Die Stuntleute fahren nun mit ihren schäbigen Autos auf zwei Reifen und stellen so den Wagen seitlich auf. Erneut beginnt dieses Spektakel: Sie starten sich gegenüber sehend. Fahren los, richten ihre Fahrzeuge seitlich auf und passen eben nur so seitlich auf zwei Reifen fahrend aneinander vorbei durch den schmalen Pfad, der ihnen für das Passieren in der Mitte des Schaufeldes bleibt. Jeder ist letztlich am Platz des anderen angekommen und die Autos stehen wieder auf ihren vier Rädern. „Wow!“, die Menge stürmt Beifall. Es folgen harte U–Turns und letztlich stemmen die Reifen Donuts bis Rauch aufsteigt. Der Gipfel, den Männer hier scheinbar wollen!
Als Beobachterin komme ich mir nicht so fehl am Platz vor, wie es in Kuba der Fall war. Ich erliege dem Schauspiel auf andere Art, es ist doch so simpel eine Horde Männlichkeit zu begeistern. Lächelnd betrachte ich Sid, er hält das Absperrband und wankt damit hin und her, dennoch ist er ganz im Bann der Motoren. Stolz überkommt mich, als Mutter. Meine Jungs, sie haben ihre Interessen, sie sind begeistert, sie sind einfach meine Jungs!
John ergreift mich kurz von der Seite, drückt mich an sich, das gefällt mir, hat er schon lange nicht mehr getan. „Weißt du noch, wie du den U–Turn mit Richy geübt hast?“ „Und bestimmt kann ich’s noch!“, kreische ich begeistert im Donutfieber zurück. „Was? Mami kann einen U–Turn?“, schnappt Sid gleich auf. „Eure Mum kann viel, was andere Mamis nicht können, ein Grund mehr, warum ich diese Mami wollte!“, zwinkert mir John zu. „Cool!“, scheinbar Aarons neues Lieblingswort.
Die Sonne ist mittlerweile – obwohl es erst Frühling ist – erbarmungslos. In meinem kleinen Rucksack stecken sämtliche Jacken und Langarm–Shirts, zwei kurze T–Shirts draußen fordern von mir nun ein Eis ein. Berechtigt – finden John und ich. Neben der Bühne lassen sich Aaron und Sid im Schatten eines großen Sonnenschirms auf einer Holzbank nieder. Eine blonde Kurzhaarige am Schlagzeug fasziniert beide. Viele Tatoos an den unbedeckten Armen, John kann seine Meinung dazu kaum verbergen: „Na ihr werdet schon noch draufkommen, was im Leben wirklich zählt!“, wendet er sich um, um die Motorräder weiter zu betrachten.
Nach einem grandiosen Tag fallen die Kinder in unserem kleinen, eigenen Apartment in die Betten.
Es ist kühl, aber nicht kalt, John und ich wollen noch auf unserem Balkon den Sternen lauschen. John holt den Wein und Gläser, da rauscht eine Nachricht von Sonja rein, lauter Unterlagen, viele Infos, ich will nicht, nicht jetzt. Meine Hand greift nach dem Ding, schaltet ab und bringt es nach drinnen. John hält mir die Gläser hin und meint: „Nimm die schon mal, ich hol dir noch was Warmes.“
Es dauert nicht lange und John legt mir ein warmes Fleece um, schenkt uns Wein ein und hebt sein Glas. „Auf unser kleines Reich, hier in Italien, es ist meine eigentliche Heimat“, ist mein Mundwerk wieder schneller, aber mein Verstand kann sich damit arrangieren.
Wir nippen und Lambrusco umspielt meine Gedanken!
„Weißt du noch, als Aaron zur Welt kam?“, beginnt John plötzlich ein anderes Gespräch. „Ja, es war fast hier in Triest! Und wir hatten einen schnellen Wagen, Gott sei Dank!“
Eine meiner vielen Erinnerungen an diese Stadt. Aaron kam Anfang Oktober zur Welt und wir waren damals noch Ende September hier, es war einfach herrlich, diese Ruhe vor dem Sturm einer Geburt. Nur, dass Aaron vorzeitig nicht mehr gefangen sein wollte, viel lieber das Meer sehen wollte, als mit mir darin zu baden, damit hat keiner gerechnet. „Ich will nicht wissen, wie das ausgehen hätte können. Hast du das schon mal wem erzählt?“, will John wissen. „Nein, wem denn, du etwa?“, gebe ich zu. „Nicht direkt, aber indirekt vielleicht.“ Die Ärzte in Italien waren nett, aber mit der Situation, die schwieriger war, als sie zunächst schien, leicht überfordert. John und ich beschlossen damals nicht mit dem Rettungswagen zurück nach München zu fahren, er würde in Etappen, ohne Arzt, nur mit Sanitäter von einem Stützpunkt zum nächsten bummeln.
