Enttäuscht und fluchend gingen diejenigen, denen der Einlass verwehrt wurde.
Um dreiundzwanzig Uhr konnte die geplante Aktion der Gruppe endlich losgehen. Zuerst wurden nur kleine Silvesterknaller gezündet, obwohl jegliches Feuerwerk verboten war. Dann gab es größere Böller, die direkt in die Menge geworfen wurden, darauf folgten Raketen – an manchen Stellen reagierten die Leute panisch. Es gab erste Verletzte. Die Polizisten wurden nervös und versuchten umgehend herauszufinden, wer die Schuldigen waren. Durch Augenzeugen konnten einige wenige festgenommen werden, andere tauchten in der Menge unter.
Dann kam Stufe zwei. Die Kameraden bedrängten Frauen, wobei das Alter unerheblich war. Es ging nur darum, Unruhe zu stiften und auf dem ganzen Platz Streitigkeiten vom Zaun zu brechen. Es gab nicht wenige Schlägereien, die auch aufgrund des erhöhten Alkoholkonsums ausarteten. Es dauerte nicht lange, und die Polizei hatte alle Hände voll zu tun. Die Anzahl der Verletzten stieg.
Diana Nußbaumer hatte schon vorher gespürt, dass hier etwas nicht stimmte. Als die Übergriffe losgingen, achtete sie nicht auf sich, sondern vor allem auf ihre Schwägerin Eva, die im dritten Monat schwanger war. Um sich selbst machte sich Diana keine Sorgen, sie konnte sich als Kampfsportlerin sehr gut wehren. Aber Eva war den Übergriffen schutzlos ausgeliefert, denn sie war klein und schmächtig – und darin war sie ihrem Mann, Dianas Bruder Konstantin, sehr ähnlich. Er würde keine große Hilfe sein, deshalb musste sich Diana um Eva kümmern. Es dauerte nicht lange und einer grabschte Eva an. Ein anderer versuchte, sie zu küssen. Diana holte aus und schlug beiden Männern ins Gesicht. Zwischen Diana und einem der Männer gab es ein kurzes Handgemenge, bis der endlich klein beigab und abhaute. Diana versuchte, ihren Bruder und Eva aus der Menschenmenge herauszuführen. Sie war gezwungen, zwei weitere Schläge zu verteilen, bis sie endlich an einer Hausmauer angekommen waren.
„Ihr bleibt hier stehen, verstanden?“ Sie stellte sich schützend vor die beiden. Angespannt wartete sie auf den nächsten Übergriff, der sicher nicht lange auf sich warten ließ. Was war hier nur los?
Es war kurz vor Mitternacht und Charly Eckmann, der selbst nicht aktiv eingriff, wurde nervös. Jetzt war für ihn die Zeit gekommen, das Banner am südlichen Stadttor zu entrollen, dass er dort vor drei Tagen angebracht hatte. Es war leicht gewesen, sich als vermeintlicher Monteur Zugang zu verschaffen. Niemand schöpfte in dem unterbesetzten Rathaus Verdacht, als er seinen gefälschten Auftrag vorlegte. Er bekam die Schlüssel, alles andere war eine Kleinigkeit. Mit einem raffinierten Mechanismus, den er mit seinem Handy auslösen konnte, prangten jetzt riesige Buchstaben auf dem Banner, die von zwei Scheinwerfern angestrahlt wurden:
DIE BLAUE ARMEE KÄMPFT FÜR DEUTSCHE RECHTE
stand dort. Als viele der Gäste auf dieses Banner starrten, wurden an mehreren Stellen bengalische Feuer gezündet, die Panik verursachten. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, um die Situation im Griff zu behalten, was für alle sehr schwierig war.
Wolf Perlinger starrte auf das Banner. Er hatte vor einer Woche in Charlys Garage eine helle Stoffrolle gefunden, hatte aber nicht die Zeit gehabt, sich diese genauer anzusehen. Die Größe passte. Er war überrascht und beeindruckt, wie clever Charly war. Es war gut gewesen, den Mann niemals zu unterschätzen.
Diana wurde von einem Mann grob angefasst, was sie sich nicht gefallen ließ. Sie vermöbelte den Mann, der nach wenigen Schlägen weinend auf dem Boden lag. Ein zufällig vorbeikommender Polizist verhaftete sie. Sie versuchte, ihm die Situation zu erklären, aber der Polizist interessierte sich nicht dafür. Diana wurde abgeführt.
„Macht, dass ihr nach Hause kommt!“, rief sie ihrem Bruder zu.
„Was ist mit dir? Sollen wir nicht mitkommen?“
„Keine Sorge, das klärt sich. Zuhause kein Wort, verstanden?“ Mehr konnte sie nicht sagen, der Polizist zog sie grob mit sich.
