Roger Hodgson
„Rites of Passage” (1997)
Sänger weg, Gesicht verloren: Supertramp verharrten nach Roger Hodgsons Demission zehn Jahre in Duldungsstarre. Wohl ein Fehler. Denn das neue Album der Band ist ein gutes Album. In seiner Glätte, dem gemütlichen Tempo und den vielfältig glitzernden Sounds erinnert es an Donald Fagens Meisterwerke. Geprägt von Rick Davies’ Wurlitzer-Sound trabt der Supertramp-Pop dahin – gelassener als einst, funkiger, gerader und ziemlich cool. Roger Hodgson aber, der nun schon zum dritten Mal parallel zu den alten Kollegen ein Album vorlegt (honi soit …), klingt nur vokal halbwegs wie früher. Seine Live-CD ist zwar folkig elegant, aber auch etwas langweilig. Er wird von den Kumpels – trotz „Logical song“ – deutlich geschlagen.
Savage Rose
„Black Angel” (1997)
Sie ist ein Rehkitz, das sich in die Dornen verirrte und sich wieder freigekämpft hat: Annisette, die Dänin mit der Babystimme, die den Blues hat. Sie singt Songs von Thomas Koppel, und gemeinsam sind sie Savage Rose, eine fast 30-jährige mythische Band, deren altes Vinyl zu Fantasiepreisen gehandelt wird. Mit dem sensationellen Comeback „Black Angel“ überführt das Duo seinen Blues in die sanften Soulgrooves der 90er. Das klingt nicht wie das bemühte Hipsein alter Säcke: So sind sie eben heute. Und wenn es gar zu smooth zu werden droht, ist da immer noch Annisette, das Rehkitz. Es hat blutige Striemen im Fell.
Sofa Surfers
„Transit” (1997)
Bei den Sofa Surfers rumpeln die Drums hypnotisch wie bei einer Voodooprozession, und wären da nicht die diversen Elektronika und Fuzzgitarren, wir wähnten uns in einer bizarr von Fackeln durchblitzten Nacht auf Haiti. Dabei ist alles ganz harmlos: Die Surfers bestehen aus zwei Wolfgangs und einem Markus und kommen aus Wien, wo zur Zeit die hipsten Elektrosounds gebastelt werden. Doch anders als Kruder/Dorfmeister halten sie Dub und Funk für Yin und Yang und sich selbst einen manischen Drummer, der von jedem Beatloop erst mal bewiesen haben will, dass der ihn schlagen kann. Kann er natürlich nicht. Drum groovt das Album auch so pechschwarz vor sich hin, wie der Drum-&-Bass-Szene vor Augen wird, wenn sie dieses Werk zu Ohren kriegt – ob in Haiti oder Wien.
Son Volt
„Straightaways” (1997)
Ja, in Jay Farrars sehnsuchtsvollem Gesang findet die empfindsame Männlichkeit des Alt.Country zu sich selbst. Die Musik von Son Volt, den Nachfolgern von Uncle Tupelo, hält oft inne; wenn sie den schnellen Countrytakt anstrebt, schafft sie es nur bis zum gemächlichen Trab. Nein, diese Platte versetzt uns unversehens auf eine Veranda im Death Valley, wo der Wind von einem ächzenden Fön zu kommen scheint, der gleich schlappmacht. Und die Geschichten, die wir hören, erzählen nicht von jenen Helden, die das Todestal besiegten, sondern vom Zweifel und vom Scheitern, von der Metaphorik schäbiger Motels und der Größe der Landschaft. Dies ganz ohne Pathos, doch voll heldenhafter Wehmut – der Marlboro-Mann auf dem Weg zu seiner Therapeutin. Dabei hat er gar kein richtiges Problem.
Swop
„Freelax” (1997)
Swop, ein Hamburger Groovekollektiv um das Trio Max III (dr, p), Acha Dag (g) und Dumisani Mabaso (perc), entwickelt auf dem zweiten Album eine hypnotisch kreisende Funkjazzspirale, die uns einspinnt, ohne uns die Luft zu nehmen. Unterm Einfluss dieser synthielosen, afroamerikanisch-algerischen Softdroge werden wir leicht wie auf dem Mars und landen irgendwann in einem kalifornischen (oder tunesischen?) Nachtclub der 70er, wo Farbkreise über die Wände flackern, ein Ventilator sein Werk so sachte tut, dass kein Hauch sich regt, das Leben leicht ist und der Sound dunkel. Und dann treibt uns bei diesem staubtrockenen, statischen TripJazz der Kopf weg. Aber gaaaanz langsam.
