Verschiedene Künstler
„Looking East – Elektronik aus Ostdeutschland” (1991)
Elektroniker hatten es in der DDR immer schwer, waren doch die erforderlichen Gerätschaften zu teuer oder überhaupt nicht lieferbar. Jetzt konnten die Ostdeutschen in Ulrich Rützels Erdenklang-Studio an modernstem Equipment ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Und höre da: von Entwicklungsrückstand keine Spur, im Gegenteil. Geradezu erfrischend, welche Vielfalt etwa Rainer Lakomy an den Tag legt, wenn er einerseits in naiver akustischer Malerei die Schönheit des Nanga Parbat beschwört, sich andererseits mit „Ein gotischer Fall“ gar in die Nähe konkreter Musik vorwagt. Die Jungs aus dem Osten brauchen sich nicht zu verstecken. Die CD ist übrigens Teil zwei der verdienstvollen Serie „Looking East“, die elektronische Musik des ehemaligen Ostblocks vorstellen will. In Vorbereitung: Bulgarien, UdSSR, Ungarn und CSFR.
1992
„Das Cover der Platte ist in den USA verboten. Mord auch.“
aus der Rezension zu „Torture Garden“ von Naked City
Allman Brothers
„Live at the Fillmore East/An Evening with Allman Brothers Band” (1992)
Die Allmans sind so ziemlich die stursten Hunde, die ich kenne. Seit 23 Jahren segeln sie mit einem Haufen Gibson-Gitarren, zwei Drumsets und Hammondorgel durch den begrenzten Kosmos des Southernrock und haben nicht das geringste Interesse an neuen Sounds. Doch was bei anderen zu monotoner Langeweile verkommt, steht bei ihnen für Kontinuität der Brillanz – vor allem auf der Bühne, wie bereits 1971 das vielleicht beste Konzertalbum der Rockgeschichte, „Live at Fillmore East“, eindrücklich bewies. Damals noch mit dem wenig später verstorbenen Slidegenie Duane Allman als Leitfigur, stellt dieser Meilenstein des Bluesrock – was Kompaktheit, Leichtigkeit, Dichte, Virtuosität und atemberaubende Spielfreude angeht – alles in den Schatten. Das jetzt parallel auf CD erscheinende neuste Werk der Band, „An Evening with …“ , ist erneut eine lange Liveexkursion auf ähnlich hohem Niveau, eingespielt Anfang 1992 in USA, ausgewogen mit altem und neuem, teils akustischem Material gefüllt – und glücklicherweise ohne Überschneidungen mit dem berühmten Vorgänger. Erneut gelingen Gregg Allman, Dickey Betts & Co. die feinmaschigsten Rhythmusgewebe, die hypnotischsten Langstücke, die traumhaftesten Gitarren-Orgel-Duelle. Wirklich sture Hunde.
And Also The Trees
„Green is the Sea” (1992)
Sanfte junge Männer aus England, die ihre Instrumente behandeln, wie sanfte junge Männer (und die weniger sanften auch) ihre Lover behandeln sollten. Doch traurig sind sie, weshalb auch immer; und langsam, fast selbstvergessen – beim Hören sieht man, dass ihre Augen geschlossen sind. Tief und mit einsamem Turnhallenecho wogen die Gitarren, die Keyboards und Streicher, die angetupften Drums. Der gediegene Charme grund- und zeitloser Melancholie. Wer das für dekadent hält, weiß nichts von der Welt, kennt nicht Cure und nicht Joy Division. Ein Album ganz in Moll; trotz produktionstechnischer Schwächen so betörend schön und pathetisch groß, dass das Erwachen aus diesem atmosphärischen Trip ein bemerkenswert schmerzliches ist. Die Band um die Brüder Jones hat ihren Düstersound mit dem fünften Album perfektioniert – zum trägen, sinfonischen Romantikrock, der mit jeder Note um verlorene Paradiese zu trauern scheint. Sehnsucht? Ja – aber nicht nach dem Tod. Denn grün, das wissen wir, ist das Meer nur da, wo es quicklebendig ist.