Die Polizisten räumten gründlich auf. Nach zwei Stunden war der Stadtplatz leer und die Arrestzellen der Mühldorfer Polizei rappelvoll. Die Notärzte hatten alle Hände voll zu tun und die Notaufnahme des Krankenhauses platzte aus allen Nähten. Zum Glück setzte erst jetzt der erwartete Eisregen ein.
„Das hätte ins Auge gehen können“, sagte Leo halb erfroren. Die Decke, die ihm einer der Sanitäter vor einer halben Stunde überreichte, hatte er gerne angenommen.
„Ist alles nochmal gutgegangen“, antwortete Hans erschöpft.
Auf dem Weg zu ihrem Fahrzeug fuhren drei Löschzüge der Feuerwehr mit Blaulicht und Sirene an ihnen vorbei. Sie hatten Schwierigkeiten, auf den immer mehr vereisten Straßen voranzukommen.
„Was ist denn jetzt schon wieder los?“, schimpfte Leo. „Kann eine Silvesternacht nicht nur ein einziges Mal friedlich ablaufen?“
„Das werden wir beide nicht mehr erleben. Das sieht nach einem größeren Einsatz aus, das sollten wir uns ansehen. Steig ein!“
Hans folgte der Feuerwehr bis in die Lohberg-Siedlung, was auf den vereisten Straßen nicht ungefährlich war. Was sie dort erwartete, war erschreckend: Es standen acht Pkw und ein Bus in Flammen.
„Was ist denn hier los?“ Leo war sprachlos. So etwas hatte er noch nie gesehen.
„Das ist Vandalismus in seiner reinsten Form“, schimpfte Hans, der so etwas Sinnloses hasste.
Die Feuerwehr brauchte lange, bis alle Brände gelöscht waren. Das Löschwasser vereiste die Straßen noch mehr, weshalb Hans ein Streufahrzeug anforderte, denn unter diesen Bedingungen konnte er nicht arbeiten. Nachdem dick gestreut wurde, fühlten sich viele sehr viel sicherer, vor allem die älteren Leute unter den vielen Schaulustigen, die sich eingefunden hatten. Leo und Hans befragten die Anwohner und Schaulustigen, was aufgrund des hohen Alkoholkonsums bei einigen Personen sehr schwierig und nervenaufreibend war. Eine betrunkene Frau umarmte Leo und versuchte, ihn zu küssen. Brüsk stieß er sie von sich. Er hasste es, wenn man ihn anfasste; und er lehnte es ab, sich dermaßen zu betrinken, dass man die Kontrolle verlor.
Dass man Fahrzeuge angezündet hatte, die teilweise einen sehr hohen Wert hatten, schockierte viele. In den Medien hatte man das immer wieder beobachten müssen, aber dass man selbst einmal damit konfrontiert werden würde, war für die meisten nicht zu fassen. Vandalismus in dieser Form war zwar bekannt, aber wenn das vorkam, dann immer weit genug weg. Und jetzt hatte es die Mühldorfer Lohberg-Siedlung getroffen.
Die Eigentumsverhältnisse der meisten Fahrzeuge waren schnell geklärt. Übrig blieben ein Kombi und ein Bus. Einige der Betroffenen waren aufgebracht, andere hingegen sehr ruhig.
„Das wird die Versicherung klären“, sagte ein Mann in einem dicken Wintermantel. Er gab seine Personalien an und ging wieder ins Haus.
„Wem gehört der Bus?“, wollte Hans wissen.
„Der steht schon seit heute Nachmittag da“, sagte einer und andere stimmten ihm zu. „Gegen fünfzehn Uhr wurde er hier abgestellt. Eine Gruppe junger Männer stieg aus, alle liefen in diese Richtung. Die wollten sicher zu der Feier am Stadtplatz.“ Auch diese Frau bekam die Zustimmung anderer, die Ähnliches beobachtet hatten.
„Dass fremde Fahrzeuge und auch Busse hier parken, ist nicht ungewöhnlich. Wenn Veranstaltungen auf dem Stadtplatz stattfinden, ist hier immer alles voll. Es gefällt uns nicht, aber wir können nichts dagegen tun. Wie und wo wir unsere eigenen Fahrzeuge parken sollen, ist der Stadtverwaltung doch völlig egal!“
Hans versuchte, das Kennzeichen des Busses zu entziffern, was ihm mit viel Mühe schließlich gelang. Er gab das Kennzeichen an Zentrale weiter. Der Kombi, dessen Besitzer noch unklar war, wurde noch gelöscht.
Leo versuchte indes, die Befragungen fortzusetzen, was immer schwieriger wurde. Inzwischen drehte sich alles nur noch um Fahrzeuge,