Tenderbilt. Martin Cordemann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Cordemann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748595755
Скачать книгу
in der er diese Brote anbot, denen er den Namen Vittoris gegeben hatte. Die damalige Königin Elisabeth 00VII soll sogar an einem solchen Sandwich gestorben sein, während eine andere Legende behauptet, Fortinbrass habe eine Schlacht nur deswegen gewonnen, weil er ein solches Brötchen in seinem Beutel getragen habe, als ihn ein feindliches Schwert an eben dieser Stelle treffen sollte. Er erschlug darauf sofort den Gegner und überlebte, dank des Vittoris. Als sich jedoch eines Abends ein Gast darüber beschwerte, das Vittoris (Vittorio di Calbrizzi hatte einige Probleme mit der englischen Sprache) sei vom vorangegangenen Tage, meinte Vittorio, er solle doch in den Regen ziehen. Da sein Sprachproblem bestand, wurde allgemein Degenziehen verstanden, was Vittorio zwar nicht ganz verstand, als Italiener aber durchaus abzuwenden wusste. Vorsichtshalber erschlug er auch die anderen Gäste des Lokals, schon damals galt es, sich Augenzeugen vom Leib zu halten. Nach diesem unglücklichen Zwischenfall entzog man ihm dann seine Lizenz und er musste aus London wegziehen, zumal einige Verwandte der Opfer seiner Speise und Sprachkenntnisse ein reges Interesse an ihm hatten, beziehungsweise an seinem Kopf. Stefano di Calbrizzi zog es vor, diesen Vorfahren nicht zu erwähnen, dessen Frau einmal einen lebenden Frosch serviert haben soll. Der Gast war ein Franzose und sie sagte, in Frankreich sei so etwas doch üblich, sie habe ihm nur eine Freude machen wollen. Diese Geschichte ereignete sich etwa ein Jahr nach ihrem Umzug aus London, doch der Franzose verstand weder Spaß noch Englisch, wurde jedoch abberufen, bevor er gegen die Frau vorgehen konnte: von Vittorio, der zufällig gerade an diesem Tag sein altes Breitschwert geputzt hatte. Er beklagte sich bitterlich, dass die ganze Arbeit umsonst gewesen sei, ging auf sein Zimmer und begann zu packen. Auch diese Geschichte fand sich in keiner der Chroniken, die Stefano di Calbrizzi über die Familie Tenderbilt schrieb.

      Kapitel 3

      Benedict Tenderbilt lag auf dem Rasen neben den Rosen und atmete die Luft tief in sich hinein. Ein herrlicher Sommer. Er lächelte breit und rollte sich auf die Seite, um besser sehen zu können. Es war ein phantastischer Anblick. Sanft bestrahlte sie die Sonne, zeigte sie in all ihrer Schönheit, in all ihrer unschuldigen Sanftheit, die sie erst Lügen strafte, wenn man sie berührte, langsam mit dem Finger an ihr entlang glitt. Er liebte es, im Garten zu liegen und sie anzusehen. Was gab es Schöneres? Er wusste es. Sie zu berühren. Müde öffnete sie ein Auge und sah ihn fragend an, Benedict lächelte. Sie hatte schöne Augen, das kam noch hinzu.

      "Was denkst du?" fragte sie.

      "Ich denke über deine Schönheit nach."

      "Hast du keine anderen Sorgen?"

      Im Moment hatte er keine anderen Sorgen, nein, im Moment gab es da nur sie und die Rosen. Und in diesem Fall zog er sie den Rosen vor, was er jetzt auch tat.

      "Kann ich meinen Großvater sprechen?"

      "Natürlich, junger Herr." Maximilian Hawellshim, Butler im Hause der Tenderbilts, schloss sanft die Tür hinter Teddy, welcher ihm dann zum Studierzimmer Benedicts folgte. Wie würde der Alte wohl auf seine Geschichte reagieren?

      "Teddy?", man konnte förmlich hören, dass er den Namen nicht mochte. "Was führt dich denn hierher?" Benedict erhob sich ohne Probleme aus seinem Stuhl und ging auf Teddy zu. "Nein, sag nichts. Ich kann es mir denken. Bist du ein Opfer deines Blutes geworden?"

      "Wie meinst du das...?"

      "Was möchtest du trinken? Cola, Wasser, Scotch, Tee?"

      "Scotch, bitte."

      Benedict lächelte. "Also bist du ein Opfer deines Blutes geworden."

      Berühmte Wissenschaftler fast aller Gattungen beschäftigten sich mit der Familie Tenderbilt. Astrologen berechneten ihre Aszendenten, Dentisten ihre Brücken, Mathematiker ihre Quotienten, Botaniker ihre Akazien und vieles mehr. Ein berühmter Architekt fand heraus, dass Haus Senkmoor nach dem gleichen Prinzip gebaut sei, wie die Golden Gate Bridge in San Francisco, von unten nach oben. Später stellte sich heraus, dass gerade dieser Architekt sich in den Parkanlagen eines nahe gelegenen Sanatoriums vor kleinen Mädchen schamlos entblößte, was ihn seine letzte Glaubwürdigkeit kostete.

