keine Erklärung auf einem Stück Pergament hinterlassen? Würde sie ihn jemals wiedersehen? Falls ja, würde er ihr verzeihen? Sollte sie nicht doch zurückgehen? Die Strafe für die Flucht auf sich nehmen, damit sie bei ihm sein konnte? Sollte sie wirklich weitermachen? Es war der Gedanke an ihr Kind, der die Tränen versiegen ließ. Ja, wäre sie nicht guter Hoffnung gewesen, hätte sie kehrtgemacht. Aber das konnte sie nicht, nicht, wenn man Maksims Kind töten würde! Schließlich spritzte sie sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht und konzentrierte sich auf ihre lange Reise durch die Berge, die gerade erst begonnen hatte.

      In der nächsten Nacht hörte sie in weiter Ferne Gebell und Rufe. Sie betete zu den Göttern, dass ihre Verfolger nicht näherkamen. Die Geräusche vergingen. Es war das letzte Mal gewesen, dass sie ihre Verfolger hören sollte. Am Tag darauf setzte sie ihren Weg am Ufer anstatt im Bach fort, da das Wasser zu tief geworden war, um darin zu waten. Nun kam sie schneller voran und stand am späten Nachmittag auf einem Bergrücken, unter sich ein Tal, in das der Bach als Wasserfall stürzte und sich dort weiter schlängelte. Es gab im Tal keinen Wald und sie beschloss, auf einem der Bäume hier oben zu nächtigen.

      Nicht weit von ihr wuchs eine knorrige Eiche, die sie erkletterte. In der Baumkrone fand sie zwei nebeneinander wachsende Äste, auf denen sie leidlich bequem saß. Durch die Blätter sah sie den Himmel und nach Sonnenuntergang die Sterne. Nach einem Essen aus dem langsam hart werdenden Brot und Käse döste sie ein.

      Stimmen rissen sie wenig später aus ihrem erschöpften Schlummer. Ihr Herz klopfte. Sie war nicht mehr allein! Vorsichtig lugte sie nach unten. Es waren Menschen, keine Vampire, die nahe der Eiche haltmachten. Ein Mann und eine Frau. Sie trugen einfache verschmutzte Kleidung und Reisebündel.

      »Keine Höhle, um uns zu verstecken!«, keifte die Frau. »Du und deine Pläne! Von wegen ›ich kenn’ mich hier aus‹! Wir haben uns verlaufen und wir haben kein Versteck!«

      »Jetzt kreisch’ nicht so rum!«, knurrte der Mann. »Deswegen sind wir doch aus dem Tal hier hochgeklettert! Damit wir Gefahren von Weitem erkennen können!«

      »Ach ja? Aber auf die Idee, dass die Gefahr hier im Wald lauert, kommst du nicht, oder?«

      Der Mann warf sein Bündel auf die Erde. »Blödsinn«, sagte er. »Hier ist es einsam. Es gibt keine Vampire hier.«

      »Woher willst du das wissen? Aber egal, wir verhungern ja sowieso! Weil du den Rest unseres Proviants vertilgt hast!«

      »Stell dich nicht so an! Dann essen wir eben Beeren oder so was.«

      Rodica zog vorsichtig den Kopf zurück. Sie würde sich nicht zu erkennen geben. Der Mann und die Frau hatten sich verirrt und nichts Besseres zu tun, als nachts im Gebiet der Stämme lauthals zu streiten. Sie hielt still, versuchte, sich nicht zu bewegen, damit die beiden nicht auf sie aufmerksam wurden. Doch die waren viel zu beschäftigt mit ihrem Streit. Rodica erfuhr, dass sie nach Insan, einer der Städte nördlich des Qanicengebirges, wollten. Dass der Mann ein Versager und Säufer war. Dass ihre Mutter sie vor ihm gewarnt hatte. Die Frau wiederum, so der Mann, sei nur hinter seinem Gold her gewesen. Könne nicht haushalten, weswegen sie ebendieses Gold und ihr kleines Feld verloren hätten.

      Die Frau schnaubte verächtlich. »Du hast das Feld versoffen, gib es doch zu! Und welches Gold willst du denn gehabt haben?« Sie lachte schrill auf. »Glaube mir, wenn es in unserem Weiler einen Kerl mit Gold gegeben hätte, würde ich jetzt nicht hier mit dir sitzen!«

      »Ach ja?! Aber sich wie eine Klette an mich zu hängen, um nach Insan zu gelangen, dazu bin ich gut genug!«

      »Du bist doch nur auf die Idee mit Insan gekommen, weil meine Schwester da wohnt! Mal abgesehen davon, dass du keinen blassen Schimmer hast, wo wir sind. Einfach dem Fluss folgen. So ein Blödsinn! Sieht das Rinnsal da wie ein Fluss aus?«

      »Das hat der Fährtensucher aus der wandernden Siedlung gesagt! Fährtensucher kennen sich aus!«

      »Fährtensucher schon. Du nicht.«

      Der Mann knurrte etwas Unflätiges und nahm sein Bündel wieder auf. »Los, lass uns weiter in den Wald hineingehen. Da suchen wir uns ein Versteck.«

      Die Frau schimpfte vor sich hin, als sie ihm folgte und aus Rodicas Blickfeld verschwand.