Terry Callier
„TimePeace” (1997)
Terry wer? Callier hat seit den 60ern einige Alben eingespielt, die keiner mehr kennt. Die letzten 15 Jahre entzog er sich dem Business ganz, erzieht seither sein Kind allein und schreibt Software. Was musikalisch gesehen bitter schade war, nimmt man die Songs auf „TimePeace“ zum Maßstab. Denn der alte Bock Callier katapultiert sich mit Hilfe des englischen Acidjazz-Labels mitten hinein ins Hier und Jetzt. Der Mann ist ein Sänger und Songwriter von einsamer Klasse, ein missing link zwischen John Martyn, Scott Walker, Tim Buckley, Galliano und frühem Van Morrison. Wesentlich getragen von Akustikgitarre und bundlosem Bass erschließt er uns ein Traumland zwischen Folk und Soul, Jazz und ChaChaCha, dessen entspannte Intensität Geschichte machen wird. So sehr schwebt dieses grandiose Album zwischen allem, dass es seinen ganz eigenen Ort hat. Und wenn man genau hinsieht, kann man in der Ferne schon das Hochplateau des Olymp erspähen.
The Furthurs
„From the Wells of Disappointment” (1997)
Kölner in New Jersey, rheinische Frohnaturen auf den Spuren uramerikanischer Melancholie – geht das? Das geht. In schleppender Melancholie durchschlurfen die Furthurs ihre musikalische Vision von Amerika, dunkle Farben hüllen die Stimme von Kurt Kreikenbom ein, der immer etwas abseits im Klangraum steht, als sei er zu scheu, um an die Rampe zu treten. Doch es geht um Konzentration, um einen deutschen Traum von Amerika, den auch FSK träumen, doch nicht so versunken und auf so schöne Weise unheilvoll – wie das malerische Panoramabild des Technicolorstädtchens Bodega Bay in Hitchcocks Film „Die Vögel“. Wir wissen, was passieren kann – später.
The Grassy Knoll
„Positive” (1997)
Nehmen wir das Sirren der Gleise, wenn die U-Bahn sich nähert, nehmen wir den Glanz, mit dem sich das Morgenlicht im Smog verliert, nehmen wir den Zusammenklang der Hupen und Stimmen vor allen roten Ampeln der Stadt, nehmen wir den Typen mit dem Saxofon an der Ecke und das Klimpern der Münzen in seinem Hut. Nehmen wir die Art, wie sich eine aufsteigende Dieselwolke zum Lärm des Motors verhält. Und nehmen wir, geringer dosiert, die Messer, das Blut, die Angst. Nehmen wir all das und die dampfenden Gullys nach dem Guss und den grauen Strauch auf der Verkehrsinsel und den dicken Kopf nach einer euphorischen Cocktailnacht – und wir haben eine Ahnung vom Klang dieser minimalistischen Großstadtsinfonien, die als Summe dieses Album ergeben, das Bob Green aus San Francisco sich ausdachte. Es ist die Melange aller schwarzen urbanen Jazzstile, geschichtet aus Bläsern, Klavieren und Keyboards und Samples, die er hart aneinanderschneidet wie David Lynch seine Bilder. Und die Gosse und der Glamour: alles groovt.
The Prodigy
„The Fat of the Land” (1997)
Keith Flint sieht aus wie ein junger Marlon Brando, der zum Halloween-Ball will, sich aber in Ken Keseys Kucgucksnest verirrt hat. Sein Outfit taugt zum Startum, aber was hat es mit dieser Musik zu tun? Mit diesen gestörten Breakbeats und Samples, dem postindustriellen Höllenlärm? Wie kann einer haargenau wie ein Rockstar aussehen, aber Musik machen für psychotische Freudianer mit Danceflooralpträumen? Musik voll krächzender Elektronikwildheiten, Stroboskopzuckungen und Raps aus brennenden Mülltonnen? Dass diese Verzerrung und Verschmutzung, diese radikale ästhetische Verweigerung massenwirksam ist, ist die größte Sensation seit Erfindung des Pop. Die Idee vom reinen Ton, hier wird sie diffamiert – in monatelanger Studioarbeit, denn so was herzustellen, bedeutet Mühsal. Prodigys Londoner Endzeitpop wirkt wie die Kakofonie hunderter Abrissbirnen im Zeitraffer. Wenn Musik und ihr Erfolg wirklich etwas sagen über eine Kultur, was bedeutet dieses Album dann für unser Leben – the lunatics have taken over the asylum??? Vielleicht. Und Keith Flint ist der neue Direktor.
The Rolling Stones
„Bridges to Babylon” (1997)
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