Bonham
„Mad Hatter” (1992)
Früher waren Söhne anders. Das Tun und Lassen ihrer Väter war ihnen allenfalls Handlungsanleitung fürs Gegenteil. Jason Bonham, Spross des 1980 gestorbenen Led-Zeppelin-Drummers John Bonham, hat derlei nicht im Sinn. In den besten Momenten klingt seine zweite CD „Mad Hatter“ wie ein halbwegs gelungenes Led-Zep-Stück, und Jason trommelt exakt im Stil seines Daddys: abgehackt, nervös und immer auf der Suche nach dem Groove. Dem Sänger David Macmaster wurde offenbar das intensive Studium Robert Plants nahegelegt, während der Bassist sich um exakte Imitation von John Paul Jones’ Sound bemüht. Und verlässt die Band mal die epigonalen Pfade, steckt sie gleich im Mainstreamsumpf fest. Sohnemann Jason sollte sich endlich eine eigene Bude suchen. Und wenn es eine Garage ist.
Bruce Cockburn
„Nothing but a burning Light” (1992)
An die Magie eines guten Songs reicht wenig heran. Bei Bruce Cockburn, dem kanadischen Politpoeten alter Schule, scheint das bezirzende Folksonggerüst auch bei einer teils zehnköpfigen Begleitcombo (wunderbar: Booker T. Jones elegische Orgel) immer durch. Cockburn schüttelt kleine kompakte Liedjuwelen wie selbstverständlich aus dem Ärmel („Mighty Trucks of Midnight“), und er hat genügend Feingefühl, diese Songs vom Produzentengenie T-Bone Burnett in transparente Arrangements packen zu lassen. Böse Satiren oder Gewaltfantasien wie „If I had a Rocket Launcher“ finden sich zwar seltener, doch sein Engagement für die US-Indianer ist ungebrochen. Und an einer Überzeugung hält der widersprüchliche Christ allemal fest: „Actions speak louder.“ Wenn hier auch nur instrumental.
Bruce Springsteen
„Lucky Town/Human Touch” (1992)
Nach langer Pause erfreut uns der Boss mit 24 Songs auf einmal. Neben einigen unnachahmlichen Gassenhauern (etwa „Real World“) gibt es auch Gewagteres: „The Big Muddy“ lässt eine Slidegitarre über beinah gespenstischer Soundgrundierung tänzeln, und beim Anti-TV-Song „57 Channels“ pulsiert eine pechschwarze Basslinie über sphärischem Synthesizer. „Lucky Town“, bei Bruce zu Hause aufgenommen, hat nichts mit der Kargheit von „Nebraska“ gemein, ist aber doch intimer, ländlicher als der urbane Rock von „Human Touch“. Beide bieten wehmutschwangere Balladen und treibenden Telecasterrock – doch der rechte Hitcharakter fehlt. Textlich wird es besinnlich, Macho Bruce scheint im privaten Familienglück seine softe Seite entdeckt zu haben. Zwei kompakte Werke, die man trotz aller gegenteiligen Beteuerungen der Plattenfirma als Einheit betrachten kann. Doch zu Springsteens Geniestreichen gehören sie nicht.
Carter
„1992 – The Love Album” (1992)
Es beginnt mit galoppierendem Technopop, dann untermalt ein verstimmtes Saloonklavier eine Jungmännerstimme, die bald zu pathetischem 70er-Rock eine Menge brennender Fragen stellt („Did Little Red Riding wear a hood? Did the three bears shit in the woods?“). In Song Nr. drei geht nach softem Intro die Computerpost samt Backgroundgitarrensäge wieder ab, und später erwarten uns noch: Heavy-Metal-Bässe, ein Schunkelakkordeon, flotte Rhythmusmaschinen, ironische Kalauer in breitem Cockney („Do re me, so far so good“), endlich gar Pink-Floyd’scher Bombast – kurz: frecher Eklektikpop der witzigen Art, gut konsumierbar und doch mit einigen tückischen Haken und Ösen. Der Durchbruch für Carter, die sich mit dem Abwurf ihres sperrigen Appendix The Unstoppable Sex Machine nunmehr die nötige Aerodynamik für Chartshöhenflüge gesichert haben.
Deep Forest
„Deep Forest” (1992)
Gesampelte Eingeborenenstimmen werden gebettet in friedliche Computergrooves, die Michel Sanchez und Eric Mouqet programmiert haben – jeder Dorfdisco ihren Pygmäen, jau! Aber halt: Ist das nun Kolonialismus mit anderen Mitteln ohne Spitzhacke, aber mit Recorder, um partikelweise Ethnofolk zu klauen und ihn zu Hause schamlos auf den Dancefloor zu kübeln? Oder handelt es sich eher um den behutsamen Versuch, unsereinem fremde Kulturen