Mailys' Entscheidung. Katie Volckx. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katie Volckx
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741804687
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Stattdessen erklärte ich ihm, dass meine Pizza fertig sei. Er reagierte etwas verschnupft. Aber ich war wirklich hungrig und hatte keine Nerven mehr, mich wieder einmal umfassend belehren zu lassen.

      »Lass es dir schmecken, Püppi«, verabschiedete er sich einigermaßen erhaben. Ich ahnte, dass ihm diese Neuigkeit eine unruhige Nacht bescheren würde.

      Aber das brachte mich nur zum Schmunzeln.

      3

      Seit einer Stunde leistete ich Hanna Gesellschaft. Die letzten Tage war es bedenklich still um sie geworden. Jetzt kannte ich auch den Grund. Nein, ausnahmsweise ging es nicht um ihren dreißigsten Geburtstag. Es ging um einen Mann!

      »Ich bin nicht vorbeigekommen, um mir den ganzen Abend lang deine Trauermiene reinziehen zu müssen«, zehrte mich ihr nicht enden wollender Trübsinn aus. Eigentlich hatte ich im Sinn gehabt, ihr von Philipp zu berichten, der morgen bei mir einziehen würde. Aber das stand nun hinten an.

      »Ich weiß, ich bin zurzeit eine weinerliche Memme«, erklärte sie schluchzend und schnäuzte sich laut in ihr Tempo, »aber momentan steckt einfach der Wurm drin.« Ich erkannte, dass sie mit dem Pflaumenwein in der Vitrine liebäugelte. »Als hätte ich nicht schon Komplexe genug, verlässt mich der Scheißkerl auch noch!« Sie hielt mir eine Hand vor die Nase, zog mit der anderen an dessen Rücken eine Hautfalte hoch, um zu demonstrieren, wie ledrig sie jetzt schon wäre. »Hundertpro bin ich dem Affenarsch zu alt! Ich habe letztens einen Test gemacht, den ich im Internet gefunden habe. Dabei soll man die Hautfalte zehn Sekunden lang halten. Und je nachdem, wie schnell alle Spuren wieder verschwinden, verrät es dir dein biologisches Alter.« Sie machte mir diesen Test vor. Ich folgte ihrer Darbietung aufmerksam und geduldig, da ich sie in ihrem heiklen Zustand nicht auch noch zu kränken beabsichtigte.

      »Da!«, kreischte sie, als sie die Hautfalte endlich losließ, und deutete mit dem Zeigefinger auf die etwas gerötete Stelle am Handrücken. »Hast du das gesehen? Das waren mindestens vier Sekunden! Laut Test bedeutet das, ich habe ein biologisches Alter von fünfzig.« Sie warf sich in ihren Sessel zurück und fing wieder fürchterlich zu heulen an.

      Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass ihre Traurigkeit echt war und sie nicht nur eine Show abzog, um das Ego mit erzwungenen Komplimenten gestreichelt zu bekommen. Ihre Augen waren schon ganz rot und aufgequollen. Nun verstand ich auch, warum sie heute ganz auf Schminke verzichtete. Und das war ein wahrlich seltenes Phänomen.

      Trotzdem machte ich klar: »Das war nicht mal eine Sekunde, Hanna!« Wie sie auf die vier Sekunden gekommen war, war mir schleierhaft. »Du siehst nur, was du sehen willst.«

      Heftig schüttelte sie den Kopf. Ihre Haare, die sich heute sogar etwas kräuselten, flogen dabei wild umher. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schürzte die Lippen. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, würde ich fraglos glauben, dass in drei Tagen keine drei, sondern eine eins vor der Null stünde.

      Jetzt schielte ich zum Pflaumenwein. »Lass uns auf das Scheißleben anstoßen, einverstanden?«, schlug ich vor und bekam leichtes Herzrasen. Ich und Alkohol?

      Na schön, was würde schon ein winziges Schlückchen schaden, wenn ich meiner allerbesten Freundin somit beistehen könnte? Nichts ging über Solidarität.

      Also gut, und ein bisschen aufgeschmissen kam ich mir momentan auch vor, erwischt! Nicht, dass ich nicht trösten könnte, doch seit Hanna mich einst darauf hingewiesen hatte, dass meine Art des Trosts wie ein nerviges Überbleibsel aus meiner Klosterzeit wirkte – nämlich scheinheilig und aufgesetzt –, ging ich lieber auf Nummer sicher und hielt mich im Zaum.

      Hanna war hellauf begeistert von der Idee. Sie sprang im hohen Bogen vom Sessel und holte den Pflaumenwein und zwei Flötengläser (sie besaß schlichtweg keine anderen) herüber. Ihre Finger fummelten flink am Verschluss – Simsalabim – die Flasche war auf.

      »Sicher wird das für Ablenkung sorgen.« Sie nahm den ersten Schluck noch im Stehen. Schwelgend schloss sie die Augen und wackelte leicht, als verlöre sie das Gleichgewicht. Erst dann ließ sie sich wieder auf dem Sessel nieder.

