Tenderbilt. Martin Cordemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Cordemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595755
Скачать книгу
sehr hübsch. Aber es schien niemand in diesem Dorf zu leben.'

      'Das ist richtig, es leben nur Niemands in diesem Dorf.'

      'Ich meine, es war verlassen', fuhr ich auf. 'Fast, als wäre die Bevölkerung geflüchtet!'

      'Ich denke, das kann ich erklären. Noch einen Drink?' Ich verneinte, meine feuchte Hose betastend. 'Die Familie Fendergast gilt als verrückt. Ich verstehe nicht ganz, warum, immerhin hat man bei uns im Garten noch keine einzige Leiche gefunden.' Er lächelte hintergründig und fügte hinzu: 'Wir schicken sie immer ins Dorf. Wo war ich? Ach ja, naja, jedenfalls glaubt man, wir seien verrückt, was natürlich nicht stimmt.' Er lachte irre und begann, mir einen Krug Wein über die Hose zu gießen. Ich fuhr zurück.

      'Ich kann die Leute im Dorf verstehen.'

      'Das glaube ich kaum. Sie sprechen nur Gälisch!'

      Ich verstand ihn nicht, aber es schien nichts Gutes zu verheißen. 'Danke für die Drinks', sagte ich. Ich hatte genug, mochten die Leute doch fliehen, auch ich wollte nicht länger hier bleiben.

      'Junger Mann, Sie haben das Haus betreten, Sie denken doch nicht, dass Sie so einfach wieder herauskommen?' Graf Fendergast grinste.

      'Sie sind ja wahnsinnig.'

      'Das stimmt. Ich war mal Priester, wussten Sie das?'

      Als ich die Tür fast erreicht hatte, trat mir der Butler, mit einem Schwert bewaffnet, in den Weg. 'Sie wollen schon gehen?' fragte er. Er öffnete mir die Tür und ich landete im Kerker. An der Luke erschien das Gesicht des Grafen, der wie irre lachte und fragte: 'Wollen Sie wissen, warum das Dorf leergefegt ist?'

      'Weil Sie alle Bürger umgebracht haben, nehme ich an', mutmaßte ich.

      'Nein. Wir haben heute in Schloss Moorbold eine Familienfeier und Fendergasts aus ganz England kommen zu Besuch!' Das erklärte alles."

      Im Verlauf des Romans treten noch diverse Fendergasts auf, die sich alle als durch die Bank weg irre erweisen, was sich bei ihnen in Gewalt äußert. Philippe Fendergast macht den Erzähler zu seinem Diener, da der alte durch ein Ungeschick eines Verwandten stirbt – er hatte einen Trick aus einem Varieté probieren und ihn durchsägen wollen, was letztlich fehlschlug. Als Butler lernt er endlich die seit langem gefangen gehaltene Tochter Philippe Fendergasts, Juliane, kennen, sie verlieben sich ineinander und er befreit sie aus den Händen des verrückten und brutalen Grafen, der am Ende zusammen mit seinem Schloss und seinem Wahnsinn verbrennt, während die beiden eine glückliche Existenz aufbauen, was jedoch nur angedeutet wird..

      Angebliche Fachleute, die sich nicht in der Materie auskennen, behaupten, in Werken wie Bram Stokers "Dracula" oder diversen Frankensteinerzählungen handle es sich ebenfalls um eine Bearbeitung des Tenderbilt-Stoffes, doch man habe die Geschichte [Draculas] angeblich absichtlich nach Transsylvanien verlegt, um sich vor einem Prozess zu schützen. Dies ist natürlich völliger Schwachsinn. So verrückt die Tenderbilts auch gewesen sein sollen, sie waren, von einer Ausnahme einmal abgesehen, nie brutal, sondern im Gegenteil eher sanft, doch von einem eigenwilligen Sinn für Humor bestimmt. Behauptungen, sie haben Blut getrunken, erweisen sich dagegen als völlig unhaltbar. Auch wer sagt, die Tenderbilts haben ein Monster geschaffen, sollte sich lieber an die eigene Nase fassen und nach seiner Herkunft fragen. Durch derlei pseudowissenschaftliche Ergebnisse und Gerüchte lässt sich der immer schlechter werdende Ruf der Tenderbilts erklären.

      Kapitel 4

      "Spreche ich mit Frederic Tenderbilt?" Da er sich mit seinem vollen Namen gemeldet hatte, hielt er die Frage für ziemlich dumm und überflüssig. Die Erklärung kam sofort: "Hier spricht Polizeichef Quarreling."

      "Was kann ich für Sie tun?"

      "Liefern Sie mir Ihren Sohn aus, auf der Stelle."

      "Meinen Sohn?" Frederic schwante schlimmes.

      "Er hat sich eines schlimmen Vergehens... äh, vergangen! Sagen Sie mir, wo er ist. Ihr Haus ist umstellt."

      "Er ist nicht hier. Wie haben Sie denn das Haus umstellt?"

      "Das ist mein Problem. Wo ist er?"