Alles oder nichts, unser Motto: Via Handy mit dem Arzt meines Vertrauens auf Abruf bereit fuhr John so schnell wie nötig und so ruhig wie möglich. Einzelheiten habe ich ihm bis heute nicht erzählt, ich schmunzle und ergänze: „Und jetzt ist das schon über zehn Jahre her und für mich dennoch, als ob es gestern war!“ Wir küssen uns, verliebt und stolz. Wir.
„Viel verbindet uns mit Italien – nicht?“, frage ich in die Nacht hinein. „Ja, unser erster gemeinsamer Urlaub, er war hier. All die sportlichen Errungenschaften, hatten hier ihren Ursprung“, erinnert sich John. „Heimat, ist der richtige Ausdruck, nicht wahr?“, genieße ich den Abend. John ist still, er überlegt. Woran er wohl denkt? „Was denkst du?“, will eben mein Mund einfach wissen.
„Meine Heimat, sie ist wohl Mitteleuropa, meine Eltern vom Geschehen in England getrennt, der Umzug nach Deutschland, der Zweitwohnsitz hier in Italien…“
Getrennt durchfährt meinen abendlichen Genuss. Johns Eltern waren einige Jahre getrennt, ich weiß. Sie fanden sich wieder, warteten wirklich in den Jahren der Trennung aufeinander und alles, weil die Politik ihre Macht zeigte? Macht! Abscheulich und wichtig zugleich.
„Würdest du auch – so wie deine Eltern – warten?“, frage ich John und er weiß, was ich meine. „Angie, ich will dein Netz sein, also ja, ich würde warten, wenn es sich auszahlt“, sogar darüber hat er nachgedacht, erkenne ich jetzt.
„Schau!“, ergreift mich John hastig, „eine Sternschnuppe!“ „Oh, die hab ich nicht gesehen, schnell wünsch dir was, aber sag’s mir nicht!“, fordere ich von John wie ein kleines Mädchen.
Versunken in einer früheren Vergangenheit schwelge ich gerne mit dem Vater meiner Kinder in unseren Träumen weiter. Die einen haben sich erfüllt, andere nicht, dafür haben sich Dinge erfüllt, von denen wir nicht zu träumen wagten. Das Leben – irgendwie einfach.
Enorm gut schlafe ich diese Nacht.
Erwacht vor allen anderen, stöpsle ich mir Musik in meine Ohren, um schnell früh hier wie in alten Zeiten eine Runde zu drehen. In der Hoffnung mit meinem Freund dem Laufen eine Entscheidung für meine Zukunft zu finden, schnüre ich meine Schuhe besonders fest. Mein Verbündeter? Klar ich hoffe auf Gianna Nannini, mein Favorit gerade hier. Doch es meldet sich überraschend ein anderer Ton:
(Help!)– I need somebody, (Help!)– Not just anybody, (Help!)– You know I need someone, (Help!) –(When) – When I was younger, (When I was young)– So much younger than today,…
Was ist jetzt wieder verstellt, überlege ich während meine Schuhe schon laufen. Wer hat hier seine Finger im Spiel gehabt? Mein erzürnter Gedanke, doch dann mit jedem Wort hör ich hin und will verstehen!
(I never need) –I never needed anybody's help in any way, (Now) – But now these days are gone. (These days are gone) –I'm not so self–assured. (And now I find) – Now I find I've changed my mind. And opened up the doors – Help me if you can; I'm feeling down – And I do appreciate you being 'round. Help me get my feet back on the ground – Won't you please, please help me?
Schwer mein Schritt, so wie die Lösung meiner Gedankenknoten. Die Beatles, mal ganz etwas anderes, sie bringen mich auf Ideen? Heiß, so heiß schon so früh hier in der Sonne, ich renne im tiefen Sand, meine Füße sträuben sich, wogegen?
(My life has changed) – Changed in oh, so many ways(My indepen) – My independence seems to vanish in the haze – (But) – But every now and then – (Now and then)I feel so insecure – (I know that I) – I know that I just need you like – I've never done before…
Blöde Ideen! Keine Lösung: zwei Männer, wäre doch eine Idee? Oder auch die Lösung?
Es ist verflixt, ich will keine Trennung, aber auch nicht weiter wie bisher. Ich bin doch nicht normal! Naja, Sonja würde mir lachend beipflichten, das habe sie schon früh erkannt. Ich haste mich bis zur Mauer, die diesen Strand beendet. Hinter dieser Mole