      Rodica starrte den beiden hinterher, bis der Wald sie verschluckte. Bäche und Flüsse waren natürliche Wegweiser. Sie war nicht die Einzige, die diese Wegweiser nutzte, das ging ihr jetzt auf. Sie musste vorsichtig sein. Diese beiden hätten ihr vielleicht ohne Gewissensbisse ihre Vorräte abgenommen.

      Sie wollte sich gerade schlafen legen, als ein Schrei sie hochfahren ließ. Er war aus der Richtung gekommen, in die der Mann und die Frau verschwunden waren. Angestrengt versuchte sie, durch das düstere Dickicht der Blätter zu sehen, konnte aber nichts erkennen. Dann, zu Rodicas Entsetzen, ertönten Rufe und Hufschlag, die sich rasch näherten. Jemand brüllte: »Halt sie fest!«

      »Nein, bitte! Bitte nicht!« Der Aufschrei einer Frau. Höhnisches Gelächter war die Antwort. Die Frau schrie wieder. Dann brachen die Schreie ab. Sie hörte abgehacktes Schluchzen.

      Rodica klammerte sich verängstigt an den Stamm der Eiche, versuchte, sich so klein wie möglich zu machen. Nach einiger Zeit, in der nur das Wimmern der Frau und lustvolles Stöhnen zu hören waren, johlten Männer. Jemand befahl, man solle die beiden festbinden. Dann hörte sie Hufschlag, der sich entfernte. Es wurde still.

      Sie lehnte zitternd die Stirn an die kühle Rinde des Baums, schloss die Augen, konnte aber nicht mehr schlafen. So lauschte sie auf die Geräusche der Nacht, ohne, dass sie noch etwas hörte, was auf die Anwesenheit von Vampiren oder Menschen schließen ließ. Als die Sonne die Welt um sie endlich erhellte, kletterte sie hastig vom Baum und lief im Schutz von Büschen und Bäumen ins Tal hinunter. Dort verfiel sie in Laufschritt, um die freie Fläche im Talgrund so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Sie musste in der Nähe des Baches und später des Flusses bleiben, aber sich gleichzeitig vor anderen Reisenden verstecken. Hätte sie sich dem Mann und der Frau zu erkennen gegeben, wären ihr nicht nur die Vorräte abgenommen worden, nein, schlimmer, ihr hätte das Schicksal der Frau geblüht. Sie würde auf dieser Reise niemandem außer sich selbst vertrauen.

      Sie erlangte rasch Reiseroutine. Wann immer sie konnte, nächtigte sie auf Bäumen oder in Dornendickichten, aber niemals in Höhlen, denn die wurden, wie sie von Maksim wusste, von reisenden Vampiren genutzt, um Schutz vor der Sonne zu finden. Sie hatte es sich angewöhnt, regelmäßig stehen zu bleiben und zu lauschen, um sicherzustellen, dass sie nicht unvermutet auf andere Reisende traf. So umging sie zwei Gruppen von Menschen, Gestalten in abgerissenen Kleidern und mit eingefallenen Gesichtern, die sich nordwärts quälten.

      Als der Bach in den Fluss mündete, traf sie auf einen schlammigen Weg mit unzähligen Stiefel- und Hufabdrücken. Es war mühselig, ihn zu umgehen, ohne den Fluss zu verlieren. Einmal bewegte sie sich auf der Kante einer Hochebene, in die der Strom eine tiefe Schlucht gegraben hatte. Der Weg hatte sich zu einem schmalen Streifen zwischen dem Wasser und den mit Efeu und Moosen bewachsenen Felswänden verjüngt. Wäre sie ihm gefolgt, hätte sie anderen Reisenden nicht ausweichen können. Also war sie nach oben geklettert. Die Hochebene erwies sich als felsiges Plateau mit vielen Spalten, aus denen vom Wind gebeutelte Sträucher wuchsen, und über die man sich zwar vorsichtig zu Fuß, aber nicht zu Pferd bewegen konnte. Sie bezweifelte, dass jemand hier unterwegs war. Trotzdem war sie froh, als sich die Schlucht kurz vor Sonnenuntergang zu einer bewaldeten Ebene zwischen den Bergen weitete,