      Ich wusste lediglich, dass Hanna und dieser … dieser ... Tatsächlich musste ich in den tiefsten Tiefen meines Unterbewusstseins nach seinem Namen wühlen. Nun gut, ich kam gerade nicht drauf, wollte allerdings auch nicht nachfragen, da dieser Aussetzer nicht das beste Licht auf mich warf. Als beste Freundin müsste ich das schließlich unbedingt wissen. Ich wusste also lediglich, dass Hanna und der sogenannte Scheißkerl oder auch Affenarsch noch nicht auffallend lange miteinander liiert gewesen waren. Genau genommen waren sie mehr noch in der Phase gewesen, in der man die/den Erwählte(n) für keinen Normalsterblichen hielt.

      Ich simulierte Ahnung, wollte es jedoch noch einmal genau wissen. »Wie lang ...« Weiter kam ich nicht.

      »Drei Wochen.« Unheimlich, wie sie mir meine Ahnungslosigkeit von den Augen ablesen konnte.

      Vor Verlegenheit wurde mein Gesicht ganz heiß. Davon verunsichert nippte ich an meinem Glas Wein. Prompt wurde mir noch heißer. Meine Ohren begannen zu glühen, stellte mir vor, wie sie feuerrot leuchteten.

      »Toni war mein Traummann.« Sie registrierte meinen skeptischen Blick, denn das sagte sie nicht zum ersten Mal. Gleichzeitig erinnerte ich mich vage daran, den Namen Toni schon einmal aus ihrem Mund gehört zu haben. »Ja, das war er wirklich!«

      »Ich sag ja nix!« Ich stellte das Glas wieder auf den Couchtisch zurück. Solange ich diesen leichten Schwindel verspürte, traute ich mir keinen weiteren Schluck zu. Die gesamte Situation schüttete Adrenalin aus: Hannas Geheule, meine Erinnerungslücken und der Wein.

      Sie zog eine Augenbraue hoch. »Deine Mimik spricht für sich, Püppi.« Dann zuckte sie mit den Schultern und leerte ihr Glas bis auf den letzten Tropfen. »Das tut verdammt gut. Musst du auch mal probieren, vielleicht wirst du dann etwas lockerer.«

      »Ich bin locker«, verteidigte ich mich mit heller Stimme. »Nur weil ich mein Glas nicht auf ex trinke?« Außerdem sah es ja im Moment eher danach aus, als wenn Hanna Heulsuse hier die Verspanntere von uns beiden wäre.

      Okay, das war fies: Ihr ging es wirklich miserabel!

      Sie schenkte sich nach und warf einen flüchtigen Blick auf mein Glas. »Klar, du kannst mit diesem Thema nichts anfangen. Für dich läuft Liebe und Sex auch jetzt noch unter ferner liefen.« Ihrem Ausdruck nach zu urteilen erklärte sie sich gerade für verrückt, weil sie ausgerechnet mich – hochgradig unqualifiziert für Beziehungsprobleme – angerufen und um Beistand gebeten hatte.

      Meine Züge verfinsterten sich, denn mit ihrer Äußerung traf sie einen wunden Punkt. Durchaus war es unleugbar, aber das hieß noch lange nicht, dass sie meine Meinung dazu in Frage stellen musste.

      »Toni ist nur einer von vielen Traummännern. Immer steigerst du dich in deine Liebschaften so rein.«

      Entgeistert riss sie die Augen auf. Hatte sie mir meine Offenheit nicht zugetraut oder hasste sie es, mit Fakten konfrontiert zu werden? Doch sie sagte nichts, setzte nur das Flötenglas an die Lippen und leerte es wieder in einem Zug. Als sie es auf die Tischplatte zurückstellte, hatte sie schon die ersten motorischen Schwierigkeiten und kippte beinahe nach vorn über. Es sah so aus, als würde sie sich an dem kleinen, zerbrechlichen Glas festzuhalten versuchen. Das gelang ihr auch irgendwie. Nur kurz wippte sie und schwang sich dann wieder nach hinten.

      Auf einmal umging sie meine Äußerung und gab mir dafür eine Info, die mich möglicherweise endgültig davon überzeugen sollte, dass ihre Trauer sehr wohl berechtigt war. »Er hat mich für dieses Flittchen Cäcilia verlassen.« Sie schaute mich erwartungsvoll an, doch ich kapierte nicht das Mindeste. »Kennst du sie denn nicht mehr? Das junge Ding von der Tanke.«

      Ich wusste noch immer nicht, von wem sie sprach, besonders da ich gar kein Auto besaß und auch anderweitig keinen Grund hatte, mich an einer Tankstelle blicken zu lassen. Nur vorsichtshalber gab ich ihr das zu verstehen, damit sie nicht glaubte, ich wäre restlos bescheuert.

      Dann fasste sie sich an die Stirn. »Natürlich kennst du sie nicht. Ich habe dich mit Kristin verwechselt.« Kristin