      "Das... weiß ich nicht." Er hatte nur eine bestimmte Ahnung. "Was hat er denn getan?"

      "Das ist auch mein Problem."

      "Haben Sie Beweise?"

      "Das ist mein Problem. Wo ist er?"

      "Das ist Ihr Problem!"

      Auf einem seiner Streifzüge durch das Dorf und seine Umgebung lernte Sir Henry Tenderbilt die junge Adelheit kennen. Adelheit, geborene Braunwald, befand sich mit ihrem Vater Hannes und ihrem Verlobten, einem jungen Mann namens Andreas Hellberger, auf einer Reise durch England. Ihre Muter war vor wenigen Monaten an der Pest gestorben, vor der sie sich nach England geflüchtet hatten. Die drei speisten gerade in einem Gasthof, als Henry mit einem lauten "Heyheyhey" eintrat und sich einen doppelten Scotch bestellte. Mit seinem Getränk nahm er am Tisch der Reisenden Platz und begann zu erzählen: "Tag. Sind Sie aus der Gegend? Habe Sie noch nie hier gesehen. Ausgezeichneter Whisky. Nettes Mädchen. Gehört Sie zu Ihnen?" Dann, als keine Resonanz auf seine Bemerkungen kam, machte er noch ein paar anzügliche Sprüche. Dummerweise suchte er sich dafür Andreas Hellberger aus, der ein hoch dekorierter Soldat und als solcher gefürchtet war. Sogleich zog er seinen Degen, Henry eine Flappe und so schnell es ging wieder ab.

      Wie kam es aber, dass Henry Adelheit ehelichte? Selbstverständlich ist es nach dieser kleinen Episode verwunderlich, da Henry in einem Duell sehr wahrscheinlich den Kürzeren gezogen hätte. Aber er war schnell und Andreas Hellberger erreichte ihn nie. Die kleine Gruppe zog weiter durchs Land. Durch seine soldatische Art erweckte Andreas Hellberger oft Aufmerksamkeit und Spott. Es kam oft zu Duellen. Die wenigsten verlor er. Zufällig traf Henry in einem anderen Gasthof auf die um ein Drittel dezimierte Reisegruppe und sprach die junge Frau an, schüchtern, wie er immer gewesen war: "Guten Abend, junge Frau. Mein Name ist Sir Henry Tenderbilt (er wurde erst viel später geadelt), ich stamme hier aus der Gegend, möchten Sie mich heiraten?"

      Aus der Familienchronik:

      "Henry Tenderbilt war ein Aufschneider. Wie alle anderen Tenderbilts war er feige. Schon im Alter von 16 Jahren legte er sich einen Adelstitel zu, nannte sich 'Sir Henry'. Später, als man ihn dann tatsächlich zum Ritter erhob, lachte er nur und sagte: 'Ich habe es euch doch immer gesagt!' Von da an nannte er sich 'Lord'."

      In einem deutschen Geschichtsbuch, das etwa 1945 aus dem Verkehr gezogen wurde, wurde tatsächlich ein Soldat namens Andreas Hellberger erwähnt. Man sagt über ihn, dass er von hoher Gestalt gewesen sein soll, das Haar stets kurz geschoren trug und leicht zu einem Duell zu bewegen war. Kurz vor seiner Heirat soll er nach England gereist sein, wo er infolge eines hinterhältigen brutalen Mordes ums Leben gekommen sein soll. Ob Adolf Hitler in einer Rede gesagt haben soll: "Jeder Deutsche soll sich ein Beispiel nehmen an dem Hellberger Andreas und niemand soll so heimtückisch ermordet werden wie er!!!" kann von Historikern nicht bestätigt werden, etwas Ähnliches wird aber nicht ausgeschlossen.

      Als sich die Zellentür hinter Teddy Tenderbilt schloss, nahm niemand an, dass er einmal eine bedeutende und nicht unwichtige Persönlichkeit werden würde. Wie konnte man auch annehmen, dass dieser Spross der Tenderbilts, der erste Tenderbilt, der im Gefängnis landete, der erste Tenderbilt, der nicht schnell genug gewesen war, um dem Fortschritt zu entkommen, einmal den Namen Tenderbilt groß schreiben würde? Benedict murmelte, dass es gut war, dass es keine Duelle mehr gab, "sonst hätten wir den kleinen schon verloren!" Nichts davon konnte verhindern, dass Teddy stinksauer war.

       Im ganzen Land gab es niemanden, der nicht vor dem bösen Ritter Angst hatte, Zu recht, denn kaum einer, der den Ritter je zu Gesicht bekommen hatte, weilte heute noch unter den Lebenden. Nicht einmal Kranke, Alte oder Kinder verschonte er, was ihm allgemein seinen schlechten Ruf eingebracht hatte. Sah man auch nur von weitem eine Gestalt, die dieser böse Ritter sein konnte, verließ man Haus und Hof, ließ die, die nicht laufen konnten zurück und versteckte sich in den Wäldern. Viele kleine Gauner gelangten auf diesem Weg zu Reichtum, während