      Die verschiedensten Experten versuchten, sich über die Tenderbilts klar zu werden, was von Seiten der Familie immer mit einem spöttischen Auge beobachtet wurde. Selbst in den Schriften Siegmund Freuds findet sich etwas über seinen Zeitgenossen Francis Tenderbilt:

      "Der menschliche Verstand ist für uns alle ein Mysterium. Da gibt es zum Beispiel diesen Engländer, der über einen bemerkenswerten Verstand zu verfügen scheint und dennoch von den Menschen in seinem Nachbardorf als verrückt bezeichnet wird. Wie ist es also möglich, dass so ein Goj gleichzeitig unheimlich klug und auch verrückt sein kann?" (Auszug aus: 'Unveröffentlichte Gedanken' von Siegmund Freud, Pellberg Verlag, Iselhofen 1952)

      Freud versuchte, dieses Phänomen mit einer Theorie über Sex zu klären, scheiterte jedoch und verlagerte seine Untersuchungen, die ihn zur Erstellung seines Ich-Über-ich-Es-Schemas brachten.

      Ein weiterer Hinweis darauf, dass Francis Tenderbilt zu dieser Zeit eine ausgedehnte Europareise machte, wird in dem Roman des Spaniers Fernando Mallorcio gesehen, dem er den Titel "Mann im Wahn" gab, der jedoch nicht mit Charles Bronson in der Hauptrolle verfilmt wurde.

      "Die Stadt lag verlassen da. Es musste einen Grund dafür geben. Ich fuhr langsam bis zu der großen Kirche, dort hielt ich und kurbelte das Fenster herunter. In der Ferne konnte man das Zwitschern der Vögel vernehmen. Kein Motorengeräusch, kein Auto auf der Straße, keine spielenden Kinder, kein Leben. Was mochte in dieser Stadt passiert sein? Langsam fuhr ich weiter. An der nächsten Kreuzung funktionierte die Ampel nicht. Ob diese Stadt verhext war? Es war das erste Mal, dass ich in England war, zwar beherrschte ich die Sprache ohne Schwierigkeiten, doch wusste ich nicht, ob dies ein besonderer Feiertag war. Als ich am vergangenen Abend losgefahren war, schien alles ganz normal zu sein, in England. Neben der Straße sah ich einen Wegweiser. 'Castle Moorbold' stand darauf zu lesen, und: '5 Meilen'. Ich war nach England gekommen, um mich mit Land und Leuten vertraut zu machen, etwas zu lernen und vor allem auch die alten Schlösser und Castles zu sehen. Ich kurbelte das Fenster hoch und fuhr in die angegebene Richtung. Unterwegs sah ich keinen einzigen Menschen.

      Das Schloss war groß, aber in keiner Weise unheimlich. Während ich die Auffahrt hinauffuhr, fiel mir etwas Eigenartiges auf. Ich wusste nicht, was mich an dem Anblick störte, was nicht hineinzupassen schien. Irgendetwas stimmte nicht, das wusste ich sofort. Vor dem Portal brachte ich meinen Wagen zum Stehen und stieg aus. Vor mir erhob sich die Fassade dieses Schlosses und dann wusste ich, was so auffällig war: im ganzen Schloss brannte Licht. Noch bevor ich mich ganz damit hatte abfinden können, wurde das Portal geöffnet und ein kleiner, fein gekleideter Mann trat heraus, er musste einer dieser berühmten englischen Butler sein.

      'Kann ich etwas für Sie tun' fragte er.

      'Ich kam gerade durch die Gegend und wollte mir mal das Schloss ansehen', stotterte ich.

      'Kommen Sie doch bitter herein, der gnädige Herr hat es gerne, Besuch um sich zu haben. Es bereitet ihm ein diebisches Vergnügen', fügte er noch hinzu, dann führte er mich hinein. Die Eingangshalle was riesig, man hätte dort bestimmt zwanzig von meinen Wagen unterstellen können. Der Butler führte mich in einen Saal, in dem eine große Tafel aufgebaut war. Am Ende dieser Tafel saß ein Mann.

      'Wen haben wir denn da?' rief er durch den gewaltigen Raum.

      'Ein Fremder, Sir.' Der Butler deutete mir an, weiterzugehen, während er sich zurückzog.

      'Guten Tag, Sir', rief ich

      'Kommen Sie doch näher, junger Mann.'

      Es handelte sich um einen großen Mann, ein dünner Schnurrbart zierte seine Oberlippe und er hatte ein leicht irres Grinsen. Er stellte sich mir als Graf Philippe Fendergast vor. Als ich mich gesetzt hatte, bot er mir einen Drink an, den ich dankend annahm. Er goss ihn mir über die Hose.

      'Niemand hat etwas von trinken gesagt', meinte er grinsend.

      Mich noch nicht ganz von meinem Erschrecken erholt habend, fragte ich: 'Ich bin eben durch dieses kleine Dorf gefahren.'

      'Hat