Mailys' Entscheidung. Katie Volckx. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katie Volckx
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741804687
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den Flyer mit Ferruccios Nummer und griff sofort zum Telefon, das seinen Platz auf dem Schreibtisch hatte. Heute sah es verhältnismäßig geordnet darauf aus.

      »Heidi hier. Ich möchte gern eine Riesenpizza bestellen.«

      Ferruccio war persönlich am Apparat. »Heidi!« Er freute sich laut vernehmbar, meine Stimme zu hören. Ich ließ mich von seiner Freude anstecken und lachte mit ihm. »Hast du Kummer?« Hatte ich irgendetwas verpasst, oder warum vermittelte eine Riesenpizza bei ihm den Eindruck, dass ich Kummer hätte? Vielleicht hatte ich ja auch nur Hunger?Riesigen Hunger!

      »Nein, ich bin mit einer Freundin zusammen ...«

      »Dann hat deine Freundin Kummer, ja?«, bestand er darauf, dass mindestens einer Kummer haben musste.

      Da ich Hanna nicht zu denunzieren gedachte, erwiderte ich: »Hier hat keiner Kummer! Wir haben lediglich einen Mörderkohldampf.«

      »Wenn Mädchen eine Riesenpizza wollen, haben sie immer Kummer«, kannte er sich aus, vermutlich der Berufserfahrung wegen. »Wie darf ich sie belegen, Heidi?«

      Ich war erleichtert, dass seine Äußerung keine Antwort erforderte und gab unsere Wünsche an. »Und eine Hälfte bitte mit extra viel Käse.« Hanna hasste zu viel Käse auf der Pizza. Sie fand, dass er unangenehm fettig schmeckte.

      Als ich auflegte, schlich Hanna sich von hinten heran und schlang ihre Arme um mich. Dabei legte sie ihren Kopf auf meine Schulter.

      »Ich wollte doch nur ein paar aufmunternde Worte von dir«, jammerte sie und blies ihren Atem schwer und traurig aus. »Stattdessen lachst du mich aus.«

      »Du wirst in meinen Worten keinen Trost finden, weil sie nicht heilen können und nichts gut oder ungeschehen machen.«

      »Schwester Jordana hat gesprochen. Amen!« Warum hatte ich geahnt, dass sie dieses Lied wieder anstimmen würde?

      »Ist das denn nicht wahr?«

      Sie löste sich von mir, ging zum Sessel hinüber und ließ sich darauf plumpsen. Mutlos zuckte sie mit den Schultern und ließ sie dann hängen, als würde der gesamte Weltschmerz darauf lasten. »Und worin findet man in einem so schrecklichen Zustand Trost?«

      Ich leistete ihr Gesellschaft und fläzte mich aufs Sofa. »Zum Beispiel in meinen Armen.«

      Sie zischelte. »Das ist alles?«

      Sollte ich sie für undankbar erklären?

      Nun, wenn sie unbedingt etwas hören wollte, dann bitte schön, hier: »Das Einzige, was ich dazu sagen kann, ist, wenn Mister Right je dabei gewesen wäre, würdest du nicht heulen wie ein Schlosshund und sinnlos Pflaumenwein in dich hineinschütten.« Natürlich hätte ich so viel mehr sagen können, doch was hätte es gebracht?

      »Sehr aufbauend!«

      Mit einem offenen Augenrollen signalisierte ich meinen Ärger. »Deinen Herzschmerz musst du schon allein ausstehen. Ich kann ihn dir leider nicht wegquatschen.« Ich erkannte an ihrem Blick, dass sie endlich begriff, was ich ihr mitteilen wollte.

      »Nun sag schon«, klang Hanna viel fröhlicher, seit die Pizza da war, »bin ich wirklich so eine lächerliche Figur?«

      Während sie auf dem Sessel vor der Pizzaschachtel harrte und dessen Deckel schon ganz ungeduldig öffnete, um den Duft zu inhalieren, holte ich zwei Teller aus ihrer Küche. Nicht, dass ihre Gastgeberqualitäten immer so bescheiden ausfallen würden.

      »Wie meinst du das?« Ich verstand den Hintergrund nicht, was vielleicht auch ein bisschen daran lag, dass die Pizza mir das Wasser im Mund zusammentrieb und meine Sinne raubte.

      »Was sollte dein Lachanfall vorhin?« Die Pizza war schon in gleichmäßige Dreiecke zerteilt worden. Hanna manövrierte ein Stück ihrer Hälfte auf ihren Teller. Dabei zog der Käse Fäden.

      Bevor ich etwas darauf erwiderte, beförderte ich ebenfalls ein Stück von meiner käselastigen Seite auf meinen Teller und biss herzhaft hinein. Was für ein Genuss.

      »Du bist halt manchmal knuffig«, sprach ich mit vollem Mund. »Ja, ja, ich weiß, das war etwas taktlos, aber das war gar nicht so negativ gemeint, wie du es aufgefasst hast.«

      »Mmh«, schwärmte Hanna vom Essen, »das tut sooo gut!« Ich war froh, dass ihr Alkoholspiegel immer weiter sank und sie wieder Vernunft annahm. »Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass du mich und meine Lage nicht ernst nimmst.« Die Harmonie trog, denn plötzlich trieb sie mich in die Enge.

      Mit einer schnellen, nervösen Handbewegung strich ich mein Haar hinter die Ohren. Mittlerweile war es schulterlang. Im Kloster hatte ich sie kurz wie ein Bursche getragen, hatte der äußerlichen Schönheit vollkommen abgeschworen. Als ich dann mein Klosterleben aufgegeben hatte und wieder nach Hause gekommen war, hatte Hanna mich nicht wie jeder andere normale Mensch willkommen geheißen, sondern hatte mich erst einmal mit sich ins Badezimmer geschliffen, um mir die Augenbrauen zu zupfen, Make-up aufzutragen und aus meiner Frisur das Beste herauszuholen. Sie war derart verzweifelt gewesen, dass sie mir befohlen hatte, die Haare wachsen zu lassen. »Jenseits von Gut und Böse« hatte sie meinen natürlichen Look genannt.

      Jedenfalls war ich entschlossen, ihren Vorwurf sofort abzuschmettern, war mir aber nicht ganz sicher, ob sie nicht sogar recht hatte. Zumindest wenn es um das Thema Männer ging. »Deine Liebesbeziehungen nehme ich auch nicht ernst.« Ich gab mich kleinlaut, da ich sie nicht erneut kränken wollte. »Aber was ich sehr wohl ernst nehme, ist, dass es dir nicht gut geht.«

      »Okay«, gab sie sich mit meiner Antwort zufrieden. Sie nahm den nächsten Happen und lächelte glücklich. Ihr Blick ging über die Pizza. »Die ist selbst für zwei Leute zu groß.«

      Wieder einmal musste ich bemerken, wie arglos und wenig nachtragend sie war. Ich war dankbar dafür, dass sie mir ganz selbstverständlich vertraute.

      »Es sei denn, wir wären zwei große, dickbäuchige Bauarbeiter.«

      Sie lachte laut: »Ich wünschte, ich wäre ein Mann.«

      Eine Theorie, über die ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte. Wieso sollte ich mir auch ein Leben als Mann vorstellen, wenn es doch als Frau viel mehr Spaß machte? Na schön, es war anstrengender, doch dafür viel bunter. »Ich stelle mir ein Leben als Mann verdammt eintönig vor«, konnte ich mich ihr also nicht anschließen.

      Hanna grübelte. Zu lang.

      Also erklärte ich: »Schau mal, was macht das Leben eines Mannes schon aus?« Ich legte das Stück Pizza auf dem Teller ab, damit ich alle meine Finger zur Verfügung hatte, um die Punkte zusammenzuzählen. »Saufen«, tippte ich Punkt eins mit dem Zeigefinger einer Hand auf den Daumen der anderen an, »Autos, Fußball und Frauen!« Ich konnte die Punkte an einer Hand abzählen. »Und wenn ein Mann halbwegs in Ordnung ist, und diese recht unkomplizierten Punkte auf ihn nicht zutreffen, beschränken sich andere wichtige Punkte seines Lebens aber auch nur auf drei oder vier.«

      »Ich verstehe. Dann bleibe ich doch lieber eine Frau.« Sie machte eine kleine Pause und blickte mich beschwörend an. »Püppi, ich rate dir, dir erst gar keinen Mann ins Haus zu holen.« Ich starrte sie erschrocken an, glaubte, dass ich knallrot anlief und nahm fix den Teller mit dem Stück Pizza zur Hand. »Ich meine, all die Zeit belächle ich deine Jungfräulichkeit und übergehe deine Standpunkte, weil du einfach keine Erfahrung mit Männern hast, aber im Grunde genommen sollte ich dich beneiden.« Sie seufzte. »Ja, ich sollte dich darum beneiden, dass du so prüde bist.«

      Und da machte ich mir Vorwürfe, weil ich sie mit meiner flapsigen Art und Weise gekränkt hatte? Wütend biss ich in die Pizza und kaute.

      »Ach, nun sei doch nicht sauer.« Sie lächelte allerliebst. Wenn Hanna etwas gut konnte, dann war es, rein mit den Augen zu schmeicheln. Manche Menschen hatten einfach von Natur aus den Niedlichkeitsfaktor. Man konnte ihnen nie richtig böse sein.

      »Woher willst du wissen, dass ich prüde bin?«

      »Entschuldige mal, du hattest dich dafür entschieden, ein Leben in Keuschheit zu führen«, erinnerte sie mich schnippisch daran,